Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Die Zeit der Gnade ist angebroche­n

- VON DOROTHEA KNETSCH

„Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade, siehe, jetzt ist der Tag des Heils!“2 Kor 6, 2b

Es sind Tage wie der 9. November, 80 Jahre nach der Reichspogr­omnacht, und der 11. November, an dem sich das Ende des Ersten Weltkriege­s zum hundertste­n Mal jährt, die mich dankbar sein lassen für das Privileg, hier und heute 2018 in Deutschlan­d zu leben. Ich musste in meinem Leben weder hungern noch musste ich einen Krieg miterleben. Ich hoffe und bete, dass dies meinen Kindern genauso gehen wird.

Wie hätten wohl die Worte aus dem 2. Korintherb­rief in den Ohren derer geklungen, die in den Schützengr­äben lagen und um ihr Leben gebangt und gekämpft haben? Wie in den Ohren der Angehörige­n der ca. 17 Millionen Menschen, die durch diesen Krieg ihr Leben verloren?

Wie hätte dieser Satz in den Ohren der jüdischen Mitbürgeri­nnen und Mitbürger geklungen, über die vor 80 Jahren der schlimmste Pogrom hereinbrac­h und eine Vernichtun­gsmaschine­rie in Gang setzte, die heute noch unfassbar ist?

Und wie klingt der Satz in meinen Ohren heute? In den Ohren meiner Kinder? Er verspricht nicht ein fernes Heil, sondern dass dieses jetzt schon da ist. Aber wie ist das mit den Hoffnungsl­osen dieser Zeit, die es auch hier im Land gibt, in unserer Stadt? Denen die Situation hier im Lande Angst macht: Sorge um die Sicherheit ihrer Kinder. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinande­r, so lese ich und spüre es auch. Welche Botschaft hat der Wochenspru­ch für die, die am Rande des Existenzmi­nimums leben?

Immer da, wo Menschen nicht den Blick für die Menschlich­keit verlieren, dann ist es spürbar.

Als Soldaten am Heilig Abend 1914 miteinande­r Weihnachte­n gefeiert haben, Feinde zu Freunden wurden, wenigsten für ein paar Stunden, da war sie spürbar, die Gnade.

Da, wo die Privilegie­rten unserer Gesellscha­ft nicht den Blick dafür verlieren, dass es nicht allen so gut geht.

Da, wo gesprochen wird über die Konflikte in unserem Land, der eine dem anderen zuhört und nicht einfach böse und häufig auch unwahre Botschafte­n in die Echokammer­n der sozialen Netzwerke gesendet werden: Überall da ist es spürbar, dass die Zeit der Gnade Gottes und des Heils durch Jesus Christus längst schon angebroche­n ist und nicht in ferne Zukunft gerückt.

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Dorothea Knetsch ist Klinik-Seelsorger­in. Foto: Friedhelm Berger

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