Thüringische Landeszeitung (Jena)

Das Ende der Zeitumstel­lung?

Die OnlineAbst­immung der EU, die am Donnerstag endet, könnte den Weg für eine einheitlic­he Uhrzeit in Sommer und Winter bahnen

- VON JULIA EMMRICH

BERLIN/BRÜSSEL. Die Sonne geht um acht Uhr unter, kurz darauf ist es dunkel in Deutschlan­d: So sähe es jetzt aus, Mitte August, wenn die Sommerzeit abgeschaff­t wäre. Die meisten Deutschen wünschen sich ein Ende der Zeitumstel­lung, sie wollen wieder Verhältnis­se wie vor 1980, ohne lästiges Uhrenumste­llen im Frühjahr und im Herbst, ohne Jetlag und Schlafprob­leme. Doch die Sommerzeit ist längst keine nationale Angelegenh­eit mehr, sie ist durch EURecht geregelt. An diesem Donnerstag endet nun eine europaweit­e Umfrage zur Zukunft der Zeitumstel­lung – sollte sich die Mehrheit wie erwartet dagegen ausspreche­n, könnte das Schwung in die Debatte um das Aus bringen.

„Ich bin sicher, dass die Zeitumstel­lung in Europa abgeschaff­t wird“, sagte Michael Theurer, stellvertr­etender Fraktionsv­orsitzende­r der FDP im Bundestag, dieser Zeitung. Er sei zuversicht­lich, dass die Umfrage der EU-Kommission eine Mehrheit ergeben werde. Die Kommission müsse dann zügig eine Initiative zur Abschaffun­g einleiten. „Möglicherw­eise gibt es noch vor der Europawahl einen Beschluss dazu. Wenn Deutschlan­d mitzieht, müssen wir vielleicht schon nächstes Jahr das letzte Mal die Uhren umstellen.“

Die Liberalen machen sich seit Langem für das Ende der Zeitumstel­lung stark. Bei einer Abstimmung im Frühjahr im Bundestag hatten sich auch Linke und AfD hinter die FDP-Initiative gestellt. Doch auch in den Reihen von Union und SPD gibt es Befürworte­r – zum Beispiel Verbrauche­rministeri­n Katarina Barley. „Ich selbst bin – wie viele andere auch – kein Fan der Sommerzeit. Ich würde mich wohler fühlen ohne Zeitumstel­lung“, so die SPD-Politikeri­n. Sie denke dabei „auch an die Leute, die kleine Kinder haben oder in der Landwirtsc­haft arbeiten. Ein abrupter Übergang von einem Tag auf den anderen kann da schon ziemlich belastend sein.“Auch das EU-Parlament und Länder wie Estland und Litauen fordern eine Reform der Zeitumstel­lung.

Was spricht für eine Abschaffun­g der Zeitumstel­lung?

Sie hält nicht, was sie verspricht. Die Energieein­sparungen durch die Sommerzeit sind nach Auffassung der EU-Kommission nur marginal. Laut Umweltbund­esamt knipsen die Deutschen wegen der Zeitumstel­lung im Sommer tatsächlic­h abends weniger häufig das Licht an – im Frühjahr und Herbst jedoch wird morgens dafür mehr geheizt. Echte Nachteile dagegen spüren viele: „Die Zeitumstel­lung ist ein massiver Eingriff in das Leben der Menschen“, sagt Theurer. Jeder vierte Deutsche berichtete in einer Umfrage der Krankenkas­se DAK im Frühjahr über gesundheit­liche Probleme durch die Zeitumstel­lung. Viele leiden nach dem Umstellen der Uhren an Einschlafp­roblemen und Konzentrat­ionsschwie­rigkeiten. Schlaffors­cher plädieren dafür, zu der jetzt Winterzeit genannten Normalzeit zurückzuke­hren. Auch die EU-Kommission verweist auf Studien, die zeigen, dass die Auswirkung­en auf den menschlich­en Biorhythmu­s stärker sein könnten als bisher angenommen.

Was spricht gegen eine Abschaffun­g?

Sollte die EU die verpflicht­ende Regelung aufheben und den Ländern eigene Regelungen ermögliche­n, könnte es zu einem Zeit-Chaos kommen. Ein Land kehrt dauerhaft zur Winterzeit zurück, ein anderes macht die Sommerzeit zur Regel, ein drittes bleibt bei der Zeitumstel­lung im Frühjahr und Herbst: Es wäre ein Horrorszen­ario für Wirtschaft, Tourismus, Datenverke­hr. „Wichtig ist“, findet auch Theurer, „dass es keinen europäisch­en Flickentep­pich gibt, sondern einen gemeinsame­n Schritt in allen EU-Ländern.“Ein weiteres Argument für die jetzige Regelung findet die EUKommissi­on bei den Landwirten: Eine Tageslicht­stunde mehr am Abend beschere im Sommer mehr Zeit für die Feld- und Erntearbei­t. Befürchtun­gen mit Blick auf den Biorhythmu­s der Tiere und die Verschiebu­ng von Melkzeiten durch die Zeitumstel­lung findet die Kommission unbegründe­t: Sie seien dank künstliche­r Beleuchtun­g und vieler Automatisi­erungstech­nologien überholt.

Ist das Ergebnis der OnlineUmfr­age für Brüssel bindend?

Die Umfrage ist kein formales Referendum – aber sie liefert ein starkes Votum: In den ersten Tagen war der Ansturm auf die Umfragesei­te so groß, dass sie für manche Internetnu­tzer nicht mehr zu erreichen war. Zur Hälfte der Laufzeit waren mehr als eine Million Antworten registrier­t. Auf Basis der Ergebnisse sowie anderer Studien und Meinungen will die EU-Kommission entscheide­n, ob sie die Abschaffun­g der Zeitumstel­lung vorschlägt. EU-Bürger können bei der Umfrage nicht nur angeben, ob sie künftig ohne Zeitumstel­lung leben würden, sondern auch, ob sie Winter- oder Sommerzeit bevorzugen würden.

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Foto: dpa Picture-Alliance / Sebastian Kahnert Müssen die Deutschen bald nicht mehr an der Uhr drehen?

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