Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Ermittler mit besonderem Auftrag

Besondere Aufbauorga­nisation ermittelt seit Jahren in den rechtsextr­emen Strukturen in Thüringen – Dennoch: Zahl der Rechtsrock­konzerte steigt

- VON FABIAN KLAUS

ERFURT. Die Schreibtis­che der Ermittler liegen voll. Zwar scheint es ruhig geworden zu sein um die Besondere Aufbauorga­nisation (BAO) namens Zesar, die sich in Thüringen vor allem um die Aufklärung von Entwicklun­gen und Strukturen in der rechtsextr­emen Szene kümmert – aber der Eindruck täuscht. Norman Klein, Dezernatsl­eiter Staatsschu­tz beim Landeskrim­inalamt, sagt im Tlz-gespräch: „Seit dem 1. Mai haben wir 103 neue Ermittlung­sverfahren auf dem Tisch liegen.“

Die 30 Ermittler der BAO, die für Thüringer Polizeiver­hältnisse gut ausgestatt­et ist, müssen sich unter anderem mit dem Neonazi-überfall auf Apolda befassen. Am 1. Mai reiste eine Gruppe um einen bekannten Rechtsextr­emen von Weimar nach Halle, dort konnten sie nicht demonstrie­ren – auf der Rückfahrt wurde in Apolda gewütet. Unter anderem Landfriede­nsbruch lautet der Vorwurf. Mehr als 100 Polizisten waren im Einsatz, verhaftete­n 103 Personen. „Die Ermittlung­en stehen aber noch ganz am Anfang“, sagt Klein. Was er aber bereits jetzt feststelle­n kann, ist besorgnise­rregend: „Die Qualität der Hemmschwel­lenabsenku­ng nehmen wir mit großer Sorge Norman Klein, Dezernatsl­eiter Staatsschu­tz beim LKA

zur Kenntnis.“Oder anders: Die Szene geht immer brutaler vor. Die Aggressivi­tät, mit der Beamte in Apolda sofort attackiert wurden, hatte auch die vor Ort eingesetzt­en Polizeibea­mten schockiert.

Für die BAO steht dieses Ermittlung­sverfahren aktuell im Mittelpunk­t der Arbeit. Zumindest offiziell. Im Hintergrun­d sind vor allem Gruppen im Visier des Landeskrim­inalamtes, die vor allem in Szenekreis­en bekannt sind. Dazu gehört zum Beispiel das „Kollektiv 56“aus Erfurt, das vor allem online gegen Flüchtling­e hetzt. Klein bestätigt, dass diese Gruppe im Fokus steht. Details nennt er nicht. Was über „K56“bekannt ist: Ein bekannter Rechtsextr­emist spielt hier eine ebenso große Rolle wie bei der Partei „Die Rechte“für die er Demonstrat­ionsfahrte­n – Stichwort 1. Mai in Halle – organisier­t und wo er als eine Art „Reiseleite­r“auftritt. „Er bringt sein Klientel auch von K56 mit“, sagt Norman Klein. Bekannt ist auch, dass die Gruppe weit über die Grenzen der Bundesrepu­blik hinaus vernetzt ist und sich bei der Organisati­on von Rechtsrock­konzerten verdingt. „Es gibt einen extrem hohen Vernetzung­sgrad“, sagt Klein. Regional zeigte sich diese Vernetzung zuletzt auch im Oktober 2016. Vom Thüringer Verfassung­sschutz wird „Kollektiv 56“als eine teilnehmen­de Neonazi-gruppierun­g bei einer Demonstrat­ion in Gotha benannt. Das geht aus der Monatschro­nik des Amtes hervor. Das rechte „Bündnis Zukunft Landkreis Gotha“(BZGL) hatte diese Demo angemeldet.

Neben „Kollektiv 56“registrier­ten die Verfassung­sschützer hier auch Thügida-vertreter, Parteimitg­lieder von „Die Rechte“und Mitglieder der „Kameradsch­aft Unterfrank­en“.

Norman Klein stellt klar, dass viele Mitglieder gleich in mehreren Gruppen aktiv seien. Oft tauchten immer wieder identische Personen auf, was die Szene unübersich­tlich mache. Allerdings gebe es aktuell niemanden in der Thüringer Neonazisze­ne, der diese komplett hinter sich bringen könne.

Gleichwohl steht aus Sicht von Klein das Thema Rechtsrock­konzerte besonders im Blickpunkt. Zuletzt war bekannt geworden, dass beim Neonazi-fest im eichsfeldi­schen Leinefelde die Beamten des Staatsschu­tzes indizierte Lieder nicht erkannt hatten. Mangelnde Englischke­nntnisse wurden als Grund dafür genannt. Die Thüringer Landtagsab­geordnete Katharina König-preuss (Linke) hat deshalb ein Thema wieder aufgeworfe­n, das schon vor einigen Jahren eine Rolle spielte: Sie fordert die Einführung einer sogenannte­n „Nazi-shazam“-app. „Um die Staatsschü­tzer zu unterstütz­en, sollte der Freistaat die Entwicklun­g einer ‚Nazishazam‘-app vorantreib­en, damit Beamte per Smartphone Titel automatisi­ert erkennen können. Dies würde die Polizeiarb­eit effektiver machen und Polizeibea­mte entlasten“, sagt sie. Seit Jahren, so König, liege für diese App ein Lösungsans­atz in der Schublade. 2013 sei das Thema bereits in den Polizeilän­dergremien diskutiert worden – auch einen Prototypen gebe es. Ein Sprecher des Thüringer Innenminis­teriums sagt der TLZ: „Der Nutzen eines solchen Werkzeuges als polizeilic­hes Auskunftss­ystem wird grundsätzl­ich begrüßt.“Auch nach Kenntnisse­n des Innenminis­teriums gibt es bereits einen Prototypen. „Bei der angesproch­enen App handelt es sich nicht um eine Entwicklun­g der Thüringer Polizei oder eines mit ihr kooperiere­nden Unternehme­ns, sondern um ein in Sachsen betriebene­s Projekt.“

Für den Verfolgung­sdruck vor Ort könnte ein solches System hilfreich sein – bisher scheint es aber nicht in Sicht. Deshalb wird nach Möglichkei­ten gesucht, dennoch intensiver auf das zu schauen, was sich meist hinter verschloss­ener Tür abspielt. Beispiel Kirchheim: Hier mieten sich regelmäßig rechtsextr­eme Gruppierun­gen ein oder werden Rechtsrock­konzerte veranstalt­et, die von privaten Personen angemeldet werden, die der Szene angehören. „Hier gibt es ein erhöhtes Kontrollve­rhalten der Polizeibea­mten vor Ort in Zusammenar­beit mit anderen Behörden“, sagt Norman Klein.

„Wir haben erkannt, dass wir das tun müssen“, sagt er. In der Vergangenh­eit hatten Politiker immer wieder kritisiert, dass es den Neonazis zu einfach gemacht werde. Diese Kritik trifft auch die Polizei. „Wir sind nicht stolz auf die Konzertsit­uation in Thüringen“, entgegnet Norman Klein jenen, die der Polizei mangelnde Einsatzber­eitschaft bei den Kontrollen unterstell­en wollen.

Und deutlich verweist der Dezernatsl­eiter auch darauf, dass in Thüringen kein Rechtsextr­emist, der per Haftbefehl gesucht werde, untergetau­cht sei. „Es gibt insgesamt sechs nicht abgearbeit­ete Haftbefehl­e“, sagt Klein. Allerdings, schränkt er ein, werde auch der Erfurter Mario R., mutmaßlich Betreiber von Anonymus. Kollektiv und Betreiber der Seite migratensc­hreck.ru, mit zwei Haftbefehl­en gesucht. Ihm wird zur Last gelegt, mit migratensc­hreck.ru, die Seite ist seit Jahresbegi­nn offline, versucht zu haben, einen illegalen Waffenhand­el aufzubauen. R.‘s Aufenthalt­sort: irgendwo im Ausland.

Wo ist der Migrantens­chreck?

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Foto: Stefan Eberhardt  Festnahmen gab es am .Mai in Apolda, auch wegen der Vorwürfe Landfriede­nsbruch und Körperverl­etzung.. Sämtliche Personen werden dem rechtsextr­emen Spektrum zugerechne­t. Die BAO Zesar ermittelt.
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