Thüringische Landeszeitung (Jena)
Mission: Bauhaus erneuern
Studierende der BauhausUniversität Weimar leben im interdisziplinären Projekt „Border City“im Grenzbereich zwischen USA und Mexiko die Visionen der Gründerväter
WEIMAR/SAN DIEGO/ TIJUNANA. Gemeinsam der Fachidiotie entgegentreten – dieser Herausforderung haben sich Studierende der Bauhaus-Universität Weimar mit dem Projekt „Border City“gestellt. Zwei Mal waren die angehenden Urbanisten, Umweltingenieure und Künstler dazu in der Grenzregion zwischen den USA und Mexiko unterwegs – einer Region, in der die Auswirkungen der Globalisierung besonders deutlich werden, in der ein enormes Konfliktpotenzial herrscht. Ihr gemeinsamer Auftrag: Die Prozesse der Transformation und Transition am praktischen Beispiel beobachten. Die Absicht dahinter: Das interdisziplinäre Erbe des Bauhauses leben und die technische mit der künstlerischen Perspektive vereinen.
„Die Grenzen sind überall und sie werden immer stärker“, sagt die Künstlerin Margarita Certeza Garcia. Auch sie hat an den Exkursionen teilgenommen. Ihre Eindrücke und Erfahrungen von den zwei Reisen im November 2013 und im September 2016 hat Certeza Garcia wie auch die anderen Studierenden in dem kürzlich erschienen Buch „Border City. Documentation of the interdisciplinary project“festgehalten.
Die Grenzen seien nicht nur an den spezifischen Objekten, wie etwa Mauern, festzumachen. Vielmehr handele es sich um ein überall verbreitetes Phänomen, so Certeza Garcia. „Grenzen sind wie eine sich aus- breitende Krankheit“, ist die aus den USA stammende Künstlerin überzeugt. Ihre Aussagen treffen nicht nur auf die zunehmend militarisierte Grenze zwischen USA und Mexiko zu, sondern lassen sich auch auf Grenzen zwischen den verschiedenen Fachbereichen an einer Universität beziehen.
Liz Bachhuber, Professorin für Kunst an der Bauhaus-Universität, sieht in diesen Folgen der Globalisierung und des ökonomischen Drucks, die eine Spezialisierung immer weiter vorantreiben und dabei vor allem vermeintlich „reine“Wissenschaften wie Technologie, Ingenieurwesen oder Mathematik fördern, auch eine Gefahr für die Tradition des Bauhaus. „Das kritische Denken wird im Allgemeinen verringert“, schreibt Bachhuber in einem Bericht zum Projekt „Border City“. Doch gerade jetzt – in Erwartung des 100. Geburtstages des Bauhauses im nächsten Jahr – sei es an der Zeit, die Visionen und Imperative der Gründerväter wie Walter Gropius im Hinblick auf die heutige Situation zu reflektieren, wieder aufleben zu lassen und Kunst und Technologie zusammen zu denken.
Und wie könnte diesem Erbe besser Respekt gezollt werden als in der praktischen, interdisziplinären Zusammenarbeit? „Wir wollen zum Bauhaus heute beitragen, indem wir Studierende verschiedener Bereiche zusammenbringen – mit völlig unterschiedlicher Übung, Bildung und Erfahrung“, beschreibt Jörg Londong, Professor für Urbanes Wassermanagement an der Bauhaus-Universität, die Absichten hinter „Border City“.
Und tatsächlich lassen die Erfahrungsberichte der Studierenden, die am Projekt teilgenommen haben, eine Begeisterung für die Interdisziplinarität erkennen. „Wie nehmen Studenten anderer Bereiche Gleiches wahr? Diese Frage stand für mich im Mittelpunkt des Projektes“, sagt die Studentin Svea Hans. Oft sehe man nur seine eigene Disziplin und käme gar nicht auf die Idee, aus anderer Perspektive zu schauen, meint die angehende Umweltingenieurin. „Trotzdem sollte man schon wissen, was man kann“, sagt Hans, aber der Austausch habe für sie schon viele neue Ideen mit sich gebracht.
Svea Hans und ihrem Kommilitonen Michael Bickendorff, der ebenfalls an beiden Exkursionen teilgenommen hat, ist von den Reisen vor allem eine Situation genau im Gedächtnis geblieben: Eine Treppe in einem weiter abseits gelegenem, sozial schwachem Stadtteil von Tijuana. Die Bewohner des Stadtteils gelangten nur über eine sehr schmale Treppe zu ihren Häusern. „Einfach jeder musste diesen Weg gehen und deshalb bauten die Bürger diese Treppe schließlich selbst aus“, sagt Hans. Bei der Besichtigung der Treppe prallten zwei völlig unterschiedliche Perspektiven aufeinander. „Während den Ingenieuren vor allem die Probleme bei der baulichen Ausführung der Treppe auffielen, sahen die Künstler die Treppe vor allem als sozialen Begegnungsraum und Beispiel für Partizipation“, sagt Bickendorff. Für die beiden Studierenden zeigte sich hier, dass in einer Situation ganz unterschiedliche Aspekte zu erkennen sind.
„Natürlich ist es nicht immer einfach, aufeinander einzugehen. Man geht ja auch mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen in die Situation. Diese Unterschiede kann man aber nur lösen, wenn man sich öffnet, aufeinander zugeht und den Blick weitet“, sagt Svea Hans.
Die Künstlerin Margarita Certeza Garcia kommt zu einem ähnlichen Schluss: „Es gibt plötzlich diesen Moment des Austausches, man schlüpft in die Rolle des anderen. Das ist sehr inspirierend. Während die Ingenieure einen sehr guten Blick für konkrete Probleme haben, können wir Künstler die Themen besser gegenüber den Menschen vermitteln.“
In dieser Auseinandersetzung mit der Perspektive anderer Fachbereiche liegt für die Professorin Bachhuber ein sehr großes Potenzial für innovative Ideen und Lösungen. Gerade deswegen versucht auch das Angebot der Bauhaus-Universität diese Interdisziplinarität in verschiedenen Projekten und Workshops weiterzuentwickeln – beispielsweise durch Übungen in freiem Zeichnen für Ingenieure oder aber gemeinsamen Ausstellungen.
Auch die Arbeiten, die die Teilnehmer während ihrer Exkursion in das Grenzgebiet gefertigt haben, sollen nächstes Jahr in einer fachübergreifenden Schau präsentiert werden – passend zum Jubiläum des Bauhauses. Die Mission, das Bauhaus zu erneuern, wird also fortgesetzt.
• Border City. Documentation of the interdisciplinary project ‚Transition – Transformation‘ in San Diego (USA) & Tijuana (Mexico), Universitätsverlag, Weimar, , Seiten.
Kunst und Technologie zusammen denken
Zwei Sichtweisen prallen aufeinander