Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Simulation im Fall Stephanie

Wissenscha­ftler analysiere­n am Computer, ob das Mädchen von der Teufelstal­brücke in die Tiefe gestoßen worden ist

- VON TINO ZIPPEL

Mit viel Feinarbeit sammelt das Landgerich­t Gera Indizien, um dem anklagten Rentner aus Berlin den Mord an der kleinen Stephanie aus Weimar nachzuweis­en. Zu den Bausteinen zählt auch eine Sturzsimul­ation von Wissenscha­ftlern der Hochschule Mittweida.

Die Gutachter erstellten ein Computermo­dell der alten Teufelstal­brücke an der A4 nahe dem Hermsdorfe­r Kreuz und der darunterli­egenden Landschaft. Anschließe­nd simulierte­n sie den Sturz eines Kindes von dieser Brücke. Das Ergebnis: Im Modellvers­uch landete das Kind stets deutlich näher an der Brücke als beim Kriminalfa­ll. Stephanies Leiche lag demnach acht Meter vom Brückenran­d entfernt, während sich beim normalen freien Fall nur ein Abstand von vier Metern ergab. Und das, obwohl laut Wetteraufz­eichnungen im August 1991 kein heftiger Wind wehte. Auch sei ein Abprallen nach dem Aufschlag aufgrund des dämpfenden Bewuchses auszuschli­eßen. Die Gutachter ziehen den Schluss, dass entweder das Kind geschubst wurde oder heftig abgesprung­en sein muss. Bis zum nächsten Verhandlun­gstermin wollen sie klären, ob eine Zehnjährig­e überhaupt solche Kräfte aufbringen könnte, um in eine solche Flugkurve zu geraten. Die Forscher sollen auch ermitteln, ob der Sog schnell vorbeifahr­ender Lkw das Kind über das 78 Zentimeter hohe Geländer gedrückt haben könnte.

Der Angeklagte bestreitet nämlich, das Kind von der Brücke geworfen zu haben. Im Prozess hat er sich bislang nicht geäußert, wohl aber gegenüber dem psychiatri­schen Sachverstä­ndigen, der gestern darüber berichtete: So räumte der Angeklagte im Gutachterg­espräch ein, das Mädchen vom Weimarer Ilmpark in sein Auto gelockt zu haben. Er habe sexuelles Verlangen gespürt und wollte auch die Freundin von Stephanie mitnehmen. Er habe fotografie­ren wollen, wie sich die Kinder gegenseiti­g ausziehen. Doch die Freundin wollte nicht mit, während Stephanie glaubte, 50 Mark fürs Zeigen des Schlosses Belvedere zu verdienen. Der Angeklagte berichtete, dass er mit Stephanie extra nach Ostthüring­en gefahren sei, weil er eine schnelle Ringfahndu­ng der Polizei fürchtete. In einem Wald an der A 9 habe sich das Mädchen ausziehen sollen, dies aber nur widerwilli­g gemacht. Ihn habe der Ekel übermannt, da das Kind eingenässt habe – aus diesem Grund sei es zu keinen sexuellen Handlungen gekommen. Er habe selbst mehrere abgelaufen­e Tabletten geschluckt und auch Stephanie einen Mix davon verabreich­t.

Er habe das Kind am Rastplatz Hermsdorf absetzen wollen, aber den Plan geändert, da dort zu viel Betrieb geherrscht habe. Nach dem Wechsel auf die A 4 will er an der Teufelstal­brücke gehalten haben, um Stephanie auszusetze­n. Er habe das Mädchen auf die Brücke geführt, ihr die 50 Mark abgenommen und sie dort hingesetzt. Er sei zum Auto gelaufen. Als er dort ankam, sei das Kind verschwund­en gewesen, berichtete der Angeklagte. Er habe den Mord nicht begangen, weil es keinen sexuellen Missbrauch und damit kein Motiv dafür gegeben habe.

Zweifel an dieser Version kommen auf, da Experten der Rechtsmedi­zin bereits ihr Gutachten erstattet haben. Todesursac­he war demnach die stumpfe Gewalt beim Aufprall nach dem Sturz aus 48,5 Metern Höhe. Allerdings zeigte die Blutunters­uchung eine Überdosis von Medikament­en. Stephanie müsse sehr müde oder wahrschein­lich gar bewusstlos gewesen sein. Fraglich sei, ob sie über eine weite Strecke selbst gelaufen sein könne. Mit Unterstütz­ung sei das aber nicht ausschließ­bar. Ein kraftvolle­r Sprung erscheint aufgrund der Medikation jedoch unwahrsche­inlich.

• Der Prozess wird nächste Woche Donnerstag fortgesetz­t.

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Kinder fanden das tote Mädchen unter der alten Teufelstal­brücke unweit des Hermsdorfe­r Kreuzes. Zuvor will der Angeklagte Stephanie an der A  ausgesetzt haben. Foto: Jan-Peter Kasper,dpa

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