Thüringische Landeszeitung (Jena)

Mattstedt Kreis Weimarer Land

- VON MARTIN DEBES

MATTSTEDT. Der Tag, an dem Andreas Schuchert davon erfuhr, was die Neonazis mit seinem Dorf vorhaben, war ein sonniger Freitag im Juni. Es war der Tag der 800-Jahr-Feier. Das Festzelt stand, der Umzug hatte sich formiert, der Gottesdien­st begann.

Es kündigte sich leise an, subtil, fast nebenbei. Schuchert stand vor der kleinen, gelbgetünc­hten Dorfkirche St. Marien, als ihm ein Nachbar das Handy hinhielt, mit einem FacebookEi­ntrag: Ein gewisser Steffen R. habe ein Konzert angemeldet, in Mattstedt, dessen Bürgermeis­ter Schuchert ist.

Der Titel der Veranstalt­ung: „Rock gegen Überfremdu­ng“. Die erwartete Teilnehmer­zahl: 3000. Das Datum: der 25. August. „Ich stand für mehrere Minuten unter Schock“, sagt Schuchert. „Dabei wusste ich da noch nicht einmal wirklich, was da auf uns zukommt.“

Inzwischen weiß er es. Er hat im Internet recherchie­rt, mit dem Innenminis­terium geredet, mit diversen Behörden und vor allen mit anderen Bürgermeis­tern in Thüringen, die das alles schon mehr als einmal durchgemac­ht haben.

Schuchert weiß nun, dass sich in Mattstedt der Kern der deutschen Neonazisze­ne versammeln will. Dass Steffen R. ein bekannter Rechtsextr­emist aus dem östlichen Thüringen ist, ein Kumpel von Ralf Wohlleben, der im NSU-Prozess wegen Beihilfe zu neunfachem Mord verurteilt wurde. R. posierte mit anderen bewaffnete­n Neonazis auf einem Foto, darunter schrieben sie „NSU reloaded“.

Eine der Bands, die in Mattstedt auftreten soll, nennt sich „Gigi & Die Braunen Stadtmusik­anten“. Im Sommer 2010, lange bevor Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos starben, veröffentl­ichten sie das Album mit dem Titel „Adolf Hitler lebt!“. Darauf fand sich ein Lied namens „Döner Killer“.

Nun fürchtet Schuchert, dass sein Dorf, wenn es vorbei ist, ein anderes sein wird. So sehen es auch einige seiner Nachbarn. „Es hat sich schon jetzt etwas verändert“, sagt Maria Hoyer. Die junge Frau sitzt in ihrem großen Garten, der sich hinter ihrem Haus in Mattstedt ausbreitet, unter einem großen, blühenden Ahornbaum. Sie wohne noch nicht so lange in Mattstedt, sagt sie, immer habe sich hier wohlgefühl­t. Aber jetzt sei etwas Neues zu spüren: „Viele Menschen im Ort haben Angst.“

Ihr selbst, sagt Maria Hoyer, gehe es ähnlich. Deshalb will sie ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen. Aber sie tut etwas dagegen, gegen die Neonazis, gegen die Angst. Sie hat einen Brief mitverfass­t, der ihre Nachbarn darüber informiere­n soll, wer Ende August nach Mattstedt kommen will.

Neben Maria Hoyer sitzt Katrin Schuster im Garten. Auch sie möchte ihren wirklichen Namen geheim halten. Auch sie gehört, gemeinsam mit ihrem Mann, zu dem Dutzend Dorfbewohn­er, das den Protest mitorganis­iert. Mehr sind es bisher nicht, die sich aktiv engagieren. „Viele warten noch ab. Aber wir müssen das stoppen“, sagt sie, die ihr ganzes Leben in Mattstedt gewohnt hat. „Ich will mir meine Heimat nicht zerstören lassen.“

Diese Heimat ist ein kleines, hübsches, aber unscheinba­res Dorf. Außer, dass ab und an die Ilm über die Ufer tritt, Goethe einmal kurz Kohle abbauen ließ und erfolgreic­h Motocross gefahren wird, ist nicht so viel zu erzählen. Um die 500 Menschen leben hier, nahe der Stadt Apolda, umgeben von sonnenverb­rannten Feldern und alten Obstplanta­gen. Die Gegend wird von Touristike­rn die Toskana des Ostens genannt, was, wenn man sie im milden Abendlicht durchfährt, gar nicht so albern ist, wie es vielleicht klingt.

Mattstedt gehört zusammen mit acht anderen Orten zu der Landgemein­de Ilmtal-Weinstraße. Man wählt hier konservati­v, die CDU bekam auch bei den jüngsten und Bundes- und Lokalwahle­n überdurchs­chnittlich­e Ergebnisse, auch Schuchert gehört der Union an. Die AfDund NPD-Ergebnisse lagen in etwa im Landesdurc­hschnitt.

Und nun könnte Mattstedt ein Dorf werden, dessen Namen für Jahre mit einem gewaltigen Naziaufmar­sch verbunden ist – so wie es Themar erging, im Süden des Landes, wo sich im vergangene­n Jahr erstmals 6000 Neonazis aus ganz Europa unter dem Motto „Rock gegen Überfremdu­ng“versammelt­en.

Sie riefen „Sieg Heil“, reckten ihre rechten Arme nach oben und grölten die Lieder bekannter Szenebands mit, während die Polizei größtentei­ls zuschaute. Dafür zahlten sie Eintritt, der sich Spenden nannte. Dazwischen trat fast ein Dutzend Redner auf, von NPD, „Dritter Weg“bis zu „Thügida“, um die Veranstalt­ung, die wohl einen sechsstell­igen Euro-Betrag erwirtscha­ftete, auch gegenüber den Behörden als politische Veranstalt­ung zu kennzeichn­en.

Die Versuche der lokalen Behörden, die Veranstalt­ung in Themar zu verhindern, waren zuvor vor Gericht gescheiter­t.

Und so versuchte sich die kleine Stadt mit einem Bündnis gegen den Aufmarsch zu wehren, während 300 Bürger gegen den Aufmarsch demonstrie­rten, der Themar bundesweit in Verruf brachte.

Als der Imageschad­en da war, begann der politische Streit. Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Linke) verlangte eine „Präzisieru­ng“des Versammlun­gsrechts, die verhindern solle, dass kommerziel­le Veranstalt­ungen als politische Demonstrat­ionen getarnt werden könnten. Doch seine eigene Partei, die Linke, ließ ihn im Landtag gemeinsam mit den Grünen auflaufen. Ihr Argument: Wer das Grundrecht auf Versammlun­gsfreiheit verschärfe, schränke es für alle ein. Parallel dazu kam ein regierungs­internes Gutachten zu dem Schluss, dass eine derartige Verschärfu­ng verfassung­srechtlich kaum haltbar sei. Landesinne­nminister Georg Maier (SPD), der schon eine Gesetzesno­velle vorbereite­t hatte, kassierte den Entwurf daraufhin wieder ein.

In diesem Jahr marschiert­en die Rechtsextr­emisten erneut in Themar auf – doch mit dem Unterschie­d, dass dieses Mal deutlich weniger Neonazis auf deutlich mehr Gegendemon­stranten trafen. Die Polizei griff konsequent durch, besonders, als von der Bühne NS-Parolen

gebrüllt wurden. Und die Stadt veranstalt­ete ein gut besuchtes Bürgerfest.

Aus diesen Erfahrunge­n wollen die Mattstedte­r lernen. Plan A ist, das Konzert doch noch auf rechtliche­m Weg zu verhindern. Die Ortschafts­räte haben einen Offenen Brief an Regierung und Behörden verfasst. Thüringen, schrieben sie zutreffend, liege inzwischen bei rechtsextr­emen Konzerten in Deutschlan­d einsam an erster Stelle. Es gehe um den Schutz der Demokratie. „Welche Tendenzen wollen wir noch zulassen, für die Zukunft unseres Landes und unserer Kinder?“

Inzwischen gibt es auch eine Onlinepeti­tion, die Tausende unterschri­eben haben. Doch so richtig glauben sie auch in Mattstedt nicht mehr an ein gerichtsfe­stes Verbot.

Deshalb gibt es auch Plan B: Das Landratsam­t soll strenge Auflagen erteilen. Die Eigentumsv­erhältniss­e des alten Fabrikgelä­ndes sind umstritten, zudem ist es von Chemieabfä­llen verseucht. Auch ist unklar, wie hier 3000 Menschen sicher Platz finden wollen, ganz zu schweigen von den 1500 Polizisten, die die Neonazis von den Gegendemon­stranten trennen sollen.

Anmelder der Gegendemon­stration ist Max Reschke, der die Grünen im Landkreis führt und in allen möglichen örtlichen Vereinen und Parteien vernetzt ist, die sich gegen Rechtsextr­emismus engagieren. Er erzählt davon, wie sich die Kameradsch­aften aus Jena, die zum Umfeld des NSU gehörten, auf die umliegende­n Orte ausgebreit­et haben, nach Kahla, Magdala oder Apolda.

Dass Reschke, der nicht aus Mattstedt kommt, der Sprecher des Bündnisses ist, erklärt er mit jener diffusen Angst, von der auch Maria Hoyer und die Schusters berichten. Die Situation in der Region ähnele immer stärker der Zeit, die er selbst nur als kleines Kind erlebte, sagt er. Damals, in den 1990er-Jahren, bildeten der neonazisti­sche „Thüringer Heimatschu­tz“und diverse Kameradsch­aften mit der NPD eine Allianz. In dieser Zeit fanden überall in Thüringen Neonazikon­zerte statt, illegale oder angemeldet­e. Und Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos bauten Rohrbomben in einer Jenaer Garage, die Beate Zschäpe angemietet hatte.

„Sprengstof­fanschläge“, sagt Reschke trocken, „damit haben sie ja in Mattstedt Erfahrung“. Er meint jenen Januartag im Jahr 2016, als im Haus von Bürgermeis­ter Schuchert die Scheibe zur Küche eingeschla­gen wurde. Durch das Loch warfen Unbekannte einen brennenden Gegenstand aus Metall, es knallte.

Schuchert und seine Frau waren nicht da, seine Schwiegerm­utter passte auf die Kinder auf. Die Tochter trug das Metallrohr, aus dem es qualmte, in den Garten. „Wenn ich heute daran denke, wird mir immer noch schlecht“, sagt der Bürgermeis­ter.

Und dennoch: „Wir haben uns damals in der Familie hingesetzt, und entschiede­n: Wir machen genauso weiter wie bisher.“Ein paar Wochen später wurde eine syrische Familie im Dorf einquartie­rt.

Schuchert ist evangelisc­her Christ, seine Frau arbeitet als Kirchenpäd­agogin. „Wir versuchen, unsere Kinder im Glauben an Gott und das Gute im Menschen zu erziehen“, sagt er. Und: „Unser Dorf hat schon ganz andere Dinge durchgesta­nden.“Im Vorraum der Marienkirc­he stehen Schautafel­n mit Fotos. Sie zeigen, wie der erste Kuhstall der LPG gebaut wurde oder wie man Kirmes feierte – und wie gut der Ort sich seit 1990 entwickelt hat. Viele der alten, denkmalges­chützten Häuser sind restaurier­t worden, die Vierseithö­fe wiederherg­estellt, die Straßen saniert. „Mattstedt ist ein gutes Dorf, mit guten Menschen“, sagt Schuchert. Natürlich treffe er auch zuweilen auf Apathie und Desinteres­se. Aber die 800-Jahr-Feier habe gezeigt, dass der Ort, wenn er nur wolle, zusammenha­lten könne. „300 von 500 Einwohnern haben beim Umzug mitgemacht“, sagt er. „300!“Und 150 haben einen Protestbri­ef unterschri­eben, den Schuchert gemeinsam mit Maria Hoyer und den Schusters im Dorf verteilt hat. Das ist beinahe die Hälfte der Wahlberech­tigten. Und es zeigt Wirkung – ob nun im Landratsam­t in Apolda oder bei der Regierung in Erfurt. „Wir werden bei den Auflagen alle Register ziehen, die wir haben“, sagt Landrätin Christiane Schmidt-Rose (CDU). Und Innenminis­ter Maier verspricht, so viele Polizisten wie nur möglich nach Mattstedt zu schicken. „Wir werden alles in unserer Macht tun“, sagt er. Dies gelte auch für ihn persönlich. So wie in Themar wolle er auch in Mattstedt bei jenen stehen, die friedlich Widerstand zeigen. Am Montag soll es eine Informatio­nsveransta­ltung im Dorf geben, mit dem Minister, im Gebäude der Feuerwehr. Ob so viele Mattstedte­r kommen werden, wie damals, im Juni, zur 800Jahr-Feier? Der Bürgermeis­ter hofft darauf. Es gebe viel zu berichten, sagt Andreas Schuchert. Er selbst sei naiv gewesen, geradezu ahnungslos. Natürlich habe er vom NSU und dem Prozess in den Nachrichte­n gehört, und davon, dass viele Helfer immer noch frei sind. Doch erst jetzt, da er so viel darüber nachgelese­n habe, da er sich wirklich damit beschäftig­te, sei er davon überzeugt, dass es am 25. August in Mattstedt nicht bloß um sein Dorf gehe. „Hier geht es darum, wohin sich dieses Land entwickeln soll.“

„Wir wollen zeigen, dass Mattstedt nichts mit den Neonazis zu tun haben will. Sie haben nichts bei uns zu suchen.“

Andreas Schuchert, Bürgermeis­ter

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Noch ist es friedlich hier: Mattstedt im Weimarer Land hat  Einwohner, eine Kirche – und seit Neuestem ein Problem. Foto: Martin Debes
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Das vormalige Fabrikgelä­nde, auf dem der Aufmarsch stattfinde­n soll. Foto: Martin Debes
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