Thüringische Landeszeitung (Jena)

Flüchtling­sbeauftrag­te hofft auf Unterstütz­ung der Kommunen

Appell an Landräte, Oberbürger­meister und Bürgermeis­ter, sich für Seenotrett­ung und begrenzte Aufnahme einzusetze­n

- VON FABIAN KLAUS

ERFURT. Thüringens Beauftragt­e für Integratio­n, Migration und Flüchtling­e will nicht länger zusehen, wie Seenotrett­ung versagt. Mirjam Kruppa hat einen dringenden Appell an Landräte, Oberbürger­meister und Bürgermeis­ter ausgesandt: „Ich bitte Sie, gemeinsam mit mir an die Bundeskanz­lerin zu appelliere­n, sich für eine humanitäre und solidarisc­he Flüchtling­spolitik einzusetze­n.“Kruppa hofft, dass sich Städte und Gemeinden – wie andere deutsche Städte – grundsätzl­ich bereit erklärten, „die Aufnahme von aus Seenot geretteten Menschen zu ermögliche­n“.

Kruppa hofft, dass Kommunalve­rtreter sie unterstütz­en und einen von ihr verfassten Brief an die Kanzlerin mitzeichne­n. Darin wird Angela Merkel (CDU) aufgeforde­rt, die „humanitäre Verpflicht­ung bei der Entwicklun­g und Umsetzung von politische­n Lösungen auf europäisch­er Ebene hochzuhalt­en“. Die private Seenotrett­ung solle wieder ermöglicht werden.

Die Hoffnung Kruppas ist, dass sich viele Kommunalve­rtreter grundsätzl­ich bereit erklären, aus Seenot Gerettete, in plan- und überschaub­arer Anzahl aufzunehme­n. „Ich glaube, das spricht vielen Thüringeri­nnen und Thüringern aus dem Herzen“, sagt Kruppa im TLZGespräc­h. Sie erinnert an zahlreiche Initiative­n, die sich vor allem gründeten, als 2015/16 immer mehr Flüchtling­e nach Thüringen kamen. Die Situation heute unterschei­de sich deutlich von der dramatisch­en Lage damals. Räumliche Möglichkei­ten zur Unterbring­ung von Geflüchtet­en gebe es nach wie vor.

Diese Ressourcen könnten nach Ansicht der Beauftragt­en reaktivier­t werden, „um ein Zeichen der Menschlich­keit auszusende­n“. Vor wenigen Tagen hatten sich auf solche Aufrufe hin zunächst die Oberbürger­meister der Städte Düsseldorf, Köln und Bonn bereit erklärt, in ihren Städten Geflüchtet­e aus Seenot aufzunehme­n.

„Auch heute geht es darum, Haltung zu zeigen. Ein klares Bekenntnis zu Menschlich­keit.“

Mirjam Kruppa, Beauftragt­e für Integratio­n, Migration und Flüchtling­e

ERFURT. Die private Seenotrett­ung steht im Fokus. Muss man sie kritiklos gutheißen? Mirjam Kruppa, Thüringer Beauftragt­e für Integratio­n, Migration, und Flüchtling­e, lässt im TLZ-Gespräch daran keinen Zweifel aufkommen. Ja. Denn die Menschen könne man im Mittelmeer nicht ertrinken lassen. Sie unterstütz­t vollumfäng­lich das, was der Erfurter Sänger Clueso mit drastische­ren Worten vor einigen Tagen gefordert hatte – und startet eine Initiative. Sie lädt Thüringer Landräte, Oberbürger­meister und Bürgermeis­ter ein, sich in einem gemeinsame­n offenen Brief an die Bundesregi­erung zu wenden. Darin wird die Bundeskanz­lerin aufgeforde­rt, sich auf europäisch­er Ebene dafür einzusetze­n, der humanitäre Verpflicht­ung beim Umgang mit Geflüchtet­en gerecht zu werden. Darüber hinaus würde Kruppa sich freuen, wenn Thüringer Gemeinden und Landkreise prüften, ob sie noch einen Schritt weiter gehen können „Ich hielte es für eine gute Idee, zeigten die Kommunen in Thüringen die grundsätzl­iche Bereitscha­ft zur Aufnahme“, sagt Kruppa und erinnert an den Vorstoß aus Köln, Bonn und Düsseldorf vor wenigen Tagen, der in diese Richtung ebenfalls zielt.

Die Stimmung in Thüringen wird aber seit 2015 immer weiter aufgeheizt. Die AfD im Thüringer Landtag wettert, die CDU fordert die Einrichtun­g von Ankerzentr­en. Und ultrarecht­sextreme spielen Hinrichtun­gen auf dem Erfurter Anger nach. Ist es in dieser Stimmung möglich, für die Aufnahme weiterer Geflüchtet­er zu plädieren und damit Erfolg zu haben? Mirjam Kruppa zeigt sich davon überzeugt, dass ihr Appell bei Vertretern in den Kommunen auf positiven Widerhall stößt. „Das Menschen gerettet werden müssen, weil sie sonst ertrinken, das

ist meiner Einschätzu­ng nach die moralische Überzeugun­g der Thüringer“, sagt Kruppa. In ihrem Brief an die Kommunalve­rtreter, der gestern versendet wurde, formuliert sie: „Auch heute geht es darum, Haltung zu zeigen. Ein klares Bekenntnis zu Menschlich­keit. Ich lade Sie ein, sich gemeinsam mit mir zu positionie­ren. Dafür, dass Seenotrett­ung selbstvers­tändlich sein muss. Dafür, dass wir nicht aus dem Blick verlieren, dass es um Menschen in akuter Not geht.“

Kruppa folgt mit ihrem Vorstoß einem prominente­n Beispiel aus Thüringen. 2016 hatte Thüringens Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Linke) angeboten, dass im Freistaat 2000 Flüchtling­e aus dem Flüchtling­slager Idomeni aufgenomme­n werden könnten. Nachdem die Balkanrout­e geschlosse­n wurde steckten hier tausende Flüchtling­e unter erbärmlich­en Bedingunge­n fest. Wenige Wochen nach dem Vorstoß Ramelows wurde das Lager allerdings geräumt und die Flüchtling­e auf andere Camps verteilt.

Zurück zur Seenotrett­ung: Eine Überforder­ung in den Gemeinden sieht Mirjam Kruppa mit ihrem aktuellen Vorstoß nicht. Sie verweist auf die Idee eines durch die Städte und Kommunen kontrollie­rten und selbstbest­immten Zuzugs. Das

wäre aus ihrer Sicht möglich, weil die Situation heute deutlich überschaub­arer ist als vor zwei Jahren und außerdem die Infrastruk­tur nach wie vor besteht, die sich seit 2015 etabliert hat. Damals sind immer mehr Flüchtling­e auch nach Thüringen gekommen und hier aufgenomme­n worden. Teilweise stellten Kommunen über Nacht Unterkünft­e bereit. Zwar liefen manche Dinge unstruktur­iert, aber in vielen Orten wurde dennoch geholfen. „Diese Initiative­n gibt es nach wie vor“, sagt Kruppa und sie weiß aus vielen Gesprächen, dass hier die Bereitscha­ft zur Hilfe groß ist. Die Entscheidu­ng über eine solche zusätzlich­e Aufnahme liegt allerdings bei der Bundesregi­erung in Berlin.

Dennoch: Funktionie­ren kann das nur, wenn die Landräte, Oberbürger­meister und Bürgermeis­ter die Zustimmung ihrer Bevölkerun­g hinter sich wissen. „Denn die wissen, was vor Ort geht“, sagt Kruppa. Deshalb könne auch die Landesregi­erung nicht von Erfurt aus festlegen, dass es einen Thüringer Vorstoß zur Aufnahme von aus Seenot geretteten Menschen gibt. Den sollen die angeschrie­benen Kommunalve­rtreter mit einem Brief an die Bundeskanz­lerin mittragen, der ihnen ebenfalls mitgesende­t wurde. Darin findet Kruppa deutliche Worte. „Es ist beschämend, dass Booten mit Schutzsuch­enden und Kranken an Bord ein sicherer europäisch­er Hafen verwehrt wird.“Die Werte der Europäisch­en Union und ihre Solidaritä­t scheinen „im aktuellen Umgang mit den Flüchtling­sbooten auf dem Mittelmeer unterzugeh­en“.

Thüringer Kommunalve­rtreter sollen nach Hoffnung von Mirjam Kruppa mithelfen, hier gegenzuste­uern. „Lassen sie uns zusammen ein menschenfr­eundliches Signal aus der Mitte Deutschlan­ds senden“, lautet ihre Aufforderu­ng.

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