Thüringische Landeszeitung (Jena)
Grüße aus der Sandburg
Sie kommen daher wie Urlaubsgrüße aus verschollener Zeit. Schnappschüsse und Knapptexte aus der einstiegen Künstlerkolonie Ahrenshoop. Aus der 1949 das erste DDR„Intelligenzbad“wurde. Das „Bonzenaquarium“, wie der Volksmund schnell befand. Und wo sie alle waren – Abusch, Becher, Herzfelde, Sarah Kirsch, Christa Wolf und Heiner Müller... bis hin zu Karl Eduard von Schnitzler, dem „SudelEde“des „Schwarzen Kanal“. Sie sind bei C. H. Beck in Heft XII/2 der „Zeitschrift für Ideengeschichte“zu sehen, die vom Forschungsverbund Marbach Weimar Wolfenbüttel herausgegeben wird. Was schon andeutet, dass es nicht um Selfies vom Strand geht, sondern – wie Ulrich von Bülow (Literaturarchiv Marbach) und Hellmut Seemann (Klassikstiftung) schreiben – um „die Tatsache, dass hier... zum ersten und einzigen Mal in der deutschen Geschichte führende Politiker versuchten, einen ‚Intellektuellen Sammelpunkt‘ planmäßig im großen Maßstab neu zu organisieren“.
Es ist denn auch der ungelenke Charme des Anfangs, der da zu besichtigen ist. Da hat sich zum Beispiel Brecht zum Gruppenfoto am Strand eingefunden: Zwei Frauen, eine davon Helene Weigel, und drei Männer in enger Reihe – und dann mit kleinem Zwischenraum, einer Leere aus Strandhafer und Himmel, B. B. Das könnte auch die Illustration der Anekdote sein, derzufolge der Besucher in seinem Landhaus bei Berlin, die ihn zum Spaziergang einluden, entrüstet abwehrte: Ich bin doch kein Tourist! Natur & Naturalismus, da blieb er wohl lieber auf Distanz. Dass er dennoch darüber hinreißende Texte geschrieben hat, ist eine andere Geschichte.
Und eine noch ganz andere erzählt die Distanz, die er auf dem Foto zu den anderen der Gruppe wahrt, auch. Sie mag mit Ursprung und Scheitern der Idee des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands zu tun haben. An frischer Seeluft durchzuatmen und neue Ideen im Spülsaum der Ostsee zu baden – das funktionierte von Anfang an nicht. Das Intelligenzbad war eine hübsche Sandburg, die der Wind des Misstrauens der Dogmatiker des kalten Krieges verwehte. Freilich war Ahrenshoop nicht Peredelkino, das DichterDorf bei Moskau, von wo aus es oft direkt ins Gulag ging – wie es ein Beitrag dieses Heftes darlegt. Aber richtig schön war es eben auch nicht.
PS. Übrigens übersandte uns das Heft H. H., der ehemalige Chefredakteur dieser Zeitung. Dank und Gruß auf diesem Wege. Herzlich B. B.