Thüringische Landeszeitung (Weimar)
Loveparade-Unglück vor Gericht
Sieben Jahre nach der Katastrophe mit 21 Toten wird es nun doch noch einen Strafprozess geben
Sie erstickten und sie wurden erdrückt: Bei der Loveparade in Duisburg im Juli 2010 starben 21 junge Menschen. Der einzige Zugang zu der Technoparade auf einem stillgelegten Güterbahnhof war auch der einzige Ausgang. Es kam zu einem tödlichen Gedränge. Mehr als 650 Menschen wurden verletzt. Einige leiden bis heute schwer unter den Folgen. Doch wer hatte das zu verantworten? War es vielleicht absehbar gewesen, dass die Wege für die vielen Menschen viel zu knapp bemessen waren? Fragen, die jetzt doch in einem Strafprozess geklärt werden sollen. Am Montag, und damit sechs Jahre und neun Monate nach dem Unglück, gab das Oberlandesgericht Düsseldorf seine Entscheidung bekannt.
Betroffene fordern lückenlose Aufklärung
Wen man auch fragt an diesem Montag, der sieht es so: Endlich ein Prozess! „Es geht uns gar nicht um eine Verurteilung der Beklagten. Wir wollen vielmehr eine lückenlose Aufklärung“, sagt Jörn Teich, Sprecher der Betroffenen und Traumatisierten. Doch auch ein Prozess könne nicht alle Wunden heilen: „So ein Erlebnis kann man nicht vergessen. Das wird niemals weggehen.“Klaus-Peter Mogendorf, Vater des damals ums Leben gekommenen Eike, sagt es so: „Ich komme selbst aus dem Bauwesen. Und damals beim Erteilen der Sonderbauverordnung haben die falsch gearbeitet – egal, ob das bewusst oder unbewusst geschehen ist. Das muss im Prozess aufgeklärt werden.“Und Dirk Schales schließlich, der Sprecher der Betroffenen-Initiative LoPa 2010, sagt: „Endlich werden die Fragen aufgearbeitet, die uns seit Jahren quälen. Für die Aufarbeitung des Traumas, das damals so viele erlitten haben, ist das enorm wichtig.“
Der Prozess kommt: Das hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) entschieden und damit die Entscheidung der 5. Großen Strafkammer des Landgerichts Duisburg vom Frühjahr 2016 aufgehoben, nicht zu verhandeln. Damals sollten zehn Beschuldigte, Beschäftigte der Stadt und des Veranstalters Lopavent, angeklagt werden. Ein Opferanwalt sprach nach der Ablehnung von einem „Justizskandal“. Der 750 Seiten umfassenden Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Entscheidung schlossen sich zahlreiche Nebenkläger an. Mit Erfolg. Die Entscheidung des OLG kann nun nicht weiter angefochten werden.
Die Meinung, die die drei Richter in den letzten Monaten zu dem Fall entwickelt haben, spricht aus jedem Satz, den Gerichtspräsidentin Anne-José Paulsen in Düsseldorf verliest: Die vorgeworfenen Taten seien „mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachweisbar“, „Sorgfaltspflichtverletzungen ursächlich für die Todes- und Verletzungsfolgen“drängten sich nach den Ermittlungsergebnissen auf. Und vieles mehr in diesem Ton. Fazit: Der Senat sehe „auch ausreichende Anhaltspunkte für einen vorwerfbaren Zusammenhang zwischen den anzunehmenden Planungsfehlern und dem Eintritt der Katastrophe“.
Und dann findet Paulsen auch Worte für die Angehörigen: Sie wisse, dass „die bisherige juristische Aufarbeitung für Angehörige und Opfer belastend und schwer nachvollziehbar ist“. Und sie hoffe, dass die Hauptverhandlung „Ihnen helfen kann, Ihren Schmerz und Ihre Trauer weiter zu verarbeiten“.
Wann der Mammutprozess beginnt, hat das Landgericht Duisburg noch nicht entschieden. Wo er stattfindet, stand für diesen Fall aber schon seit drei Jahren fest: in einem großen Saal des Kongresszentrums auf dem Gelände der Düsseldorfer Messe. Mit rund 450 Menschen hatte das Gericht damals gerechnet, die in den Saal passen würden.
Das ist realistisch: Zu den zehn Angeklagten und ihren Anwälten kommen allein 56 Nebenkläger und deren Rechtsvertreter. Der Justiz sitzt bei alledem weiterhin die Zeit im Nacken: Bis zum 27. Juli 2020, zehn Jahre nachdem das 21. Opfer starb, muss ein Urteil in erster Instanz vorliegen. Ansonsten tritt Verjährung ein.