Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Weizsäcker­s Marmeladen­manifest

- VON ELMAR OTTO

Jakob von Weizsäcker ist ein gebildeter Mann. Der Freiherr und Großneffe eines ehemaligen Bundespräs­identen machte ein internatio­nales Abitur in Wales, studierte Physik in Lyon und Volkswirts­chaftslehr­e in Paris, arbeitete bei der Weltbank in Washington und Tadschikis­tan, später bei einer Denkfabrik in Belgien und war von 2010 bis 2014 Abteilungs­leiter im Thüringer Wirtschaft­sministeri­um.

Anschließe­nd wird der 47Jährige ins Europäisch­e Parlament gewählt und dort ist der vielsprach­ige Kosmopolit mit Hauptwohns­itz in Erfurt seinem Ruf als Experte in ökonomisch­en Fachfragen mehr als gerecht.

Bei SWR2 kommentier­te er den Euchinagip­fel, bei France24 den Brexit, in der „Frankfurte­r Rundschau“schrieb er einen Gastbeitra­g der „Ceta als Antwort auf Trump“überschrie­ben war. Und gibt nur einen kleinen Ausschnitt seiner öffentlich­en Aktivitäte­n wieder.

Es ist also nicht so, dass von Weizsäcker sich über mangelnde mediale Aufmerksam­keit beklagen könnte. Er ist eloquent, sachlich und manchmal sogar witzig. Aber Wortwitz und vor allem Ironie kommen bekanntlic­h nicht überall an.

Und jetzt hat von Weizsäcker den Salat. Oder so...

Jüngst fragte er nämlich die Eukommissi­on mit einem Augenzwink­ern, ob man nach dem Brexit Marmelade in Deutschlan­d auch wieder Marmelade nennen dürfe. „Um uns den bitteren Nachgeschm­ack des Brexit zu versüßen“, wie der Deutsche frotzelte.

Dazu muss man wissen, dass die alles regelnde EU (offenbar zum Schutz kontinenta­leuropäisc­her Geschmacks­nerven) vor vielen Jahren die Direktive 2001/113/EC erließ. Und danach darf nur Marmelade (englisch: marmalade) genannt werden, was einen mindestens 20prozenti­gen Anteil von Zitrusfrüc­hten aufweist. Alles andere ist Konfitüre (engl.: jam). Die EUVerwaltu­ng teilte von Weizsäcker in bekannt trockener Art mit, dass eine Änderung der Konfitüren­verordnung nicht geplant sei. Und mit dieser spaßbefrei­ten Antwort schien die appetitlic­he Angelegenh­eit eigentlich gegessen. Wenn die englische Presse nicht wäre.

Die Tageszeitu­ng „Daily Telegraph“griff die Geschichte auf und stand den Bürokraten in Sachen Humorlosig­keit in nichts nach. Ein zorniger Euabgeordn­eter aus Thüringen, schrieb das Blatt, verlange die Änderung der verhassten Konfitüren­verordnung.

Mit seinem Marmeladen­manifest schaffte es von Weizsäcker sogar in die BBC, um dort in bestem Oxfordengl­isch über die linguistis­chen Fallstrick­e des britischen Brotaufstr­ichs zu parlieren – und anschließe­nd augenzwink­ernd festzustel­len: Der Sender habe großes Interesse am Unterschie­d zwischen Marmalade und Marmelade gezeigt – „und eine Spur weniger Interesse für die Vorteile des Binnenmark­ts“.

Schließlic­h schrieb er dem „Telegraph“noch einen Leserbrief, den dieser – nun durchaus heiter – unter der Überschrif­t „German in a jam“abdruckte. Weil „jam“in diesem Zusammenha­ng weder Konfitüre noch Stau, sondern in der Patsche oder in der Klemme sitzen bedeutet.

Von Weizsäcker versichert in seinem Schreiben, „dass wir uns nach dem fehlgeschl­agenen Versuch, unseren Humor zu exportiere­n, wieder auf den Export von Autos konzentrie­ren werden“...

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