Thüringische Landeszeitung (Jena)
Turbulenter Neustart
Ein Jahr nach der Pleite von Air Berlin kehrt am Himmel wieder Ordnung ein. Weniger Verspätungen und Ausfälle
BERLIN. Wenn an diesem Freitag die Piloten des Billigfliegers Ryanair streiken, bleiben Zehntausende Passagiere sitzen. An den Flughäfen droht Chaos. Schon zuvor konnten Reisende den Eindruck gewinnen, dass es in der Luftfahrt nicht mehr rundläuft. Nach der Pleite von Air Berlin vor einem Jahr, einst Deutschlands Nummer zwei, teilen Eurowings, Easyjet und Ryanair den Himmel neu unter sich auf. Die turbulentesten Wochen sind wohl überstanden. Zahlen zu Flugausfällen und -verspätungen belegen dies. Der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) verspricht weitere Besserung.
Verbandspräsident KlausDieter Scheurle will den Zustand seiner Branche nicht schönreden, als er am Donnerstag Daten zum Luftverkehr in der ersten Jahreshälfte vorlegt. „Die aktuelle Situation entspricht ganz und gar nicht den Qualitätsversprechungen“, sagt er. Einzig im Januar seien die Flüge in Europa pünktlicher gewesen als im Vorjahr. In allen anderen Monaten mussten sich Reisende in Geduld üben. Im Juni verspätete sich ein Flieger im Schnitt um 17,5 Minuten. Ein Jahr zuvor waren es 13,1.
Auch einen Preisanstieg auf innerdeutschen Strecken nach der Insolvenz der Air Berlin hat es gegeben, bestätigt Scheurle. Doch die verbliebenen Fluggesellschaften hätten ihre Marktmacht nicht ausgenutzt. Die Ticketpreise seien allein durch die weggefallene Kapazität um bis zu zehn Prozent gestiegen. Plötzlich fehlten über eine Million Sitzplätze im Monat. Schon im Winter sanken die Preise wieder. Heute lägen sie um 1,3 Prozent unter dem Niveau von vor der Air-Berlin-Pleite.
Aufs Jahr gesehen sind die Ticketpreise noch deutlicher gesunken. So waren Flüge in andere europäische Länder im ersten Halbjahr im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um drei Prozent günstiger, innerhalb Deutschlands um vier Prozent und außereuropäisch um sieben Prozent billiger.
Innerhalb Deutschlands konkurrieren vor allem Eurowings, Easyjet und Ryanair um die Passagiere. Diese Fluggesellschaften haben das Erbe der Air Berlin weitgehend unter sich aufgeteilt und ihr Flugangebot massiv ausgebaut. Es wird im Herbst um 7,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen sein.
Im Zentrum der Kritik vieler Passagiere steht Eurowings. Die Lufthansa-Billigtochter hatte sich den Großteil der Air-BerlinStrecken und -Flugzeuge gesichert: 77 Flugzeuge, 3000 Mitarbeiter. Die Airline hat ihr Flugprogramm nahezu verdreifacht. Das war alles andere als unproblematisch. Eurowings verlegte häufig Flüge, Verspätungen und Ausfälle häuften sich. Das Unternehmen bezeichnet die Integration von weiten Teilen des früheren Betriebs der Air Berlin als „Kraftakt, für den es keine Blaupause gibt“. Im ersten Halbjahr seien zwei Prozent der Flüge gestrichen worden.
Inzwischen habe Eurowings nachgebessert. Es gebe größere Puffer in den Flugplänen, mehr Reserven in der Flotte und zusätzliches Personal an den Standorten und im Callcenter. Von den 77 von Air Berlin übernommenen Maschinen seien inzwischen 76 bei Eurowings angekommen. „Damit haben wir unsere Performance im Juli bereits spürbar verbessert und Flugplan-Änderungen signifikant reduzieren können“, lässt das Unternehmen wissen.
Tatsächlich hat sich die Lage im Juli gebessert. Nach Daten von EU-Claim, einer Firma, die für Fluggäste Entschädigungsforderungen durchsetzt, sind in Deutschland deutlich weniger Flüge ausgefallen. Im Mai mussten die Fluggesellschaften noch 3716 Flüge streichen und im Juni 4462. Zuletzt waren es noch 3174. Auch bei Eurowings sank die Zahl der Annullierungen wieder: Von 784 im Mai, über 1129 im Juni auf 561 im Juli. Ein Jahr zuvor waren es mit einem deutlich kleineren Flugplan laut EU-Claim 106 Ausfälle.
Die Branche gelobt weitere Besserung. Wo es geht, werde zusätzliches Personal eingesetzt, zusätzliche Sicherheitskontrollen an den Flughäfen aufgebaut, sagt BDL-Präsident Scheurle. Nicht alles können die Unternehmen jedoch beeinflussen: „An einigen Stellen sind uns die Hände gebunden.“Damit meint der Verbandschef Faktoren, bei denen der Staat handeln müsse: Die Kapazität des Luftraums etwa, sowie die Geschwindigkeit bei Sicherheitsund Passkontrollen. „Es müssen viele Akteure gleichzeitig und miteinander daran arbeiten, die Verspätungen zu reduzieren“, sagt Scheurle.