Thüringische Landeszeitung (Jena)
Bayer droht Prozesslawine um Pestizid Glyphosat
Konzern soll 289 Millionen Dollar an USKrebspatient wegen Unkrautvernichter zahlen
WASHINGTON. Das erste KrebsUrteil in den USA gegen das weltweit eingesetzte Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat kann für den deutschen ChemieRiesen Bayer eine milliardenschwere Prozesslawine nach sich ziehen. Nach Überzeugung einer Geschworenen-Jury in San Francisco hat der im Juni für 63 Milliarden Dollar im Bayer-Imperium aufgegangene US-AgrarKonzern Monsanto aus „Heimtücke“die schädliche Wirkung seines Umsatzbringers Roundup verschwiegen.
Einem unheilbar an Lymphdrüsen-Krebs (Non-Hodgkin) erkrankten Hausmeister in Kalifornien, der jahrelang Grünflächen mit dem Mittel besprüht hatte, wurde darum am Freitag ein Schmerzensgeld in Höhe von 289 Millionen Dollar (250 Millionen Euro) zugesprochen. Die noch nicht rechtskräftige Summe entspricht dem, was Bayer im vergangenen Jahr konzernweit für Rechtsstreitigkeiten ausgab. Weil in den USA 5000 weitere Kläger Krebserkrankungen auf das Herbizid Glyphosat zurückführen und ein anderer Bundesrichter in Kalifornien just 400 weitere Klagen gegen Monsanto zugelassen hat, tut sich für Bayer ein bedrohliches Szenario auf. Renate Künast (Grüne), ehemalige Bundeslandwirtschaftsministerin
Die Bayer-Konzernzentrale in Leverkusen reagierte harsch: „Das Urteil steht im Widerspruch zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen, wonach kein Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Glyphosat und dem Non-Hodgkin-Lymphom besteht.“Mit anderen Worten: Das Chemieunternehmen spricht der Laien-Jury, die über die Klage des 46-jährigen Dewayne Johnson zu befinden hatte, die Urteilsfähigkeit ab und setzt auf ein Berufungsverfahren.
In einer Stellungnahme heißt es zwar, Monsanto habe „Mitgefühl mit Herrn Johnson und seiner Familie“. Doch die Anwälte des Konzerns wollen nach den Worten von Vizepräsident Scott Partridge herausarbeiten, dass weltweit „über 800 Studien“ergeben hätten, dass das seit über 40 Jahren produzierte Glyphosat unbedenklich sei. Die USUmweltbehörde EPA hatte 2017 die Lizenz zum Verkauf des „Weed Killers“verlängert.
Dagegen stützte sich Johnsons Anwalt Brent Wisner im vierwöchigen Prozess vor dem Superior Court auf ein Gutachten der zur Weltgesundheitsorganisation gehörenden „Internationalen Agentur für Krebsforschung“(IARC). Nach Tumorstudien an Mäusen und Ratten 2015 erklärten die Wissenschaftler dort, dass Glyphosat Das von Monsanto hergestellte Herbizid Roundup. Foto: dpa
für Menschen als „wahrscheinlich krebserregend“einzustufen ist.
Außerdem versuchte Wisner anhand von internen Akten den Nachweis zu führen, dass Monsanto seit Jahren von der Gefährlichkeit des Produkts wusste. Die Informationen seien aber frisiert und unterdrückt worden, um den Eindruck der Harmlosigkeit zu erzeugen. Monsanto bestreitet das.
Für Bayer, das nach Erfüllung kartellrechtlicher Auflagen in Kürze offiziell für Monsanto verantwortlich sein wird, kann das Urteil eine Kettenreaktion auslösen. Zuvor hatte bereits ein Bundesgericht in Brasilien – zweitwichtigster Absatzmarkt für Glyphosat – den Einsatz des Unkrautvernichtungsmittels beim Anbau von Soja und Mais untersagt.
Auch in Deutschland, wo pro Jahr 5000 Tonnen Glyphosat in der Landwirtschaft ausgebracht werden, wird die Kritik lauter. „Wir brauchen jetzt dringend ein umfassendes Anwendungsverbot“, erklärte die ehemalige Bundeslandwirtschaftsministerin Renate Künast (Grüne) am Sonnabend. „Es geht um die Gesundheit von Bauern, Gärtnern und Konsumenten. Und vor allem um die Gesundheit der Kinder.“Die Politikerin wirft der amtierenden Ressortchefin Julia Klöckner (CDU) Untätigkeit bei diesem Thema vor. Obwohl sich CDU/CSU und SPD im Koalitionsvertrag darauf verständigt hätten, den Einsatz von Glyphosat „so schnell wie möglich grundsätzlich zu beenden“.
Dagegen steht die Beurteilung durch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Danach besteht „nach derzeitigem Stand der Wissenschaft bei bestimmungsgemäßer und sachgerechter Anwendung von Glyphosat kein Risiko für Krebsentstehung oder Erbgutveränderungen für den Menschen“.
Dewayne Johnson, der nach Angaben von Ärzten das Jahresende voraussichtlich nicht mehr erleben wird, reagierte nach dem Urteil in San Francisco emotional. „Hier geht es nicht nur um mich“, sagte der Afroamerikaner unter Tränen, „dieser Fall wird nun hoffentlich die Aufmerksamkeit bekommen, die er verdient.“
„Wir brauchen jetzt dringend ein umfassendes Anwendungsverbot.“