Thüringische Landeszeitung (Jena)
„Technik war eher ein Fremdwort für mich“
Vom 3. bis 5. August gastierte Christoph Biesenbach mit seiner CoerverSchule in Silbitz. 15 Kinder aus dem Nachwuchs von Silbitz nahmen an dem Trainingslager teil
SILBITZ. Der Jenaer Christoph Biesenbach, der einst für Wacker Nordhausen überwiegend in der Verteidigung spielte, ist seit 2011 für die Fußball-Technikschule Coerver Coaching tätig und war als solcher auch schon in Island oder China. In den vergangenen Monaten war er überwiegend in Sachsen, Brandenburg und Thüringen unterwegs. Er kennt also die Fußballplätze der Region in all ihrer Vielfalt und weiß, wo die Bänke am Spielfeldrand besonders bequem sind.
Herr Biesenbach, am Sonntag stand das Training unter dem Motto „Tricksen wie Eden Hazard“. Was hat es damit auf sich?
Es spiegelt die Philosophie des Coerver-Trainings wider, denn wir schauen nach den besonderen Fähigkeiten und Tricks der großen Stars. Und das wollen wir dann auch an die Kinder weitergeben.
Was beherrscht denn Eden Hazard für einen Trick?
Unter anderem den Chop. Es ist ein Trick mit der Hacke, den auch Ronaldo oft präsentiert hat. Er spielt den Ball hinter dem Standbein seitlich vorbei. Mit dem Trick kann man einen Gegner ausspielen, wenn er vor einem steht und man an ihm vorbeikommen möchte oder sich der Gegenspieler im Laufduell neben einem befindet.
An welchen großen Tricksern haben Sie sich denn an den anderen beiden Tagen orientiert?
Kylian Mbappé und Paul Pogba. Letztlich geht es hierbei stets um Finten und Körpertäuschungen.
Vorhin gab es eine Übung, bei der die Kinder den Ball nur in den Händen hielten. Es erinnerte ein wenig an ein FangSpiel.
Genau, auch da ging es in erster Linie um Körpertäuschungen. Die Kinder sollten erkennen, dass es letztlich nicht anderes ist als mit dem Ball am Fuß. Und anschließend haben sie das dann ja auch mit dem Ball am Fuß geübt.
Aber es ist doch allemal schwieriger mit einem Ball am Fuß als ohne?
Natürlich, das ist in koordinativer Hinsicht viel schwieriger. Man muss sich weit mehr konzentrieren, aber die Bewegungsgrundlage ist letztlich dieselbe.
Es geht also um das Gefühl, die Bewegung, die eigentliche Idee sozusagen?
Genau.
Herr Biesenbach, Sie sind 30 Jahre alt. Was hat sich denn Ihrer Meinung nach seit Ihren Kindheits und Jugendtagen in der Fußballausbildung verändert?
Das ist jetzt schwierig zu erklären, denn ich mache heute etwas völlig anderes als in meiner Zeit als Jugendspieler. Die technischen und auch koordinativen Aspekte des Sports spielten damals kaum eine Rolle.
Auf was wurde denn damals bevorzugt das Augenmerk gelegt?
Im Nachhinein ist das schwer zu verallgemeinern, da ich viele verschiedene Trainer mit unterschiedlichen Vorstellungen hatte. Einige Trainer pflegten das Motto „Fußballspielen lernt man durch Fußballspielen“und ließen eben überwiegend spielen und weniger üben. Andere legten den Schwerpunkt auf das Körperliche. Wieder andere auf Zusammenspiel und Passfolgen. Aber auch dafür sind technische Grundlagen wichtig. Es mag jetzt komisch klingen, doch ich profitiere auch ein wenig von diesem Ausbildungsdefizit, da ich es heute exakt anders machen kann. Ich quasi aus meiner eigenen Fußball-Biographie um die Baustellen weiß.
Sie vermitteln nur Technik? Ja, ich bin, wenn man denn so will, ein Fachidiot. Ich weiß natürlich, dass auch anders Aspekte wie etwa Athletik oder das generelle Zusammenspiel ebenfalls sehr wichtig sind. Ich habe auch das Gefühl, dass die Körperlichkeit heute wieder eine größere Rolle spielt als vor ein paar Jahren. Vor zehn Jahren rückte indes die Technik erstmals verstärkt in den Focus. Anderseits habe ich das Gefühl, dass die Technik gerade wieder eine Renaissance erlebt. Gerade jetzt nach der bescheidenen Weltmeisterschaft. Bei der Nationalmannschaft wurde kaum eine Eins-gegen-eins-Situation mit Hilfe eines Dribblings gelöst. Exaktes Passspiel ist wichtig, doch es reicht alleine oftmals nicht aus, um schwierige Situationen während eines Spiels mit engen Räumen zu lösen.
Welche Inhalte haben Sie an die Kinder in Silbitz während der drei Tage vermittelt?
Es gibt ja die Coerver-Pyramide, und deren sechs Bausteine sollten in jeder Übungseinheit vermittelt werden. Das Fundament ist dabei die Ballbeherrschung, da machen wir stets viele kleine Übungen, bei denen jedes Kind einen Ball hat. Passspiel, Zweikampf, Torabschuss, Schnelligkeit und das Spielen in der kleinen Gruppe sind weitere Bestandteile der Pyramide. Gerade das Spielen in kleinen Gruppen ist wichtig, denn wenn mehr als vier Kinder in einem Team sind, wird es stets welche geben, die kaum Ballkontakte haben. Bei drei oder vier Kindern ist das eher unwahrscheinlich.
Kann man also sagen, dass die Technik für Sie das A und O des Fußballs ist?
Auf jeden Fall. Andere mögen andere Prioritäten setzten, doch für mich ist die Technik die Grundlage.
Ist Technik eigentlich schwer zu vermitteln?
Man muss schon etwas Geduld mitbringen. Außerdem muss man sie Schritt für Schritt vermitteln. Das Wichtigste ist jedoch, dass man mit den Kindern zusammenarbeitet. Den Kindern das Feld überlässt, wenn sie denn einmal selbst Lösungen finden sollen, sie dann aber auch natürlich entsprechend korrigiert, wenn sie denn einmal den falschen Weg eingeschlagen haben. Gerade bei der Technik ist die Korrektur von Anfang an sehr wichtig, damit sich Fehlerbilder erst gar nicht einschleichen und dann womöglich verselbstständigen und im schlimmsten Fall auch noch verfestigen. Bei C- und B-Jugendlichen sehe ich das oft. Nicht wenige machen beispielsweise einen Übersteiger, doch sie haben ihn halt jahrelang irgendwie gemacht – und dergleichen dann zu korrigieren, wir natürlich mit fortschreitendem Alter immer schwieriger. Die Bewegungsmuster sind dann oftmals sehr schwer aufzubrechen.
Was ist das größte Defizit, das Sie generell ausmachen beim FußballNachwuchs? Die Handlungsschnelligkeit und der erste Ballkontakt sind elementare Dinge, die ich versuche von Anfang an zu vermitteln und bei denen ich auch stets Verbesserungspotential aufgrund von Defiziten ausmache. Die erste Berührung ist sehr entscheidend, man kann Zeit und Raum mit ihr gewinnen, doch oft stoppen die Kinder den Ball und beginnen dann erst zu überlegen. Letztlich ist es eine Kopfsache. Das Ideal wäre, dass ich als Spieler schon weiß, wohin ich den Ball spielen möchte, bevor ich ihn bekomme. Dass ich mich mental und auch körperlich, ich denke da beispielsweise an die Stellung der Füße, auf die neue Situation bereits eingestellt habe. Sie sollten auf beiden Ebenen schon immer einen Schritt weiter sein. Ergo: Sie müssen antizipieren, sie müssen einfach mitdenken.
Sind für ein solch komplexes Unterfangen drei Tage ausreichend?
Es bringt schon etwas, aber vor allem für diejenigen, die das Erlernte dann auch selbstständig weiter üben. Solche wissbegierigen Kinder tauchen auch in jedem Camp auf und es macht Spaß, nach einem Jahr beim nächsten Camp zu beobachten, was sie noch alles können oder sie sich womöglich auch weiterentwickelt haben. Dafür gebe ich Übungen mit, welche die Kinder auch alleine absolvieren können. Daneben ist aber ein regelmäßiges Techniktraining wichtig. Dafür versuchen wir Kinder, Trainer und Eltern zu sensibilisieren und bieten selbst auch regelmäßiges Techniktraining an.
Was wäre denn so eine Übung?
Der sogenannte Balltanz beispielsweise, bei dem die Kinder innerhalb von 20 Sekunden den vor ihnen liegenden Ball so oft wie nur möglich mit beiden Füßen in einer bestimmten Abfolge berühren müssen. Ausbildung in puncto Technik in ihrer Kindheit und Jugend gewünscht?
Definitiv. Ich habe jenseits des Trainings nie etwas Zusätzliches gemacht. Feriencamps für Fußballer sind an mir völlig vorbeigegangen. Ich weiß nicht einmal genau, ob es so etwas damals gab – und so ruhte der Ball die Sommerferien über mehr oder weniger. Außerdem wechselten die Trainer permanent – und somit auch die Schwerpunkte. Technik spielte damals eine eher untergeordnete bis gar keine Rolle. Doch leider war das genau mein Defizit, wie ich dann später feststellen musste.
Was war denn Ihre bevorzugte Position?
In meiner Jugend gab ich den klassischen Libero und habe die Bälle hinten hinausgeschlagen. Technik war eher ein Fremdwort für mich. Aber ich war als Libero ganz gut, doch dann kam ich in den Männerbereich, wo ich plötzlich mehr gefordert war. Und da wünschte ich mir, dass ich in den Jahren zuvor auch einmal etwas anderes trainiert hätte.
Sie arbeiten ja nun viel mit Kindern und Jugendliche zusammen. Woran orientieren die sich beim Fußball? Was ist Ihr Eindruck?
Die Kinder und Jugendlichen nutzen natürlich die modernen Medien. Sie schauen auf youtube nach, was Messi oder Ronaldo für Tricks auf Tasche haben – und dann machen sie das halt einfach nach.
Die oftmals kritisierte Omnipräsenz des Internets hat also auch Vorteile?
In diesem Fall würde ich das glatt unterschreiben. Vor 20 Jahren ging das nicht. Doch natürlich brauchen die Kinder am Ende einen Trainer, der dergleichen entsprechend detailliert vermittelt. Doch was die generelle Verfügbarkeit an Anschauungsmaterial betrifft, ist es heute ganz einfach. Und das ist zweifelsohne ein Vorteil, zumal es die Kinder und Jugendlichen ungemein motiviert.
Ronaldo und Messi waren gute Stichwörter: Wer ist denn für Sie der bessere Fußballer? Eindeutig Cristiano Ronaldo, er ist für mich der kompletteste Fußballer auf diesem Planeten. Er ist jetzt 33 Jahre und immer noch unfassbar fit. Und er hat sich im Laufe der Jahre unwahrscheinlich gewandelt, hat sich von einem – nun ja – selbstverliebten Trickser zu einem erschreckend effektiven Spieler entwickelt.
Messi ist aber der bessere Dribbler.
Stimmt, er kann, auch aufgrund seiner überschaubaren Körpergröße, den Ball sehr eng spielen.
Wer war denn Ihr Idol früher? Matthias Sammer, er war ja wie ich Libero. Er hat diese Position jedoch völlig neu interpretiert. Es sah bei ihm auch alles sehr elegant aus. Er spielte zwar hart, aber er wirkte dabei nie hölzern.
Letzte Frage, welcher hat Sie denn nachhaltig beeindruckt? Das kann ich ad hoc gar nicht beantworten. Was ich aber sagen kann, ist, dass die Bänke bei Blau-Weiß 90 Neustadt an der Orla unglaublich bequem sind.