Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Wo es balzt, brütet und blüht

Bei den 3. Thüringer Naturfilmt­agen wird auch Uwe Müllers „Grenzgänge­r am Grünen Band“gezeigt

- VON CHRISTINA ONNASCH

JENA. Es ist Storchenze­it an der Werra. Mit weit gespannten Flügeln gleitet ein Weißstorch durch die Luft und landet kurz darauf auf einer Wiese. Schon packt er mit dem Schnabel eine Maus und fliegt zurück zum Nest. Dazu spricht eine Stimme aus dem Off: „Die Bewohner sagten immer: ‚Die Storche wohnen billig hier im Osten und gehen zum Einkaufen in den Westen.’ Und das ist noch heute so. Die Storche sammeln die fetten Mäuse in Hessen ein und tragen sie zu ihrem schreiende­n Nachwuchs in Thüringen.“

Die Szene aus dem Naturfilm „Grenzgänge­r am Grünen Band“, der für den MDR produziert und in der ARD-Reihe „Wildes Deutschlan­d“gezeigt wurde, vermittelt witzig-hintergrün­dig etwas über die Lebensreal­ität der Menschen in der DDR und legt den Schluss nahe, dass sogar das Verhalten der Tiere im Grenzgebie­t nicht davon verschont geblieben sei. Die Dokumentat­ion stammt von Uwe Müller. Seit 2009 lebt der 56-Jährige wieder in seiner Heimat, in Langenleub­a-Niederhain im Altenburge­r Land.

„Grenzgänge­r am Grünen Band“ist eine von acht Produktion­en, die am heutigen Freitag und morgigen Samstag bei den 3. Thüringer Naturfilmt­agen im Jenaer Kino im Schillerho­f gezeigt und anschließe­nd prämiert werden. Die Thüringer Landesanst­alt für Umwelt und Geologie in Jena will mit dieser Veranstalt­ung für Natur, Umweltschu­tz und Nachhaltig­keit sensibilis­ieren und Naturfilme­machern ein Podium bieten. Langfristi­g soll sich ein Filmfestiv­al nach dem Vorbild des „NaturVisio­n Filmfestiv­als“in Ludwigsbur­g, dem größten seiner Art in Deutschlan­d, etablieren. Das Grüne Band ist ein Lebensraum, der 40 Jahre lang zur Todeszone für Menschen wurde, die sie unerlaubt betraten. Tiere und Pflanzen aber konnten entlang der innerdeuts­chen Grenze zwischen Ostsee, Thüringer Wald und Vogtland ungestört ein Eigenleben entfalten. „Dieser Gegensatz hat mich fasziniert“, sagt Uwe Müller.

Und so setzte er das Naturwunde­r mit seinen mehr als 100 Biotop-Typen und 5200 Tierund Pflanzenar­ten in Szene: Grünländer, Seen, Wälder, Streuobstw­iesen; Braunkehlc­hen und Eisvögel, Wildkatzen und Moorfrösch­e, Dachse und Wanstschre­cken, Schwarzstö­rche und Biber, Glockenblu­men und Knabenkrau­t. Es balzt, brütet und blüht. „Ich wollte aber auch die politisch-historisch­e Bedeutung dieser Grenze deutlich machen“, sagt Uwe Müller. Daher gehören Menschen zum Film: Ein früherer Grenzoffiz­ier, der heute als Naturschüt­zer arbeitet, oder eine Schäferin aus dem Eichsfeld treten vor die Kamera.

Die Grenze – damit verbindet Uwe Müller auch einen Teil seines Lebens. Dort, wo er heute wieder lebt, ist er aufgewachs­en, zur Schule gegangen, hat eine Ausbildung zum Klempner gemacht. Irgendwann wurde ihm die DDR zu eng, 1988 ging er in den Westen: „Einer der wichtigste­n Gründe für diesen Schritt war meine Reiselust, die ich in der DDR nicht stillen konnte.“Bremen war nun Uwe Müllers neues Zuhause. Er studierte Maschinenb­au und eroberte die Welt: zuerst die USA, dann Australien, Neuseeland, Südamerika und so fort.

Irgendwann wollte Uwe Müller die Daheimgebl­iebenen an seinen Erlebnisse­n teilhaben lassen, also kaufte er sich eine Videokamer­a und eignete sich autodidakt­isch vom Schneiden bis zum Texten alles an, was man für die Produktion von Filmen braucht. Am Ende hatte er aus 90 Stunden Material einen zweistündi­gen Film kreiert; sein Publikum war entzückt und empfahl, es beim Fernsehen zu versuchen. Er ging auf Amateurfil­mfestivals, kaufte sich eine Filmkamera und nahm an Profifesti­vals teil. 1998 gewann er seinen ersten Filmpreis, 2000 das erste Filmfestiv­al. Inzwischen ist Uwe Müller mit seiner Produktion­sfirma Capricornu­m Film seit 21 Jahren im Geschäft.

Und dieses Geschäft laufe gut, sagt Uwe Müller. Naturfilme seien beim Publikum sehr gefragt, die Einschaltq­uoten hoch. Bis vor einiger Zeit arbeitete er mit dem ZDF und den dritten Programmen der ARD zusammen, inzwischen mehr mit dem MDR und Arte. „Ideen für neue Filme habe ich säckeweise“, sagt Uwe Müller. In Abstimmung mit den jeweiligen Redaktione­n der Fernsehsen­der entwickelt er Konzepte, schreibt Drehbücher und produziert die Filme. Zwei bis drei Jahre seien die übliche Produktion­szeit für Naturfilme.

Als Uwe Müller noch in der Welt unterwegs war und einige Zeit in Südamerika lebte, drehte er dort auch den Film „Jäger der Anden – Der Puma“. Drei Jahre lang begleitete er eine Pumamutter mit ihren drei Jungen. In der Antarktis entstand der Film „Das Ende der Gletscher“. Über die Kultur und Geschichte der Feuerlandi­ndianer erzählt der Film „Feuerland – Geschichte­n vom Ende der Welt“.

Was ein Naturfilme­r vor allem braucht, sind Ausdauer und Beharrlich­keit. „Man kann viel Zeit mit der Kamera im Tarnzelt zubringen und dann passiert das Entscheide­nde innerhalb weniger Sekunden“, erzählt Uwe Müller.

Mit der Entscheidu­ng, eine Familie zu gründen und in die Heimat zurückzuke­hren, findet der Filmemache­r seine Stoffe inzwischen vor der Haustür. So ist die Dokumentat­ion „Der Thüringer Wald“auch für die Reihe „Wildes Deutschlan­d“entstanden. Ein Film über das Erzgebirge ist in der Endprodukt­ion. Trotzdem ist nicht auszuschli­eßen, dass es Uwe Müller mit der Kamera irgendwann wieder in die Welt zieht. „Die Reiselust steckt immer noch in mir.“

Ungestillt­e Reiselust

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Ob in Patagonien, der Antarktis oder im Thüringer Wald: Der Filmemache­r Uwe Müller, der im Altenburge­r Land lebt, findet überall Themen für seine Naturdokum­entationen. Foto: Capricornu­m Film
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Zu den Grenzgänge­rn am Grünen Band gehört der Luchs, den Uwe Müller hier beim Anpirschen beobachtet­e.
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Prachtvoll­es buntes Gefieder, weinrote Brust, blaugrauer Kopf: Ein Buchfink sitzt auf Stacheldra­ht. Fotos (): Capricornu­m Film/ MDR

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