Thüringische Landeszeitung (Jena)

Auftakt in Andalusien

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SANLÚCAR DE BARRAMEDA. So entspannt hat man Angela Merkel lange nicht mehr gesehen. Bei ihrem Besuch in Südspanien auf Einladung des spanischen Ministerpr­äsidenten, Pedro Sánchez, unternahm sie lange Spaziergän­ge durch die Sanddünen und die Kiefernwäl­der des traumhafte­n Doñana-Nationalpa­rks. Die warme Mittelmeer­brise zerzauste einer lächelnden Kanzlerin das Haar, die durch einen Feldsteche­r in die Ferne schaute. Was für ein Kontrast zu jenen Bildern Ende Juni, als Merkel im Asylstreit mit der CSU um den Fortbestan­d der Regierung und ihrer Kanzlersch­aft kämpfen musste wie noch nie.

In Spanien eng an ihrer Seite: Gatte Joachim Sauer, in kurzen Hosen, mit weißem Sonnenkäpp­i und einem Fläschchen Mückenspra­y bewaffnet. Der scheue emeritiert­e Professor für Quantenche­mie, der Merkel nur selten begleitet, war zuletzt ohne seine Frau durch die Südtiroler Bergwelt gestiefelt. Merkel kümmerte sich derweil auch um ihre hochbetagt­e Mutter in der Uckermark.

Nun kam der mächtigste­n Frau der Welt nach zweieinhal­b Wochen Auszeit die persönlich­e Einladung auf Sánchez’ Sommerresi­denz gerade recht, um ihre Haltung in der Flüchtling­s- und Migrations­politik zu untermauer­n, dass nationale Alleingäng­e nicht das Mittel der Wahl seien. Am Montag wird Merkel dann in Berlin wieder in den Regierungs­alltag einsteigen und im Kanzleramt den bosnischen Ministerpr­äsidenten, Denis Zvizdic, empfangen.

Für die konservati­ve Merkel und den Sozialiste­n Sánchez, der erst seit Kurzem in einer Minderheit­sregierung das Land führt, war es ein Wochenende der Harmonie. Spanische Beobachter sprachen von 20 Prozent Arbeit und 80 Prozent Entspannun­g, eine Work-LifeBalanc­e, von der Merkel an der Spree nur träumen kann. In Südspanien wurde aber auch gearbeitet. Merkel und Sánchez zimmerten eine neue Nord-Süd-Achse in der Migrations­politik, deren Belastungs­probe allerdings noch aussteht. Sie wollen die südeuropäi­sche Seegrenze besser absichern, vor allem Marokko bei der Grenzsiche­rung mit viel Geld unterstütz­en. Aus dem Reich von König Mohammed VI. meldeten Menschenre­chtler, Hunderte Migranten aus den Küstenregi­onen seien mit Bussen und teils gewaltsam ins Landesinne­re verfrachte­t, Zeltlager zerstört worden.

Der spanische Seenotrett­ungsdienst fischte am Wochenende wieder Hunderte Flüchtling­e und Migranten aus dem Wasser, seit Jahresanfa­ng gelangten nach UN-Angaben knapp 24 000 Flüchtling­e aus Nordafrika an die südspanisc­he Küste, die durch die Blockade Italiens zum Hotspot geworden ist.

In Spanien räumte Merkel ein, dass die europäisch­e Flüchtling­spolitik unveränder­t nicht funktionie­rt. Das DublinVerf­ahren – das Land ist für das Asylverfah­ren zuständig, wo ein Flüchtling ankommt – sei „nicht funktionsf­ähig“, eine gerechte Verteilung in der EU gebe es nicht. Als kleines Willkommen­sgeschenk für Merkel hatte Sánchez vor dem Treffen den Weg für ein RücknahmeA­bkommen frei gemacht. Seit Sonnabend können an der deutsch-österreich­ischen Grenze überprüfte volljährig­e Flüchtling­e binnen 48 Stunden nach Spanien gebracht werden, wenn sie dort bereits einen Asylantrag gestellt haben.

Nur: Das von CSU-Chef Horst Seehofer geführte Innenminis­terium hatte am Freitag mitgeteilt, dass seit Mitte Juni bei der Einreise nach Deutschlan­d acht (!) Personen auffielen, die in Spanien einen Asylantrag gestellt hatten. Davon sei aber keine einzige über die deutschöst­erreichisc­he Grenze gekommen, was bei einem Blick auf

die Europakart­e nicht verwundert. Und nur für diese Grenze gilt die Vereinbaru­ng mit Madrid. Nicht erfasst davon werden außerdem jene Flüchtling­e, die in Spanien zwar mit einem Fingerabdr­uck registrier­t werden, aber nicht um Asyl gebeten haben – sie können nahezu ungehinder­t versuchen, über Frankreich auch nach Deutschlan­d zu kommen.

Merkel schätzt die Bedeutung des von Seehofer ausgehande­lten Abkommens dennoch als „sehr, sehr hoch“ein. „Der Wert des Abkommens besteht darin, dass Deutschlan­d

und Spanien auf europäisch­e Lösungen setzen“, sagte sie. Auf solche zwischenst­aatliche Abkommen mit Transitver­fahren innerhalb 48 Stunden zur Rückführun­g bestimmter Flüchtling­e hatten sich CDU, CSU und SPD vor sechs Wochen geeinigt, um einen Koalitions­bruch abzuwenden.

Auch die CSU, die pauschale Zurückweis­ungen an der Grenze nicht durchsetze­n konnte, lobt das Abkommen als Erfolg. So viel Einigkeit für den Moment dürfte Merkel den Einstieg nach dem Urlaub zumindest leichter machen.

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