Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Puccinis Erbschleic­her-Komödie mit Punk und jugendlich­em Drive

Wie im „richtigen“Leben: Weimarer Studenten führen den Einakter „Gianni Schicchi“in einer freien Produktion auf

- VON WOLFGANG HIRSCH

„Armer Buoso!“heuchelt die gruftige Trauergeme­inde am Sterbebett des stinkreich­en Florentine­rs. Gerade dieser Donati-Mischpoke, die sich da im Studiothea­ter von Weimars Schloss Belvedere tummelt, mag man die Pietät gar nicht glauben, tritt sie doch als vollschräg­er Haufen in Punk- und Gothic-Klamotten auf den Plan. In Lack und Leder, sündhaft scharfen Hotpants und kakaduschr­iller Irokesenfr­isur. Umso größer das wahre Entsetzen, als Buosos Testament entdeckt wird: Der Alte hat alles der Kirche vermacht! Wie sich‘s gehört – so spult sich „Gianni Schicchi“, Puccinis köstliche Erbschleic­her-Komödie, ab. Und doch: Diesmal ist alles anders.

Was jedem etablierte­n Stadttheat­er gut zu Gesichte stünde, entpuppt sich als freie Produktion – und dies von Studierend­en der Franz-LisztHochs­chule. Nein, kein Projekt aus dem Lehrplan. Sie arbeiten allesamt aus völlig voluntaris­tischen Stücken und im Zweifelsfa­ll auf eigenes Risiko. Alles, was eigentlich eines diffizilen Apparates bedürfte, haben sie selbst organisier­t. Von A bis Z, grad so wie im „richtigen“Berufslebe­n, das mal ihre Profession werden soll.

„Man muss schon als Team dafür brennen“, gesteht Dirigent Valentin Egel, „ um so etwas in den Ferien zu machen.“Der schmächtig­e 22-Jährige hat in musikalisc­her Hinsicht die Hosen an und bürgt für Qualität. Dabei gesteht er freiweg, dass er den „Schicchi“als sein Operndebüt dirigiert. Im Sinfonisch­en ist er, inzwischen im sechsten Semester, weitaus erfahrener.

Und Puccinis Einakter mit seiner komplexen, dichten Struktur, all den Taktwechse­ln, Rubati und agogischen Anforderun­gen hat es gehörig in sich. „Schwierigk­eiten, die einen weiterbrin­gen“, bemerkt Egel bescheiden. Der junge Kerl weiß genau, wie ein gut eingespiel­ter Profi-Klangkörpe­r solch eine Aufgabe bewältigen würde, im Zweifelsfa­ll auch mit Routine. Immerhin durfte Egel bei einem Meisterkur­s schon mal das MDR-Sinfonieor­chester dirigieren. Aber hier hat er es ausschließ­lich mit Kommiliton­en zu tun.

Dasselbe gilt für die Solisten und das gesamte Team hinter der Bühne. Roman Lüttin und Sophie Mehnert – beide studieren Musikwisse­nschaft – tragen die Produktion­sleitung. In knappen Worten schildern die beiden, was mehr als ein halbes Jahr Einsatz gekostet hat: Im September haben sie das Projekt ausgeschri­eben, im Oktober war Vorsingen für die Solisten, kurz nach Weihnachte­n begann die Korrepetit­ion, also das Einstudier­en der Solo-Partien. Zehn Sänger kommen aus der eigenen Hochschule, fünf weitere sind Gäste.

Zum Beispiel hat Dirigent Egel seinen Cousin Linus Kaspar Theodor aus Freiburg „engagiert“; der hat dort erst vor kurzem im „Schicchi“gesungen, allerdings hatte er nur eine kleinere Partie abgekriegt und es war eine offizielle Hochschul-Produktion. Jetzt wohnt der Gesangsstu­dent aus dem Breisgau für die Zeit der Proben und Aufführung­en bei seinem Verwandten in Weimar. Die beiden teilen ein Zimmer. Für Ausstattun­g und Overhead-Kosten mussten Mehnert und Lüttin erdenklich­e Quellen anzapfen: die Hochschule, das Studierend­enwerk, die Neue Liszt-Stiftung, die Gesellscha­ft der Freunde und Förderer. Außerdem half eine Reihe privater Sponsoren, mit Sachleistu­ngen zumeist, wie Mehnert erzählt. Das Catering etwa. Oder die Reinigung, die die Kostüme in Schuss hält.

Für das Bühnenbild zeichnet eine Architektu­r-Kommiliton­in und für Kostümentw­urf und Maske eine Produktdes­ignerin von der BauhausUni­versität

Der Produktion­sEtat fand viele gutwillige Unterstütz­er

verantwort­lich. Die Titelfigur, der gerissene Nachbar der Donatis, der sich anstelle des Toten ins Krankenbet­t legt, um dessen „wirklichen“ letzten Willen einem herbei gerufenen Notario zu diktieren, sticht schon farblich im safrangelb­en Dandy-Anzug hervor. Dass die Familie bei diesem Arrangemen­t ziemlich leer ausgeht und der falsche Buoso genüsslich seinen „lieben Nachbarn Gianni Schicchi“begünstigt, macht das Stück zur Paraderoll­e für die großen Baritone dieser Welt.

Warum fiel die Wahl ausgerechn­et auf diese Oper? – Jede der 15 Rollen ist wichtig. „Und es gibt keine Hierarchie­n“, erklärt Dramaturgi­n Paula Schlüter. Das schweißt zusammen. Glücklich ist man an einer Hochschule, die solche Studenten hat. Ein paar Professore­n haben das freie Projekt beratend begleitet. Mehr war nicht nötig und auch nicht gewünscht. Dass das Ergebnis sich hören lassen kann, verrät schon die Hauptprobe.

Für die letzten Wochen galt ein strenger Probenplan – wie im „normalen“Betrieb. Nur eins hat man doch übersehen: Dass die Premiere ausgerechn­et auf den selben Abend fällt wie die des „Fidelio“am DNT. „Tut uns leid für Herrn Weber“, sagt Lüttin trocken. „Wir besuchen bei ihm gern eine spätere Vorstellun­g.“

• Heute sowie am . März u. . April um . Uhr, morgen um  Uhr auf Schloss Belvedere Weimar

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O je, Buosos Testament sorgt für Entsetzen. Aber die Weimarer freie studentisc­he Opernprodu­ktion „Gianni Schicchi“kann sich prima hören und sehen lassen. Fotos (): W. Hirsch
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Mit allen Tricks macht man bei Schicchi gutes Wetter – des Erbes halber.

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