Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
Das ausgelagerte Zimmer
Balkon ,Ve randa und Terrasse verheiße nj etzt entspannend em ußestunden und Urlaubsgefühle
ORomeo, Romeo“, schmachtete Julia von ihrem Balkon und selbiger ließ sich nicht lange bitten. Noch heute pilgern Touristenscharen in Verona zu dem Ort, an dem der verliebte Montague die berühmte Brüstung erklomm und Shakespeare so die Bedeutung des Balkons für immer in der Weltliteratur verankerte. Doch Balkone sind nicht nur etwas für Romantiker, Päpste, Politiker oder frisch vermählte Royals. So, als habe man mal eben ein Stück der Hauswand herausgeklappt, vergrößern die Freiluftzimmer unseren Lebensraum und locken besonders während der sonnigen Jahreszeit ins „Halb-draußen“.
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Freiheit im Freien
Ein paar Quadratmeter machen den Unterschied. Terrasse, Veranda, Loggia und Balkon laden zum Entspannen ein. Denn im Grunde erfüllen sie keinen festgelegten Zweck, außer den Austritt ins Freie – ganz im Gegensatz zu Küche oder Arbeitszimmer. Auf dem Balkon darf guten Gewissens gärtnern, wer gerne gärtnert, und nichts tun, wer gerne nichts tut. Die fehlende Erwartungshaltung macht den Balkon zu einem Bereich, der weniger mit Alltag und Pflicht assoziiert wird als vielmehr mit Freizeit und Hobby. Wo eben noch ausgelassen mit Freunden und Familie gefeiert wurde, wird sich am Morgen danach gesonnt — im Freien lockt die Freiheit.
Profigrills, Hängematten, Teakholzmöbel und Kräutergarten zeigen außerdem, dass das heiß geliebte Balkonien oft den Besuch im Park, im Restaurant oder sogar einen ganzen Sommerurlaub adäquat ersetzt. Das macht den Balkon nicht selten zum entscheidenden Merkmal auf dem Wohnungsmarkt, für das — vor allem, wenn Südlage lockt — viele auch schon mal tiefer in die Tasche greifen, um ihren Traum von der eigenen Idylle zu verwirklichen. Selbst der sogenannte französische Balkon, eine Balkontür mit Mini-austritt und Brüstung, gilt in begehrter Wohnlage bereits als Luxus. Grundsätzlich existiert jedoch keine Definition für Mindestmaße von Balkonen oder Terrassen, doch bis zu maximal 50 Prozent der Außen-quadratmeter dürfen in die Mietpreisberechnung einfließen.
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Vom Austritt zur Wohlfühloase
Es gibt sie noch. Stiefmütterlich vernachlässigte Balkone und Terrassen, auf denen sich höchstens Aschenbecher und Wäscheständer Gesellschaft leisten. Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts blieben solch unschöne Abstellecken jedoch im Verborgenen. Man unterschied zwischen repräsentativen, aber kaum genutzten Schmuckbalkonen an der straßenseitig gelegenen Häuserfront und Wirtschaftsbalkonen, die an den Hoffassaden der Häuser erbaut und für Hausarbeiten genutzt wurden. Ohnehin fanden Balkone ihren Weg vom Land in die Stadt erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts, als man die allgegenwärtigen, unerträglichen Gerüche in den Straßen reduzieren konnte. Balkonien: Kompromiss zwischen Zivilisation und Natur. Walter Ludin, katholischer Theologe und Journalist
Seither sind Verandas und Balkone vor allem dort heiß begehrt, wo es an Garten und Grünfläche mangelt. Das Bedürfnis nach einer eigenen kleinen Rückzugsoase entspricht auch aktuellen Wohntrends wie dem dänischen „Hygge“-konzept, bei dem es vereinfacht gesagt darum geht, es sich heimelig und schön zu machen. Auch der Gestaltung der Freiluft-räume wird dabei besondere Aufmerksamkeit geschenkt.
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Design unter freiem Himmel
Es kann deshalb nicht verwundern, dass der Einheitslook aus Geranienkästen, Plastikmöbeln und Wachstischdecken in den letzten Jahrzehnten um zahlreiche Geschmacksrichtungen ergänzt wurde. Längst gelten Designtrends auch für den Außenbereich. Diese reichen von edlen wetterresistenten Loungegarnituren und Außenküchen über orientalische Dekoelemente aus bunten Kissen und goldenen Laternen bis hin zum folkloristischen Hippie-look oder dem romantischen Landhausstil. Die passende und saisonale Bepflanzung der stilechten Blumentöpfe versteht sich dabei von alleine. Besonderer Beliebtheit erfreuen sich derzeit auch Wiederverwertungstrends wie Shabby Chic und Upcycling. So werden Schraubgläser in Pflanztöpfe für Küchenkräuter verwandelt oder eine alte Weinkiste wird zum Hocker umfunktioniert. Derber Industrie-charme paart sich dabei häufig mit riesigen Kuschelkissen, Feldblumen, Pastellfarben und Windlichtern zum gemütlichen Vintage-mix. Hauptsache, selbst gemacht und mit persönlichem Wohlfühltouch! Wer sich im Internet in den sozialen Medien und auf einschlägigen Blogs umschaut, findet unzählige Inspirationsquellen für angesagte Terrassen- und Balkongestaltung.
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Vertikal, horizontal, überall
Blättert man mit grünem Daumen regelmäßig on- und offline, stößt man seit ein paar Jahren auf das sogenannte „Urban Gardening“, einen Freizeittrend derjenigen Großstädter, die trotz mangelnder Gartenfläche kreative Wege finden, um auch auf kleinen Balkonen Nutzpflanzen anzubauen oder in innerstädtischen Gemeinschaftsgärten zu buddeln. Dazu passt, dass auch die Wartelisten der Kleingartenvereine stetig länger werden. Die Rückbesinnung auf selbst verarbeitete und biologisch angebaute Lebensmittel motiviert auch die urbanen Gärtner zu ausgefallenen Ideen: Tomatenpflanzen wachsen um Balkongeländer oder in Mini-gewächshäusern. Hochbeete auf Stelzen vergrößern die Nutzfläche für Kräuter und Beeren und vertikale Beete aus Holzpaletten gelten nicht nur als Klimaverbesserer und Schattenspender, sondern zaubern natürliche Kunstwerke an Betonwände.