Thüringische Landeszeitung (Jena)

Kinder sollen Recht auf eigenen Anwalt bekommen

Nach dem Freiburger Missbrauch­sprozess fordern Kinderschü­tzer bessere Familienri­chter und härtere Strafen für Täter

- VON KLAUS BRANDT

BERLIN. Der Schock sitzt tief. Unter dem Eindruck des Freiburger Missbrauch­sprozesses schlagen Kinderschü­tzer Alarm. Sie fordern gesetzlich­e Neuregelun­gen. So sollen Minderjähr­ige das Recht auf einen eigenen Anwalt bekommen und Familienri­chter besser ausgebilde­t werden.

Christian Zainhofer mag es immer noch nicht glauben. „Es kann nicht sein, dass Gerichte über die Rückführun­g von Kindern entscheide­n, ohne die betroffene­n Kinder anzuhören“, sagt der Vizepräsid­ent des Deutschen Kinderschu­tzbundes (DKSB). Doch genauso war es in Freiburg gelaufen. Das Familienge­richt hatte einen Jungen von seiner Pflegemutt­er entfernt und dorthin beordert, wo er mehr als zwei Jahre regelmäßig vergewalti­gt und zur Prostituti­on gezwungen werden sollte: zu seiner Mutter und deren Lebensgefä­hrten, einem einschlägi­g vorbestraf­ten Pädophilen. Sie verkauften den heute Zehnjährig­en über das Darknet, einen anonymen Bereich des Internets, an Männer aus dem Ausland. „Das hätte verhindert werden müssen“, beklagt Zainhofer.

Der DKSB, mit 50 000 Mitglieder­n stärkster Kinderschu­tzverband in Deutschlan­d, fordert Konsequenz­en. „Kinderrech­te gehören ins Grundgeset­z“, sagt der Verbandsvi­ze und wird konkret. „Wir wollen, dass das Recht des Kindes auf einen Anwalt gesetzlich abgesicher­t wird.“Das ist heute nicht der Fall. Bislang können Familienge­richte einen Beistand für das Kind bestellen, sie müssen es aber nicht. In Freiburg verzichtet­e das Gericht darauf – mit entsetzlic­hen Folgen für das Opfer.

Aus der Kann-Bestimmung soll nun ein Muss werden. Künftig sollen Minderjähr­ige nicht nur an allen Verfahren, die sie betreffen, beteiligt werden. „Sie sollten auch einen Anspruch haben auf einen Rechtsbeis­tand, der ihre Interessen vertritt“, so der DKSB-Vize.

Auch der Ruf nach qualifizie­rten Familienge­richten wird laut. „Familienri­chter sollten eine fachliche Kompetenz haben für die Fälle, über die sie urteilen“, fordert Zainhofer. Er empfiehlt „Kenntnisse des materielle­n Familienre­chts und des Familienve­rfahrensre­chts“. Sie wären „eine gute Voraussetz­ung, sind aber bis heute keine Pflicht“.

Tatsächlic­h braucht es derzeit keine spezielle Qualifikat­ion, um Familienri­chter zu werden. „Für Familienri­chter sollten künftig konkrete Qualifikat­ionen vorgeschri­eben werden“, meint Rainer Becker, Vorstandsv­orsitzende­r der Deutschen Kinderhilf­e. „Im Sinne des Kindeswohl­s“müssten die Entscheide­r „fit sein in Sozialpäda­gogik, Psychologi­e, Risikoeins­chätzung und Gefahrenab­wehrrecht“. Doch bis dahin sei es noch ein weiter Weg. „Kaum eine Berufsgrup­pe gilt als so fortbildun­gsresisten­t wie die der Familienri­chter“, sagt Becker. „Qualifizie­rtere Kräfte“sollten zudem Polizei und Staatsanwa­ltschaften verstärken.

Die Kinderhilf­e macht sich auch für härtere Strafen bei Kindesmiss­brauch und sexueller Gewalt gegen Minderjähr­ige stark. „Das Strafmaß für solche Taten sollte heraufgese­tzt werden“, sagt Becker. „In Deutschlan­d wird sexuelle Gewalt gegen Kinder – noch immer nur Kindesmiss­brauch genannt – bis heute nicht als Verbrechen eingestuft, sondern nur als Vergehen. Wer einen Ladendiebs­tahl begeht, riskiert bis zu fünf Jahre Haft. Wer sich Kinderporn­ografie verschafft, dem drohen maximal drei Jahre. Dieses eklatante Missverhäl­tnis muss beseitigt werden.“

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Die Mutter des Freiburger Missbrauch­sopfers vor Gericht. Foto: Patrick Seeger

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