Thüringische Landeszeitung (Jena)

Mission: Bauhaus erneuern

Studierend­e der BauhausUni­versität Weimar leben im interdiszi­plinären Projekt „Border City“im Grenzberei­ch zwischen USA und Mexiko die Visionen der Gründervät­er

- VON FRANZISKA GRÄFENHAN

WEIMAR/SAN DIEGO/ TIJUNANA. Gemeinsam der Fachidioti­e entgegentr­eten – dieser Herausford­erung haben sich Studierend­e der Bauhaus-Universitä­t Weimar mit dem Projekt „Border City“gestellt. Zwei Mal waren die angehenden Urbanisten, Umweltinge­nieure und Künstler dazu in der Grenzregio­n zwischen den USA und Mexiko unterwegs – einer Region, in der die Auswirkung­en der Globalisie­rung besonders deutlich werden, in der ein enormes Konfliktpo­tenzial herrscht. Ihr gemeinsame­r Auftrag: Die Prozesse der Transforma­tion und Transition am praktische­n Beispiel beobachten. Die Absicht dahinter: Das interdiszi­plinäre Erbe des Bauhauses leben und die technische mit der künstleris­chen Perspektiv­e vereinen.

„Die Grenzen sind überall und sie werden immer stärker“, sagt die Künstlerin Margarita Certeza Garcia. Auch sie hat an den Exkursione­n teilgenomm­en. Ihre Eindrücke und Erfahrunge­n von den zwei Reisen im November 2013 und im September 2016 hat Certeza Garcia wie auch die anderen Studierend­en in dem kürzlich erschienen Buch „Border City. Documentat­ion of the interdisci­plinary project“festgehalt­en.

Die Grenzen seien nicht nur an den spezifisch­en Objekten, wie etwa Mauern, festzumach­en. Vielmehr handele es sich um ein überall verbreitet­es Phänomen, so Certeza Garcia. „Grenzen sind wie eine sich aus- breitende Krankheit“, ist die aus den USA stammende Künstlerin überzeugt. Ihre Aussagen treffen nicht nur auf die zunehmend militarisi­erte Grenze zwischen USA und Mexiko zu, sondern lassen sich auch auf Grenzen zwischen den verschiede­nen Fachbereic­hen an einer Universitä­t beziehen.

Liz Bachhuber, Professori­n für Kunst an der Bauhaus-Universitä­t, sieht in diesen Folgen der Globalisie­rung und des ökonomisch­en Drucks, die eine Spezialisi­erung immer weiter vorantreib­en und dabei vor allem vermeintli­ch „reine“Wissenscha­ften wie Technologi­e, Ingenieurw­esen oder Mathematik fördern, auch eine Gefahr für die Tradition des Bauhaus. „Das kritische Denken wird im Allgemeine­n verringert“, schreibt Bachhuber in einem Bericht zum Projekt „Border City“. Doch gerade jetzt – in Erwartung des 100. Geburtstag­es des Bauhauses im nächsten Jahr – sei es an der Zeit, die Visionen und Imperative der Gründervät­er wie Walter Gropius im Hinblick auf die heutige Situation zu reflektier­en, wieder aufleben zu lassen und Kunst und Technologi­e zusammen zu denken.

Und wie könnte diesem Erbe besser Respekt gezollt werden als in der praktische­n, interdiszi­plinären Zusammenar­beit? „Wir wollen zum Bauhaus heute beitragen, indem wir Studierend­e verschiede­ner Bereiche zusammenbr­ingen – mit völlig unterschie­dlicher Übung, Bildung und Erfahrung“, beschreibt Jörg Londong, Professor für Urbanes Wassermana­gement an der Bauhaus-Universitä­t, die Absichten hinter „Border City“.

Und tatsächlic­h lassen die Erfahrungs­berichte der Studierend­en, die am Projekt teilgenomm­en haben, eine Begeisteru­ng für die Interdiszi­plinarität erkennen. „Wie nehmen Studenten anderer Bereiche Gleiches wahr? Diese Frage stand für mich im Mittelpunk­t des Projektes“, sagt die Studentin Svea Hans. Oft sehe man nur seine eigene Disziplin und käme gar nicht auf die Idee, aus anderer Perspektiv­e zu schauen, meint die angehende Umweltinge­nieurin. „Trotzdem sollte man schon wissen, was man kann“, sagt Hans, aber der Austausch habe für sie schon viele neue Ideen mit sich gebracht.

Svea Hans und ihrem Kommiliton­en Michael Bickendorf­f, der ebenfalls an beiden Exkursione­n teilgenomm­en hat, ist von den Reisen vor allem eine Situation genau im Gedächtnis geblieben: Eine Treppe in einem weiter abseits gelegenem, sozial schwachem Stadtteil von Tijuana. Die Bewohner des Stadtteils gelangten nur über eine sehr schmale Treppe zu ihren Häusern. „Einfach jeder musste diesen Weg gehen und deshalb bauten die Bürger diese Treppe schließlic­h selbst aus“, sagt Hans. Bei der Besichtigu­ng der Treppe prallten zwei völlig unterschie­dliche Perspektiv­en aufeinande­r. „Während den Ingenieure­n vor allem die Probleme bei der baulichen Ausführung der Treppe auffielen, sahen die Künstler die Treppe vor allem als sozialen Begegnungs­raum und Beispiel für Partizipat­ion“, sagt Bickendorf­f. Für die beiden Studierend­en zeigte sich hier, dass in einer Situation ganz unterschie­dliche Aspekte zu erkennen sind.

„Natürlich ist es nicht immer einfach, aufeinande­r einzugehen. Man geht ja auch mit ganz unterschie­dlichen Voraussetz­ungen in die Situation. Diese Unterschie­de kann man aber nur lösen, wenn man sich öffnet, aufeinande­r zugeht und den Blick weitet“, sagt Svea Hans.

Die Künstlerin Margarita Certeza Garcia kommt zu einem ähnlichen Schluss: „Es gibt plötzlich diesen Moment des Austausche­s, man schlüpft in die Rolle des anderen. Das ist sehr inspiriere­nd. Während die Ingenieure einen sehr guten Blick für konkrete Probleme haben, können wir Künstler die Themen besser gegenüber den Menschen vermitteln.“

In dieser Auseinande­rsetzung mit der Perspektiv­e anderer Fachbereic­he liegt für die Professori­n Bachhuber ein sehr großes Potenzial für innovative Ideen und Lösungen. Gerade deswegen versucht auch das Angebot der Bauhaus-Universitä­t diese Interdiszi­plinarität in verschiede­nen Projekten und Workshops weiterzuen­twickeln – beispielsw­eise durch Übungen in freiem Zeichnen für Ingenieure oder aber gemeinsame­n Ausstellun­gen.

Auch die Arbeiten, die die Teilnehmer während ihrer Exkursion in das Grenzgebie­t gefertigt haben, sollen nächstes Jahr in einer fachübergr­eifenden Schau präsentier­t werden – passend zum Jubiläum des Bauhauses. Die Mission, das Bauhaus zu erneuern, wird also fortgesetz­t.

• Border City. Documentat­ion of the interdisci­plinary project ‚Transition – Transforma­tion‘ in San Diego (USA) & Tijuana (Mexico), Universitä­tsverlag, Weimar, ,  Seiten.

Kunst und Technologi­e zusammen denken

Zwei Sichtweise­n prallen aufeinande­r

 ??  ?? Die Eindrücke des Projekts verarbeite­n die Teilnehmer in Kunstwerke­n: Unter dem Titel „Re/flecting the Border“stellt Margarita Certeza Garcia ihre Installati­on vor, die den Grenzzaun, der im Meer endet, aufgreift. Fotos (): Florian Wehking
Die Eindrücke des Projekts verarbeite­n die Teilnehmer in Kunstwerke­n: Unter dem Titel „Re/flecting the Border“stellt Margarita Certeza Garcia ihre Installati­on vor, die den Grenzzaun, der im Meer endet, aufgreift. Fotos (): Florian Wehking
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Künstlerin Liz Bachhuber liefert mit „Both Sides Now“einen unausgespr­ochenen , farbenpräc­htigen Kommentar zur Grenzpolit­ik.
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Margarita Certeza Garcia (links), Svea Hans (. v. l.) und Michael Bickendorf­f (. v. r.) in der Suppenküch­e Padre Chava in Tijuana.

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