Thüringische Landeszeitung (Weimar)
Über Obszönes
Mona trägt in aller Unschuld ein Loch in der Strumpfhose, und dies an lieblicher Stelle. Wir Cowboys können nicht anders, wir müssen einfach hinsehen, als sie uns die Steaks serviert. Und Dick, dieser Filou, lässt vor Staunen die Gabel fallen, damit sie sich beim Aufheben noch tiefer bückt.
Jack runzelt die Stirn. „Das war obszön, mein Lieber“, raunt er streng, als Mona in der Küche verschwunden ist. „Obszön, obszön“, äfft Dick, „aber schön. Heutzutage ist ja alles gleich obszön. Sogar der Reichtum.“Schon haben wir unser Thema. Dick spielt natürlich darauf an, dass eine bajuwarische Milliardärin, deren Familie die Hälfte der Aktien an einem Autokonzern hält, wegen der nun anstehenden Dividende von LinkenPolitikern des „obszönen Reichtums“geziehen wurde.
„Obszön“, sagt Bill, „ist doch lateinisch.“Er holt Matts Tablet vom Tresen, schlägt im OnlineWörterbuch nach und übersetzt: „Das heißt ,schamlos, unanständig‘.“– „Ich finde eher, dass Armut unanständig ist“, behauptet Dick dreist. „Die Faulpelze sollen sich nicht beschweren, dass ihnen das Sozialamt nicht gebratene Tauben ins Maul fliegen lässt.“Unter Jacks tiefschwarzem Teint sieht man die Zornesröte aufsteigen. Dann sagt er: „Moralische Kategorien sind wohl untauglich, um wirtschaftliche Vorgänge zu beurteilen.“Und jetzt folgt, erwartungsgemäß, sein großer Diskurs.
Dass Armut eben auch tragisch sein könne und Reichtum, sofern man ihn erbt, ein unverdientes Glück, dass es dafür halt gesellschaftliche Regeln gebe, Steuer genannt, dass man Leistung aber generell nicht verachten dürfe, weil auch diese ja einem Ethos folge, dass aber im Fall des Erfolgs der Neid der Anderen im christlichen Sinne eine Todsünde sei – also zutiefst unanständig. Statt mit derlei falschen Moralkeulen zu hantieren, sollten Politiker lieber ganz nüchtern für eine höhere Erbschafts oder Ertragssteuer votieren. Das regele sich dann.
Dick jault: „Nein, bloß keine Steuererhöhung! Wenn das Reichwerden so einfach wär‘, könnt‘ es ja jeder tun!“– „Und sich, wenn ihm das deutsche Steuersystem nicht passt“, ergänze ich, „einen schönen Briefkasten auf den JungfrauenInseln als Adresse aussuchen.“Dick grinst. Jack sagt: „Unanständig war es vor allem, dass die nämliche Familie nicht in den WiedergutmachungsFonds zur NSZwangsarbeiterEntschädigung eingezahlt hat. Dabei gründet ihr Vermögen auch darauf, dass ihr Unternehmen, das mal für Flugzeugmotoren berühmt war, im ,Dritten Reich‘ quasi ein firmeneigenes KZ zur Verfügung hatte.“
Wir schweigen betreten. Da mault Dick, der gerade den Teller leerputzt: „So ein Wohlstand wie ein LonghornSteak kann gar nicht obszön sein, und so ein Loch an sich auch nicht.“Die anderen müssen über Dicks Unfug lachen. Ich denke an Kurt Tucholskys „Lochologie“: Ohne seine Ränder wäre jedes Loch nur ein Nichts. Das gilt gewiss für Geldbörsen wie für Strumpfhosen gleichermaßen. Mona räumt ab, wir zahlen.