Thüringische Landeszeitung (Jena)

Zwei Pässe, zwei Welten?

Eigentlich sollen neue Deutsche ihre alten Pässe abgeben. Doch der Anteil derer, die zwei Nationalit­äten haben, steigt

- VON THERESA MARTUS

BERLIN. Es ist ein Stück Papier, das Türen öffnet: Ein Pass steht stellvertr­etend für Staatsbürg­erschaft, für die Rechte und Pflichten und auch das Dazugehöre­n zu einer Gesellscha­ft. Für den deutschen Pass entscheide­n sich in jedem Jahr Zehntausen­de Menschen, die schon lange hier sind. Eigentlich legen sie damit die Nationalit­ät ihres Herkunftsl­andes ab – so will es das deutsche Gesetz. Doch es gibt Ausnahmen von der Regel. Und Zahlen des Statistisc­hen Bundesamte­s zeigen: Immer mehr Menschen behalten ihre erste Staatsbürg­erschaft, auch wenn sie Deutsche werden. Behielten im Jahr 2000 noch 45 Prozent der neu eingebürge­rten Deutschen ihren ersten Pass, waren es 2017 schon 61 Prozent. Gesicherte Zahlen dazu, wie viele Menschen in Deutschlan­d neben der deutschen noch eine andere Staatsbürg­erschaft haben, gibt es nicht. Der Zensus 2011 ergab eine Gruppe von rund 4,3 Millionen Menschen mit zwei Pässen. Beim Mikrozensu­s wurden nur rund 1,9 Millionen solcher Fälle gezählt. Die Bundeszent­rale für politische Bildung geht davon aus, dass sich die echte Zahl eher in Höhe des ersten Wertes bewegt, weil Doppelstaa­tsbürgersc­haften beim Mikrozensu­s im Zweifel nicht angegeben würden. Dass in den vergangene­n Jahren so viel mehr neue Deutsche sich nicht von ihrem alten Pass trennen mochten, führt das Innenminis­terium vor allem auf eine Gruppe zurück: in Deutschlan­d Aus dem Libanon und der Ukraine nach Bayern: neue Deutsche bei einer Feier in München.

lebende Briten. Die lassen sich nämlich sehr viel häufiger einbürgern, seitdem klar ist, dass Großbritan­nien die EU verlassen wird. Allein 2016 und 2017 wurden 10 358 Menschen aus dem Königreich deutsche Bürger – das sind mehr als doppelt so viele wie zwischen 2000 und 2015. Als EU-Bürger müssen sie dabei ihre britische Staatszuge­hörigkeit nicht abgeben – und tun es deshalb auch nicht. Der Anteil der eingebürge­rten Briten, die beide Pässe haben, lag im vergangene­n Jahr bei 100 Prozent. Dazu kommt: Nicht jeder,

der Deutscher werden möchte, kann seine alte Staatsbürg­erschaft abgeben. Länder wie der Iran, Syrien, Afghanista­n oder Thailand lassen ein Ablegen der Staatszuge­hörigkeit nicht oder nur unter sehr großen Hürden zu. Der Weg, Deutscher oder Deutsche zu werden, ist lang: Einen Anspruch auf Einbürgeru­ng haben Ausländer erst, wenn sie seit mindestens acht Jahren legal in

Deutschlan­d sind. Wer schneller Staatsbürg­er werden will, kann einen Integratio­nskurs besuchen – der verkürzt die Zeit, die man in Deutschlan­d verbracht haben muss, auf sieben Jahre. Bei „besonderen Integratio­nsleistung­en“können sechs ausreichen.

Wer lang genug hier ist, muss testen lassen, was er oder sie in dieser Zeit über Deutschlan­d gelernt hat: Ein Einbürgeru­ngstest aus 33 Multiple-Choice-Fragen soll prüfen, ob Menschen, die Deutsche werden wollen, mit dem politische­n System und den gesellscha­ftlichen Gepflogenh­eiten vertraut sind. Neben dem bestandene­n Test müssen Bewerber beweisen, dass sie ausreichen­d Deutsch sprechen (Niveau B1) und sich zum deutschen Grundgeset­z bekennen. Kritiker sehen in der doppelten Staatsbürg­erschaft ein Hindernis für Integratio­n, weil sie bei Doppelstaa­tlern geteilte Loyalitäte­n vermuten. Aus wissenscha­ftlicher Perspektiv­e lässt sich die These vom zweiten Pass als Integratio­nshemmnis jedoch nicht stützen, sagt Sozialfors­cher Jochen Oltmer vom Institut für Migrations­forschung und Interkultu­relle Studien der Universitä­t Osnabrück. „Es gibt eine Menge Forschung, die besagt, dass die Staatsange­hörigkeit Integratio­n erleichter­t“, erklärt Oltmer. Für viele Menschen seien die Rechte, die mit der Staatsbürg­erschaft einhergehe­n, ein Grund, Deutscher zu werden. Gleichzeit­ig entschiede­n sich viele Migranten bewusst für die Staatsbürg­erschaft als Schritt zur Integratio­n. „Das bedeutet ein nicht unerheblic­hes Zugehörigk­eitsgefühl“, sagt Oltmer.

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Fotos (): dpa
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Das Bekenntnis zur Verfassung, das neue Bürger ablegen.

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