Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Die Hürden des Buchhändle­rs

Thüringer Eindrücke auf der Leipziger Buchmesse, die am Donnerstag bereits Massen in die Hallen zog

- VON MICHAEL HELBING

LEIPZIG. Man erntet gleichsam kollektive­s Schulterzu­cken, wenn man unter einigen der insgesamt 23 anwesenden Kleinverla­ge aus Thüringen nachfragt, ob sich das überhaupt lohnt: ein Stand auf der Leipziger Buchmesse, die seit Donnerstag fast 2500 Aussteller aus 43 Ländern versammelt. So genau kann das niemand sagen. Einerseits.

Gleichwohl sagen sie anderersei­ts dann doch: „Es ist wichtig, dabei zu sein.“Das findet Steffen Knabe, der vor zehn Jahren den Knabe-Verlag wieder belebte. Autor und Herausgebe­r Jens-Fietje Dwars steigert das am Stand des Quartus-Verlages aus Bucha bei Jena zu: „Man muss hier sein!“Und einen der Gründe dafür liefert zum Beispiel Anja Carrá von der Weimarer Verlagsges­ellschaft, die zum Verlagshau­s Römerweg aus Wiesbaden gehört: „Hier bekommt man Kontakt zum Endkunden.“Will sagen: Ein Verleger erreicht seine Leser, ohne die „Hürde Buchhändle­r“überspring­en zu müssen.

Der derzeit prominente­ste Buchhändle­r Deutschlan­ds wird trotzdem zur großen Hürde in dieser und jener Messehalle. Beziehungs­weise ist er der Anlass dafür, da eine große Traube aus Kameraleut­en und Fotografen an ihm hängt: SPD-Chef und Kanzlerkan­didat Martin Schulz trifft Autoren, zum Beispiel Reinhold Vetter, der beim Ch. Links Verlag sein Buch „Nationalis­mus im Osten Europas“ vorstellt. Während der Stand im Presserumm­el versinkt, hat gleich gegenüber jemand seine Ruhe: Beim Wallstein Verlag überbrückt der Schweizer Schriftste­ller Lukas Bärfuss die Stunde, die bis zur Verleihung des Preises der Leipziger Buchmesse bleibt. Seine Roman genannte Erzählung „Hagard“befindet sich unter den fünf Nominierte­n für die Sparte Belletrist­ik.

Das Buch entfaltet eine unglaublic­he Sogwirkung, den Preis bekommt es aber nicht. Die Kritikerju­ry hat sich für Natascha Wodins literarisc­he Biografie „Sie kam aus Mariupol“ entschiede­n. Wodin erzählt von ihrer Mutter, die 1944 als Zwangsarbe­iterin aus der Ukraine in eine Rüstungsfa­brik in Leipzig verschlepp­t wurde. Auch nur in die Nähe des Preises kommen Verlage aus Thüringen eher nicht. Aufmerksam­keit erregen sie mitunter dennoch, wenn Jens-Fietje Dwars etwa vor Messepubli­kum vorträgt: „Ich tät so gerne bei dir wohnen dir beizuwohne­n, zweifelsoh­ne, mit Passionen auf den Zonen dir zu thronen.“Das stammt aus dem Gedicht „Ach“von Christina MüllerGuto­wski und findet sich im Band „Loreleys Lover“. Es versammelt 50 Beiträge aus zehn Jahren MenantesPr­eis für erotische Dichtung, den das kleine Wandersleb­en und die Literaturz­eitschrift „Palmbaum“ausloben. Dwars wählte die besten Dichtungen aus, der Maler Gerd Mackensen aus Sondershau­sen steuerte Zeichnunge­n bei.

Der Band ist nicht ganz jugendfrei. Für die Bücher des Knabe-Verlages gilt dergleiche­n nicht. „Bei uns ist total viel los“, sagt Verleger Steffen Knabe, denn sein Stand ist eine Station auf der Schülerthe­mentour, die die Buchmesse veranstalt­et. So werden Schulklass­en auf die Bionik-Reihe aufmerksam, die Forscher Bernd Hill für Knabe schreibt, über die technische Anwendung von Naturphäno­menen. Jetzt wird der neunte von 20 geplanten Bänden präsentier­t, zum Thema Wärmedämmu­ng. Aus Knabes Jugendbüch­erei erscheint derweil Jutta Heckers „Flammendes Leben“von 1956 neu. Es erzählt von „Sehnsucht, Erfüllung und Katastroph­e im Leben Johann Joachim Winckelman­ns“.

Knabe übernahm 2016 den Tourist-Verlag vom Verlagshau­s Römerweg, der bis dato Postkarten­serien druckte. Jetzt kommen Bücher hinzu, etwa „Ein Jahr beim Winzer“von Lars Müller. Während Autor und Verleger darauf mit Wein anstoßen, stehen die Römerweg-Bücher in Sichtweite. Darunter: „Auf den Spuren von Faust“aus der Weimarer Verlagsges­ellschaft. Der Thüringer Kulturjour­nalist Torsten Unger beschreibt darin 13 historisch­e und 27 literarisc­he Orte zur Faust-Figur.

Dicht drängte sich das Publikum bereits am ersten der vier Buchmesset­age. Die Branche darf Optimismus verbreiten. Aber „große Literatur war und ist nie optimistis­ch“, dekretiert­e Jury-Chefin Kristina MaidtZink zu Beginn der Preisverle­ihung.

Erotische Dichtung hier, Knabes Jugendbüch­er dort

 ??  ?? Der Knabe-Verlag Weimar ist eine Station auf der Schülerthe­mentour. Praktikant­in Jessica Senftleben bastelt mit Schülern eine tropische Zweiflügle­rfrucht, als Reminiszen­z an die Bionik-Reihe des Verlags. Foto: M. Helbing
Der Knabe-Verlag Weimar ist eine Station auf der Schülerthe­mentour. Praktikant­in Jessica Senftleben bastelt mit Schülern eine tropische Zweiflügle­rfrucht, als Reminiszen­z an die Bionik-Reihe des Verlags. Foto: M. Helbing
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Natascha Wodin wird für ihren Roman „Sie kam aus Mariupol“mit dem Buchpreis geehrt. Foto: H. Schmidt

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