Thüringische Landeszeitung (Jena)
Flüchtlingsbeauftragte hofft auf Unterstützung der Kommunen
Appell an Landräte, Oberbürgermeister und Bürgermeister, sich für Seenotrettung und begrenzte Aufnahme einzusetzen
ERFURT. Thüringens Beauftragte für Integration, Migration und Flüchtlinge will nicht länger zusehen, wie Seenotrettung versagt. Mirjam Kruppa hat einen dringenden Appell an Landräte, Oberbürgermeister und Bürgermeister ausgesandt: „Ich bitte Sie, gemeinsam mit mir an die Bundeskanzlerin zu appellieren, sich für eine humanitäre und solidarische Flüchtlingspolitik einzusetzen.“Kruppa hofft, dass sich Städte und Gemeinden – wie andere deutsche Städte – grundsätzlich bereit erklärten, „die Aufnahme von aus Seenot geretteten Menschen zu ermöglichen“.
Kruppa hofft, dass Kommunalvertreter sie unterstützen und einen von ihr verfassten Brief an die Kanzlerin mitzeichnen. Darin wird Angela Merkel (CDU) aufgefordert, die „humanitäre Verpflichtung bei der Entwicklung und Umsetzung von politischen Lösungen auf europäischer Ebene hochzuhalten“. Die private Seenotrettung solle wieder ermöglicht werden.
Die Hoffnung Kruppas ist, dass sich viele Kommunalvertreter grundsätzlich bereit erklären, aus Seenot Gerettete, in plan- und überschaubarer Anzahl aufzunehmen. „Ich glaube, das spricht vielen Thüringerinnen und Thüringern aus dem Herzen“, sagt Kruppa im TLZGespräch. Sie erinnert an zahlreiche Initiativen, die sich vor allem gründeten, als 2015/16 immer mehr Flüchtlinge nach Thüringen kamen. Die Situation heute unterscheide sich deutlich von der dramatischen Lage damals. Räumliche Möglichkeiten zur Unterbringung von Geflüchteten gebe es nach wie vor.
Diese Ressourcen könnten nach Ansicht der Beauftragten reaktiviert werden, „um ein Zeichen der Menschlichkeit auszusenden“. Vor wenigen Tagen hatten sich auf solche Aufrufe hin zunächst die Oberbürgermeister der Städte Düsseldorf, Köln und Bonn bereit erklärt, in ihren Städten Geflüchtete aus Seenot aufzunehmen.
„Auch heute geht es darum, Haltung zu zeigen. Ein klares Bekenntnis zu Menschlichkeit.“
Mirjam Kruppa, Beauftragte für Integration, Migration und Flüchtlinge
ERFURT. Die private Seenotrettung steht im Fokus. Muss man sie kritiklos gutheißen? Mirjam Kruppa, Thüringer Beauftragte für Integration, Migration, und Flüchtlinge, lässt im TLZ-Gespräch daran keinen Zweifel aufkommen. Ja. Denn die Menschen könne man im Mittelmeer nicht ertrinken lassen. Sie unterstützt vollumfänglich das, was der Erfurter Sänger Clueso mit drastischeren Worten vor einigen Tagen gefordert hatte – und startet eine Initiative. Sie lädt Thüringer Landräte, Oberbürgermeister und Bürgermeister ein, sich in einem gemeinsamen offenen Brief an die Bundesregierung zu wenden. Darin wird die Bundeskanzlerin aufgefordert, sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, der humanitäre Verpflichtung beim Umgang mit Geflüchteten gerecht zu werden. Darüber hinaus würde Kruppa sich freuen, wenn Thüringer Gemeinden und Landkreise prüften, ob sie noch einen Schritt weiter gehen können „Ich hielte es für eine gute Idee, zeigten die Kommunen in Thüringen die grundsätzliche Bereitschaft zur Aufnahme“, sagt Kruppa und erinnert an den Vorstoß aus Köln, Bonn und Düsseldorf vor wenigen Tagen, der in diese Richtung ebenfalls zielt.
Die Stimmung in Thüringen wird aber seit 2015 immer weiter aufgeheizt. Die AfD im Thüringer Landtag wettert, die CDU fordert die Einrichtung von Ankerzentren. Und ultrarechtsextreme spielen Hinrichtungen auf dem Erfurter Anger nach. Ist es in dieser Stimmung möglich, für die Aufnahme weiterer Geflüchteter zu plädieren und damit Erfolg zu haben? Mirjam Kruppa zeigt sich davon überzeugt, dass ihr Appell bei Vertretern in den Kommunen auf positiven Widerhall stößt. „Das Menschen gerettet werden müssen, weil sie sonst ertrinken, das
ist meiner Einschätzung nach die moralische Überzeugung der Thüringer“, sagt Kruppa. In ihrem Brief an die Kommunalvertreter, der gestern versendet wurde, formuliert sie: „Auch heute geht es darum, Haltung zu zeigen. Ein klares Bekenntnis zu Menschlichkeit. Ich lade Sie ein, sich gemeinsam mit mir zu positionieren. Dafür, dass Seenotrettung selbstverständlich sein muss. Dafür, dass wir nicht aus dem Blick verlieren, dass es um Menschen in akuter Not geht.“
Kruppa folgt mit ihrem Vorstoß einem prominenten Beispiel aus Thüringen. 2016 hatte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) angeboten, dass im Freistaat 2000 Flüchtlinge aus dem Flüchtlingslager Idomeni aufgenommen werden könnten. Nachdem die Balkanroute geschlossen wurde steckten hier tausende Flüchtlinge unter erbärmlichen Bedingungen fest. Wenige Wochen nach dem Vorstoß Ramelows wurde das Lager allerdings geräumt und die Flüchtlinge auf andere Camps verteilt.
Zurück zur Seenotrettung: Eine Überforderung in den Gemeinden sieht Mirjam Kruppa mit ihrem aktuellen Vorstoß nicht. Sie verweist auf die Idee eines durch die Städte und Kommunen kontrollierten und selbstbestimmten Zuzugs. Das
wäre aus ihrer Sicht möglich, weil die Situation heute deutlich überschaubarer ist als vor zwei Jahren und außerdem die Infrastruktur nach wie vor besteht, die sich seit 2015 etabliert hat. Damals sind immer mehr Flüchtlinge auch nach Thüringen gekommen und hier aufgenommen worden. Teilweise stellten Kommunen über Nacht Unterkünfte bereit. Zwar liefen manche Dinge unstrukturiert, aber in vielen Orten wurde dennoch geholfen. „Diese Initiativen gibt es nach wie vor“, sagt Kruppa und sie weiß aus vielen Gesprächen, dass hier die Bereitschaft zur Hilfe groß ist. Die Entscheidung über eine solche zusätzliche Aufnahme liegt allerdings bei der Bundesregierung in Berlin.
Dennoch: Funktionieren kann das nur, wenn die Landräte, Oberbürgermeister und Bürgermeister die Zustimmung ihrer Bevölkerung hinter sich wissen. „Denn die wissen, was vor Ort geht“, sagt Kruppa. Deshalb könne auch die Landesregierung nicht von Erfurt aus festlegen, dass es einen Thüringer Vorstoß zur Aufnahme von aus Seenot geretteten Menschen gibt. Den sollen die angeschriebenen Kommunalvertreter mit einem Brief an die Bundeskanzlerin mittragen, der ihnen ebenfalls mitgesendet wurde. Darin findet Kruppa deutliche Worte. „Es ist beschämend, dass Booten mit Schutzsuchenden und Kranken an Bord ein sicherer europäischer Hafen verwehrt wird.“Die Werte der Europäischen Union und ihre Solidarität scheinen „im aktuellen Umgang mit den Flüchtlingsbooten auf dem Mittelmeer unterzugehen“.
Thüringer Kommunalvertreter sollen nach Hoffnung von Mirjam Kruppa mithelfen, hier gegenzusteuern. „Lassen sie uns zusammen ein menschenfreundliches Signal aus der Mitte Deutschlands senden“, lautet ihre Aufforderung.