Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
Operation Ozean-Express
Deutsche und Schweizer Unternehmen wollen eine Bahnstrecke vom Atlantik zum Pazifik in Südamerika bauen
MEXIKOSTADT. Es ist ein alter Traum von Potentaten und Präsidenten in Lateinamerika: eine Verbindung zwischen Atlantik und Pazifik, mal als Zugverbindung, mal als Wasserstraße. Geträumt haben davon schon die Machthaber in Brasilien, Bolivien, Mexiko, Nicaragua und Panama. Verwirklicht aber ist bisher nur die Wasserverbindung an der schmalsten Stelle der Region in Panama. Und die hat vor mehr als 100 Jahren die USA gebaut. Gerade erst ist die zweitwichtigste Wasserstraße der Welt erweitert worden, um mit den Anforderungen des Welthandels und der modernen Containerschifffahrt mithalten zu können. Doch nun soll der Panamakanal ernsthafte Konkurrenz bekommen.
Ein halbes Dutzend Staaten plant gemeinsam ein gewagtes Projekt: eine Schienentrasse von Brasilien über Bolivien nach Peru, durch drei Länder, mehrere Klimazonen, Hochund Tiefland, Dschungel und Andengipfel. Die Länge wären 3700 Kilometer, etwa die Distanz von Stockholm nach Lissabon. Die kalkulierten Kosten liegen irgendwo zwischen sieben und 14 Milliarden Dollar.
Bauen wollen es vor allem deutsche und schweizerische Unternehmen wie der Technologiekonzern Siemens und die auf Eisenbahnsysteme spezialisierte Molinari Rail AG aus Winterthur. Aber auch LiebherrFahrzeugkrane, DB-Engineering und die Tunnelvortriebsmaschinenhersteller von Herrenknecht haben Interesse bekundet. Einen Namen gibt es für das Projekt schon: „Tren biocéancio“, der „Zwei-OzeanZug“. 6000 bis 8000 Arbeitsplätze soll er schaffen. Rainer Bomba, Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, und Boliviens Präsident Evo Morales unterzeichneten am Mittwoch in La Paz eine Absichtserklärung zum Bau der Bahnlinie. Die Idee, Atlantik und Pazifik auf Schienen zu verbinden, sei wie ein Panamakanal auf dem Trockenen, sagte Bomba nach der Unterzeichnung. Der deutsche Spitzenbeamte, der in Begleitung von Vertretern von 40 Unternehmen an reiste, betonte, dass Deutschland nicht nur an der Planung, sondern auch bei der Realisierung mitwirken wolle.
Morales betonte, das Zugprojekt sei „lange von den Südamerikanern erträumt“worden, und von der Eisenbahnlinie würde die Hälfte der Staaten der Region profitieren: „Es wird der Panamakanal des 21. Jahrhunderts“, betonte der linksnationalistische Präsident. „Und er wird helfen, die Armut zu bekämpfen.“Aber so ganz selbstlos sind die Beweggründe von Morales vielleicht doch nicht: Der „Tren biocéancio“soll vor allem auch eine politische Wunde schließen. Bolivien ist eins von zwei Ländern Lateinamerikas ohne Zugang zum Meer. Mit dem Bahnprojekt könnte Bolivien immerhin über Peru seine Waren verschiffen.
Die Strecke soll aus dem brasilianischen Santos, dem größten Containerhafen Südamerikas, über die bolivianischen Anden und La Paz hinweg bis nach Peru und dort zum Pazifikhafen Ilo führen. Gedacht ist vor allem an eine Frachtstrecke, um den Containertransport zwischen den beiden Weltmeeren zu beschleunigen. Geplante Bauzeit: mindestens sieben Jahre.
Ob diese Zugstrecke aber jemals Realität wird, ist im Moment sehr fraglich. Zu groß sind die politischen und wirtschaftlichen Fallstricke. Die fehlende Infrastruktur und die Korruption, die in den Ländern zum Alltag gehört, verteuern jedes Megaprojekt. Zwar existiert auf der brasilianischen Seite ein Großteil der Schienenstrecke, aber in Bolivien müsste fast alles neu gebaut werden. Zumal das Netz vor allem in den Anden auf Meterspur läuft.
Darüber hinaus ist Bolivien nicht nur Hauptinteressent und größter Profiteur der Bahnlinie, sondern leider auch das ärmste Land Südamerikas. Wie Präsident Morales das Geld aufbringen will, bleibt offen, auch wenn offenbar die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau einen Teil der Kosten übernehmen würde. Zudem sind sich der linke Morales und der rechte brasilianische Präsident Michel Temer nicht grün. Morales regiert noch bis 2019, Temer bis kommendes Jahr. Wer danach an die Macht kommt und was dann aus dem Zug-Projekt wird, steht in den Sternen. Zumal es noch ein Konkurrenzprojekt gibt, das vor allem die Chinesen vorantreiben. Die Eisenbahnstrecke, über die Peking und Brasilia verhandeln, begänne auch in Santos am Pazifik, würde aber Bolivien links liegen lassen und direkt nach Peru vorstoßen. Der Nachteil: Die Trasse verliefe durch deutlich mehr ökosensibles Amazonasgebiet, und sie wäre mit 4800 Kilometern gut 1000 Kilometer länger als die Variante durch Bolivien. Auch die veranschlagten Kosten wären rund fünfmal höher.
Es könnte also heißen: Deutschland und die Schweiz oder China machen das Rennen um den „Zwei-Ozean-Zug“durch Südamerika.
Wie ein Panamakanal auf dem Trockenen