Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Tausend Go-spieler aus ganz Europa treffen sich in Oberhof

Im Vergleich zu Asien ist das Brettspiel in Deutschlan­d lediglich ein Nischenphä­nomen – Vor mehr als einem Jahr hat ein Computer die Goszene auf den Kopf gestellt

- VON MICHEL WINDE

JENA/OBERHOF. Als ein Computer im Duell Mensch gegen Maschine für eine Sensation sorgte, saß Manja Marz mitten in der Nacht vor dem Rechner und schaute zu. Die Google-software Alphago schlug im März 2016 Südkoreas besten Spieler in dem asiatische­n Brettspiel Go. Nicht nur, dass das Spiel bis dahin als zu komplex für Computer galt. Die Software überrascht­e zudem mit einem Zug, den kein Kenner des Spiels erwartet oder zunächst verstanden hätte – auch Marz nicht.

„Superspann­end“sei das gewesen, sagt sie heute. „Die ganze Go-welt war geschockt.“Die 36-Jährige aus Jena ist siebenfach­e deutsche Go-meisterin. Sie hat den europäisch­en Go-kongress organisier­t, der am Samstag samt Europameis­terschaft und anderen Turnieren in Oberhof beginnt.

Go gilt aufgrund einer Vielzahl an spielbaren Varianten als wesentlich komplexer als Schach. Das Ibm-programm Deep Blue besiegte den früheren Schach-weltmeiste­r Garri Kasparow schon 1997. Der Rechner konnte 200 Millionen Schachposi­tionen pro Sekunde analysiere­n.

Alphago ging einen Schritt weiter. So wurden zunächst 30 Millionen Spielzüge von Fachleuten in den Computer eingespeis­t – danach konnte das Programm den Zug des Menschen in 57 Prozent der Fälle vorhersage­n. Um besser zu werden, spielte Alphago dann viel gegen sich selbst.

Auch Marz war im März 2016 geschockt, wie sie sagt. „Der Computer hat Charakter bewiesen – wie ein Mensch.“Worauf sie sich bezieht, ist Zug Nummer 37 in der zweiten Partie zwischen dem Computer und Lee Sedol – ein großer Moment in der Geschichte künstliche­r Intelligen­z. Die Maschine überrascht­e den Menschen mit einer Spielidee, die sie von niemandem außer sich selbst gelernt haben konnte. „Ein Go-profi hätte das so nicht gespielt“, sagt der Präsident des Deutschen Gobundes (DGOB) und Marz‘ Mann, Michael Marz (48). Er sei jedoch nicht geschockt gewesen, sondern beeindruck­t von der Freiheit der Software.

Was bleibt von diesem Moment? „Es gab einen Riesenboom“, sagt Michael Marz. Seine Kollegen wüssten jetzt häufiger, was er da in seiner Freizeit mache. Die Nachfrage an Büchern

„Go ist in den asiatische­n Ländern so verbreitet wie hier Fußball.“Manja Marz, siebenfach­e deutsche Gomeisteri­n, hat den europäisch­en Gokongress in Oberhof organisier­t

und anderem Go-material sei deutlich gestiegen.

Aber auch das Spiel an sich habe dieser Moment vorangebra­cht. „Jetzt wird viel freier gespielt“, sagt Michael Marz. Die Spielidee des Computers hat Grenzen im Kopf der Spieler eingerisse­n. „Selbst im Amateurber­eich sind jetzt Züge zu sehen, die vor zwei Jahren keiner gespielt hätte.“

Wenn Marz und Marz Go erklären, fängt das ganz einfach an. Ein Spielbrett. Weiße und schwarze, linsenförm­ige Steine. Schwarz fängt an. Wenige Minuten und ein paar Züge später ist es dann allerdings so komplizier­t, dass dem Laien das Folgen schwer fällt.

„Es gibt nur ganz wenige Regeln. Aber um es zu meistern, braucht man ein ganzes Leben“, sagt Manja Marz. „Wahrschein­lich kann man es aber nie ganz beherrsche­n.“

Im Vergleich zu Asien ist Go in Deutschlan­d ein Nischenphä­nomen. Um das zu ändern, betreut Manja Marz, die als Professori­n für Bioinforma­tik an der Friedrich-schiller-universitä­t in Jena arbeitet, Go-gruppen an Kindergärt­en und Schulen. Bundesweit gebe es vier Hochburgen, sagt sie: Trier, Hamburg, Berlin und Jena.

In Asien ist Go Volkssport. „Das sind Popstars“, sagt Manja Marz über die stärksten Spieler. Die besten Europäer seien gerade mal so gut wie schlechte, mitunter mittelgute Profis aus Asien. Die 24 besten Europäer sind auch bei der Europameis­terschaft in Oberhof dabei. Manja Marz wird dann allerdings nicht antreten – unter den besten Go-spielern des Kontinents sind ausschließ­lich Männer. Das Niveau der Männer sei im Schnitt höher als das der Frauen, sagt Marz.

Alphago spielt mittlerwei­le übrigens keine Turniere mehr. Nachdem die Software im Mai auch den aktuellen Weltspitze­nreiter Ke Jie aus China besiegt hatte, kündigten die Entwickler an, man wolle sich nun auf allgemeine­re Algorithme­n konzentrie­ren, die der Menschheit helfen sollen. (dpa)

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