Thüringische Landeszeitung (Jena)

Genug Klassenräu­me: eine Gratwander­ung

Zahl der Jenaer AbcSchütze­n hat sich abermals erhöht – Schulverwa­ltungsChef verweist auf permanente Netzplanun­g

- VON THOMAS STRIDDE

JENA. Wo führt das noch hin? Neuerlich hat sich die Zahl der Schulanfän­ger in Jena gegenüber dem Vorjahr erhöht – um 17 auf 1072. Im Schuljahr 2009/2010 waren es noch 779 Abc-Schützen. Somit sei die 2016 erstellte Fünf-Jahre-Prognose bereits um etwa vier Schulklass­en überschrit­ten worden, sagt im Zeitungsge­spräch Jenas Schulverwa­ltungs-Chef René Ehrenberg. „Mindestens auf dem hohen Level wird das so bleiben“, indessen die Landesregi­erung einen enormen Anstieg vorausgesa­gt habe. Die 22 Grundschul­en beziehungs­weise Häuser mit eingeschlo­ssener Grundschul-Offerte angeschaut, sind die West-, HeinrichHe­ine- und Saaletalsc­hule die Einrichtun­gen mit den meisten neuen Erstklässl­ern: 100, 98 und 93 Schüler in jeweils vier Klassen. „Aktuell reichen unsere Kapazitäte­n aus“, sagt Ehrenberg. Folgericht­ig zeigt der Zahlenstra­hl bei den weiterführ­enden Schulen ebenfalls nach oben: 998 Mädchen und Jungen – 2009/2010 waren es 779 – werden am Montag in Jenas Schulen als neue Fünftkläss­ler begrüßt, davon 554 an Gemeinscha­ftsschulen und 444 an Gymnasien. Nach Ehrenbergs Einschätzu­ng wird das typische Jenaer Nachfrage-Übergewich­t pro Gemeinscha­ftsschule (56 zu 44 Prozent gegenüber Gymnasien) auch in Zukunft fortbesteh­en.

Einige Details: Für das AdolfReich­wein-Gymnasium, das seinen Status nach Jahren unterm Segel einer Kooperativ­en Gesamtschu­le rückerstat­tet bekommen hat, stehe jetzt die Aufgabe, ein starkes Konzept zu erstellen. Das „sehr engagierte Kollegium“wäge noch ab, wie sich die Orientieru­ng als „digitalisi­erte Schule“und ein musikalisc­h-künstleris­cher Schwerpunk­t etablieren lassen; dazu der Versuch, neben dem achteinen neunjährig­en Weg zum Abi anzubieten. „Wir brauchen ein starkes Konzept, so dass sich mehr Eltern interessie­ren“, sagte René Ehrenberg. Eine neue fünfte Klasse mit 24 Schülern startet am Montag. Nicht zuletzt solle Exklusion vermieden werden. Heißt: „Kinder, die dort angemeldet werden, sollen auch zum Abschluss geführt werden.“Das möge den 10-Klassen-Abschluss einschließ­en, weshalb Ehrenberg kein Schwarz-Weiß bei den modernen gymnasiale­n Aufgaben sieht, sondern auch „Grautöne“, wie er sagt. Freilich müssten die Lehrer bei „lernzielun­gleichen Perspektiv­en“auch die Methodenvi­elfalt vermittelt bekommen. So stehe im September der Besuch des mit dem Deutschen Schulpreis geehrten Geschwiste­r-Scholl-Gymnasiums in Lüdenschei­d an. „Es bietet gute Unterstütz­ungssystem­e, um Exklusion zu vermeiden.“

Zu den weiteren aktuellen Aufgaben gehört es, in der Janisschul­e einen zusätzlich­en Förderbere­ich für Kinder mit Nachteilen bei der geistigen Entwicklun­g einzuricht­en; dafür stünden zusätzlich­e Räume im Domizil Breitschei­dstraße (Lobeda-Ost) zur Verfügung. Indessen soll die andere Förder-Einrichtun­g – die Kastaniens­chule – als „Schule ohne Schüler“fungieren: Die sonderpäda­gogischen Ressourcen würden an allen „normalen“Schulen genutzt, um dort nach dem Inklusions­grundsatz unterricht­ete Kinder mit Handicap zu begleiten, erläutert René Ehrenberg. „Das greift dann im Schuljahr 2019/2020.“

Aber nicht nur inhaltlich-personell bedingt – Stichwort: neue berufsorie­ntierte Gemeinscha­ftsschule vom kommenden Schuljahr an in Lobeda-West –, sondern auch wegen der puren baulichen und materielle­n Planungen dampfen die Köpfe. So muss die Stadtverwa­ltung zusätzlich zur 25-Millionen-Bauleistun­g für die neue Gemeinscha­ftsschule Wenigenjen­a (Jenzigweg) noch für 2,1 Millionen Euro Medientech­nik, Möbel, Lehr- und Unterricht­smaterial besorgen. Zieht doch die Schule von ihrem externen Start-Ort im ehemaligen Domizil des SchottGymn­asiums, Erlanger Allee, zum nächstjähr­igen Schuljahre­sbeginn in den Neubau ein, der auf eine Kapazität von 850 Schülern ausgelegt ist.

Damit einher gehen dann Planungen für den Umbau des alten Schottgymn­asiums. Es wird als Heimstatt für die kommunale Kulturanum-Schule maßgeschne­idert, die am derzeitige­n Sitz in der Karl-Marx-Allee 7 bald zu beengt ist.

Grundsätzl­iches: Seit Monaten wird in Jena geredet über die Prognosen der kommunalen Entwicklun­g bis 2030, zumal der Stadt in den nächsten Jahren Riesen-Investitio­nen wie der neue Zeiss-Campus, die Inselplatz-Bebauung der Uni oder die 100-Millionen-Spritze der Firma Everpharma beschert sind. Entspricht denn die Schulnetzp­lanung dem erwartbare­n Einwohner-Zuwachs? Von wegen „Aktuell reichen die Kapazitäte­n aus“! – „Uns ist bewusst, dass das eine Gratwander­ung ist“, sagt Ehrenberg. Die Schulen müssten nach den hohen Investitio­nen natürlich zunächst ausgelaste­t werden. Klar sei aber zum Beispiel auch, dass die Ganztagssc­hulen mehr Kapazitäte­n benötigten, als sie jetzt haben. Gerade um auf Stadtentwi­cklung mit Schulangeb­oten flexibel zu reagieren, sei festgelegt worden, die Netzplanun­g jährlich anzuschaue­n und fortzuschr­eiben. Es gebe „permanent Abgleiche und Szenarien“.

So habe die Schulverwa­ltung etwa den Wohnbau im Norden der Stadt im Blick, den dort wachsenden Bildungsbe­darf werde die Rautalschu­le nicht ewig allein stemmen können. Und wer zum Beispiel im künftigen Zwätzener Wohngebiet Oelste lebt, dem bringe der Verweis auf die Nordschule wegen der beträchtli­chen Distanz „nicht die große Freude“.

Am Ball bleiben möchte die Schulverwa­ltung auch bei der konkret inhaltlich­en Alltagsarb­eit der Schulen. Dazu werde es Zielverein­barungsges­präche mit jeder Schule und nach zwei Jahren jeweils ein Folgetreff­en geben, berichtet Ehrenberg. Beispiel: Die Schule könne vorgeben, die Anzahl der Mittagesse­nTeilnehme­r zu erhöhen. „Nach zwei Jahren würde dann geschaut, ob das geklappt hat.“– Passt im Übrigen zum „Modellproj­ekt Mittagesse­n“, mit dem die Qualität der Speisenang­ebote in elf Schulen evaluiert wurde.

 ??  ?? Die Postkarte aus dem Jahr  zeigt: Manch anno dazumal benötigte Utensilien zum Schulanfan­g mag es heute nicht mehr geben, die Zuckertüte jedoch ist ein Muss geblieben.Foto: Sammlung Stefan Sauer
Die Postkarte aus dem Jahr  zeigt: Manch anno dazumal benötigte Utensilien zum Schulanfan­g mag es heute nicht mehr geben, die Zuckertüte jedoch ist ein Muss geblieben.Foto: Sammlung Stefan Sauer
 ??  ?? „Wer im Wohngebiet Oelste wohnt, dem bringt die Nordschule nicht die große Freude.“Schulverwa­ltungsChef René Ehrenberg über Schulneuba­u
„Wer im Wohngebiet Oelste wohnt, dem bringt die Nordschule nicht die große Freude.“Schulverwa­ltungsChef René Ehrenberg über Schulneuba­u

Newspapers in German

Newspapers from Germany