Thüringische Landeszeitung (Jena)
Teil der norwegischen Identität
In diesem Jahr feiert die Postschifflinie Hurtigruten 125-jähriges Bestehen. Von Beginn an war die so wichtige wie populäre Versorgungsroute für den Transport von Touristen konzipiert
Das traditionsreiche Postschiff „MS Finnmarken“, das an der Hafenkante des Museumsgeländes im norwegischen Stokmarknes aufgepallt steht, wird nie wieder in See stechen. Doch die Erinnerungen, die das Schifffahrtsmuseum bei einigen Besuchern weckt, sind höchst lebendig. Anno 1893, vor 125 Jahren, begründete Kapitän Richard With hier in Stokmarknes den Dampfschiffdienst mit Namen Hurtigruten („Schnellroute“). Er sollte abgelegene Küstenorte Norwegens miteinander verbinden und so Handel sowie Personenverkehr ermöglichen. Allein seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs beförderte Hurtigruten mehr als 30 Millionen in- und ausländische Passagiere.
70 Prozent der Passagiere sind Urlauber
Von Beginn an war die Flotte auch für den Tourismus konzipiert, denn die Norweger sind stolz auf ihren schönen Küstenstreifen, der auf der Karte wie der „Tigerrücken“Skandinaviens aussieht. Auf den Schiffen traditioneller Bauart gab es die erste Klasse für Kreuzfahrer – vornehm aus dunklem Holz – und die zweite für Transportreisende. Bei Schiffen, die jüngeren Baujahres als 1952 sind, wurde die Unterscheidung in Klassen abgeschafft.Für die Kreuzfahrer, die mittlerweile 70 Prozent der Passagiere ausmachen, werden auch Umwege in Fjorde gefahren. Viele fahren in zwölf Tagen die ganze Strecke, von Bergen, an der Stirn des Tigers, nach Kirkenes, am Schwanzansatz, und zurück. Das sind 34 Häfen auf 2500 Seemeilen.
Das Schiff der modernen Generation heißt „Polarlys“(„Polarlicht) – nach der Erscheinung, die sich in den nördlichen Polregionen im Winter zeigt. Doch nun ist Sommer, Zeit also für eine andere Besonderheit: die Mitternachtssonne. In Kirkenes geht es zunächst ins Hotel und dann spätabends, es ist noch taghell, auf Königskrabben-Safari.
An Deck beobachten interessierte Mitreisende, wie Hafenarbeiter beim An- und Ablegen die schweren Festmacher über Poller heben. Die Schiffe der modernen Generation legen stets mit Backbord an, der linken Schiffsseite, denn dort haben die Schiffe sowohl die Ladeluke als auch die Gangway für die Passagiere.
Früher befanden sich an Bord zwei Kräne – einer für den Stauraum am Bug und einer mittschiffs achtern. Da schwebten dann wie an Riesenkrakenarmen Bündel mit Brief- und Paketsendungen sowie Stückgut, Waschmaschinen oder Motoren über den tiefen Spalt zwischen Schiff und Kaimauer. In so manchem Hafen spielte zur freudigen Begrüßung und Unterhaltung der Passagiere eine Kapelle der norwegischen Heilsarmee, Frelsesarmeen Sagene, auf.
„Heutzutage fahren die Schiffe pünktlich nach Fahrplan. Früher sind sie gekommen, wie es passte“, sagt Kapitän Jon Olaf Klodiussen. Der 55-Jährige fährt seit vielen Jahren für Hurtigruten, meist auf der „Polarlys“. Klodiussen erzählt auch von seinen Drei-Wochen-Schichten und vom Gefühl, wenn er nach dem Landurlaub wieder an Bord geht. Er klopft sich mit der Faust auf die Brust. „Dann bin ich glücklich. Das Meer ruft nach mir.“
Auf der Fahrt lässt man manches hinter sich
Nachdem die „Polarlys“in Hammerfest angelegt hat, gehen wir von Bord, um eine der nördlichsten Städte der Welt anzusehen. Die markante Kirche ist schon vom Wasser aus zu erkennen. Schon geht die Reise weiter, vorbei an hohen, zerkarsteten Fjordwänden und flachen, glatt geschliffenen Felseninseln. Wie die Realität, mal uneben und kantig, dann abgerundet, fast sanft. An Ecken, die mit frischem Grün bewachsen sind, stehen die bunten typisch skandinavischen Unten-Steinoben-Holz-Häuser. Hinter jeder Biegung, die wir nehmen, zeigt sich ein neues Bild. Man lässt Vieles hinter sich, und bald geht es wieder hinaus aufs offene Meer.
Wer die Chance hat, an einem Sonnentag in einem kleinen Schnellboot übers spiegelglatte Wasser der Lofoten zu flitzen, dem schreibt das Glücksgefühl ob so viel Schönheit nicht nur ein Grinsen ins Gesicht, es brennt sich ein, irgendwo dort, wo der Kapitän hingeklopft hat. Bei Bedarf kann man es wieder hervorholen.