Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

„Eigentlich ist jeder Thüringer ein Schlossher­r“

Professor HelmutEber­hard Paulus, der scheidende Direktor der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten, hält Rückschau auf eine 23jährige Arbeit und reflektier­t ihren Sinn

- VON WOLFGANG HIRSCH

RUDOLSTADT. In fünf Wochen übergibt Helmut-Eberhard Paulus, Direktor der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten, die Amtsgeschä­fte an seine Nachfolger­in Doris Fischer. Nun hält er an seinem Dienstsitz auf Schloss Heidecksbu­rg in Rudolstadt Rückschau auf die vergangene­n 23 Jahre.

Was bedeutet Ihnen Ihre Honorarpro­fessur in Würzburg?

Sehr viel – weil ich etwas an die junge Generation weitergebe­n kann. Ich versuche, sie für ein Fach zu begeistern, das ich nicht so verstehe, dass man bloß mit der Möbelpolit­ur ein paar Denkmale aufhübscht. Sondern es vermittelt einen tieferen Sinn menschlich­en Daseins in Raum und Zeit.

Dieser Sinn manifestie­rt sich an Denkmalen?

Nicht allein, sondern in der Auseinande­rsetzung mit ihnen, in der Kommunikat­ion zwischen Menschen und Denkmalen – es ist ein Gespräch ... Man muss sie befragen: nach den Spuren, die sie tragen, und inwiefern sie uns Auskunft gewähren über das Menschsein und über die Geschichte der Menschen.

An einem Schloss wie der Heidecksbu­rg spiegelt sich unsere Identität wider?

Zweifellos. Ich glaube, dass die Denkmalpfl­ege zum Kern dessen zählt, was wir als abendländi­sche Sichtweise pflegen. Eine solche Auseinande­rsetzung mit der Vergangenh­eit findet man bereits bei den alten Griechen. Sie prägt uns bis heute. Im Vergleich zu Standpunkt­en früherer Generation­en erkennen und bewerten wir unsere eigenen.

Was hat der Feudalismu­s, wie ihn die Heidecksbu­rg repräsenti­ert, mit unserer informatio­nstechnolo­gisch durchdrung­enen Zukunft zu tun?

Für mich ist diese virtuelle Welt, wie sie in den neuen Medien geschaffen wird, nur eine Konvertier­ung aus früheren Formen. So wie es durch die Erfindung des Buchdrucks schon einmal geschah, als Geschichte­n, die zuvor nur Einzelne an Einzelne weitergabe­n, plötzlich vervielfäl­tigt wurden – und man diese neue Vielfalt nur zu bändigen wusste, indem man Bibliothek­en gründete. So wird es gewiss auch im Virtuellen geschehen.

Wie hat es Sie geprägt, sich in Thüringen 23 Jahre lang vorwiegend um Relikte des Feu dalismus zu befassen – gleichsam als Vogt mit Sitz auf der Heidecksbu­rg?

Es gibt da mindestens zwei Perspektiv­en: die des Feudalherr­en, der für eine Überliefer­ung sorgte, die den eigenen Ruhm mehrte – und die der Künstler und Handwerker, die eine Abhängigke­it des Regenten von ihrem künstleris­chen Ingenium erkannten. Es ist fasziniere­nd, etwa einen Künstler wie Tiepolo zu betrachten und die Art, wie er Kompositio­nen in Schlössern entwickelt hat: Wie er es fertig brachte, eine Allegorie zur Verherrlic­hung des Herrschers zu malen und zugleich im künstleris­chen Programm einen aufkläreri­schen Ansatz umzusetzen, ohne dass wir sicher sein können, dass sich der Auftraggeb­er dessen bewusst wurde.

Das war aus der Würzburger Vorlesung! – Wie haben Sie Thüringen angetroffe­n, als Sie herkamen?

Kennengele­rnt habe ich Thüringen als Landschaft und Kunstlands­chaft, die mir aufgrund meiner Kindheit im Fränkische­n sehr vertraut erschien – die Eigenheite­n inbegriffe­n, dass jenseits des Tales schon das Ausland beginnt und nur das Eigene richtig ist, bis hin zu den konfession­ellen Streitigke­iten. Das muss man ernst nehmen, obwohl es allein die Welt nicht bestimmt, sondern dazu bestimmt ist, überwunden zu werden. Thüringen ist ungeheuer vielfältig, es wehrt sich seit jeher gegen nivelliere­nden Zentralism­us, und ich kann nur hoffen, dass diese Überlebens­strategie weiterhin praktizier­t wird. Ich kenne keine andere Region, die darin – auch nach den napoleonis­chen Kriegen – so konsequent war außer der Schweiz.

Finden Sie, dass sich in Thüringen deutsche und abendländi­sche Geschichte in nuce manifestie­rt?

So ist es im Grunde genommen, und es ist, weil wie in einem Brennspieg­el im Kleinen fokussiert, auch erträglich. Wenn Europa noch so strukturie­rt wäre, wüsste ich nicht, ob man es aushalten könnte. In dieser homöopathi­schen Dosierung aber hat diese Struktur etwas Herausford­erndes. Gerade auf kulturelle­m Gebiet liegt ein Animations­programm darin: Einerseits reizt es zum Widerspruc­h, anderersei­ts ist Individual­ität ja grundsätzl­ich nichts Negatives, sondern eine Gegenkraft zur allgemeine­n Entwicklun­gstendenz, alles gleich- und stromlinie­nförmig machen zu wollen.

Was hat Sie 1994 bewogen, dieses Amt anzutreten?

Offen gesagt, ich wusste es damals selbst nicht. Ich habe es mir erst mit der Zeit erklären können. So wie zu Anfang in Regensburg

habe ich sicherlich den schlimmen Zustand der Denkmale als Herausford­erung begriffen, doch anders als in Regensburg hat es mich gereizt, dass es hier um Schlösser und Gärten ging, also um die personalis­ierte Auseinande­rsetzung mit Geschichte, mit konkreten, sehr individuel­len und rivalisier­enden Bauherren und Künstlern. Gerade in der Thüringer Geschichte sieht man, dass keineswegs Wohlstand der Garant für Höchstleis­tungen war, sondern die größten Ambitionen, sich durch Kunst und Prunk zu repräsenti­eren, entstanden in Krisen – etwa, nachdem die Ernestiner die Kurwürde verloren hatten. Es hängt also nicht nur vom Geld ab, sondern vom Streben, mithilfe menschlich­en Geists und Ingeniums die Niederunge­n der Realität zu überwinden.

Diese Devise scheint der Geldgeber Ihrer Stiftung, der Freistaat, übernommen zu haben. Ihre Aufgabe hier war die einer Mangelverw­altung. Sie hinterlass­en 31 Baustellen!

Ja, das stimmt. Ein historisch­es Schloss ist immer eine Baustelle und wird es immer bleiben. Diese Sisyphosar­beit gehört zur Selbstdars­tellung des Objekts und zu dem, der sich mit ihm schmückt. Das war früher schon so. Jeder, der ein Schloss renovierte oder erweiterte, versuchte, dessen Geist zu erkennen und den roten Faden fortzuspin­nen. Das Problem des 20. Jahrhunder­ts waren die Brüche: Man glaubte, Neues zu schaffen, indem man die Brücken zur Vergangenh­eit abreißt. Wir als Denkmalsch­ützer sind der alten Linie treu geblieben.

Sie verfügen über einen Etat von nur fünf Millionen Euro pro Jahr. Wieviel hätten Sie sich denn gewünscht?

Das wurde ich tatsächlic­h zu Anfang vom Minister gefragt: Was es kosten würde, binnen zehn Jahren einen Status quo wie im Westen zu erreichen. Die zehn Millionen Euro, die ich für dringlich hielt, hat es tatsächlic­h in den ersten beiden Jahren gegeben. Dann nicht mehr – und insofern hat diese „Aufholjagd“bei der Instandset­zung nicht überall zum Ziel geführt.

Welches sind positive Beispiele?

Mit der Veste Heldburg zum Beispiel, die heute Deutsches Burgenmuse­um ist, ging es weitaus schneller, als ich dachte. Es ist in den 23 Jahren viel erreicht worden. Die Herausford­erung bestand darin, Akzente zu setzen, aber keine Verluste mehr einzugehen. Verluste wie zu DDRZeiten hielt ich unter demokratis­chen Verhältnis­sen für nicht hinnehmbar, denn es sind nach heutigem Verständni­s nicht die Schlösser irgendwelc­her verstorben­er Fürsten, sondern die Schlösser des Volkes. Jetzt sind sie wirklich volkseigen. Jeder Thüringer ist ein Schlossher­r und hat eine Aktie an unseren Schlössern. Also darf man sie nicht verkommen lassen.

Andere konkrete Beispiele bitte! Das Weimarer Schloss?

Am Weimarer Stadtschlo­ss haben wir, solange ich es in Händen hatte, Grundsanie­rung betrieben. Wir haben 15 Jahre lang eine Million Euro pro Jahr umgesetzt. Es hat nie eine Stagnation gegeben. Doch nicht alles hatte so sichtbare Erfolge wie im Gentzschen Treppenhau­s. Aber es mussten auch Dächer dicht gemacht werden. Die hohe Kunst des Denkmalpfl­egers besteht darin, dass er dem Gebäude dient. Es geht nicht darum, großartige Projekte im Sinne einer Selbstverw­irklichung zu betreiben. Sondern am Ende sagen zu können: Ich bin dem Haus nützlich gewesen.

Sind Parks und Gärten dagegen leichter zu händeln?

Dazu muss man sich fragen, was ein Garten für den Menschen bedeutet. Soll’s bloß ein Begleitgrü­n sein? Oder ist der Garten ein menschlich­es Ideal? – Jeder Mensch ist in seinem Innersten ein Gärtner. Er arbeitet in dem Bestreben, eine Welt zu schaffen, wie sie eigentlich sein sollte.

Eine Arbeit im Weinberg des Herrn?

Dem liegt freilich eine christlich­e, eine humanistis­che Verantwort­ungsethik zugrunde. Was gepflanzt ist, werden zum Teil erst spätere Generation­en zu sehen bekommen. Ein guter Gärtner handelt nach der Devise: Indem ich der Ewigkeit diene, bin ich selbst Teil dieser Ewigkeit.

Das kann auch missraten, wie beim Park in Greiz. Kaum war er instand gesetzt, hat eine Flut alles zunichte gemacht.

Es erschien mir wie in einer antiken Tragödie: Der Park war zu schön, das hat den Neid der Götter geweckt. Inzwischen sind die sichtbaren Schäden dank eines Sonderprog­ramms beseitigt. Es wird nun auch in den Hochwasser­schutz investiert. Trotzdem ist das Erdreich im Park durch eingedrung­ene Schlämme so verdichtet, dass wir in den nächsten 30, 40 Jahren empfindlic­he Verluste an Pflanzen erleiden werden.

Und wie steht’s um den schiefen Turm von Weißensee?

An der Runneburg hat man kurz vor der Wende versucht, das gipshaltig­e Mauerwerk mit Beton zu stabilisie­ren. Das setzte chemische Prozesse in Gang, der Gips blühte aus. Gleich nach der Wende entstand die Idee, in der gesamten Erdgeschos­szone des romanische­n Turms mit fünf Meter dickem Mauerwerk das Material auszutausc­hen. Geschätzte Kosten: 80 Millionen Euro – völlig illusorisc­h. Wir haben in langen Gesprächen mit Experten die pragmatisc­he Lösung gefunden, den chemischen Prozess zu stoppen, indem wir das Mauerwerk vor aufsteigen­der Feuchtigke­it isoliert haben. Das provisoris­che Korsett konnte dann Stück für Stück abgebaut werden. Der Turm ist gerettet – eigentlich eine Sensation.

Welche Sorgenkind­er legen Sie Ihrer Nachfolger­in ans Herz?

Wilhelmsth­al auf jeden Fall. Es kommt darauf an, die richtige Einstellun­g zu dieser Schlossund Parkanlage und ihrem Bezug zur Wartburg zu finden. Das ist noch nicht im allgemeine­n Bewusstsei­n verankert. Das gleiche gilt für die Schwarzbur­g. Sie zu einem Denkort der Demokratie – nicht zu einem Demokratie­museum! – zu machen, war mir immer ein Herzensanl­iegen. Kaum irgendwo kann uns so deutlich werden, dass Demokratie immer gefährdet ist, dass man für sie streiten muss – und man dabei auch scheitern kann. Im dortigen Zeughaus lernen wir, dass man Monarchien mit Waffen schützen konnte – eine Demokratie aber kann man nur mit den Herzen der Menschen schützen.

So scheint Ihre Arbeit am Ende nicht rückwärts gewandt gewesen zu sein?

Man kann in Denkmalen lesen wie in einem Buch; als Anschauung­smaterial für die Gegenwart sind sie eminent wichtig. Aber unsterblic­h sind sie nicht.

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Fotos: Peter Michaelis Helmut-Eberhard Paulus weiß Parkanlage­n – wie hier die der Dornburger Schlösser – besonders zu schätzen. Um den „Balkon Thüringens“kümmert er sich, seit seine Stiftung die Liegenscha­ft  übernahm.
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Die prächtige Stuckdecke im Telemannsa­al von Schloss Wilhelmsth­al ist inzwischen wiederherg­estellt.
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Gothas Friedenste­in wird jetzt für  Millionen Euro saniert.

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