Thüringische Landeszeitung (Weimar)
Eine Ode mit O wie in Rotkraut
Kürzlich, als mein Genussbarometer binnen weniger Stunden von „Tomate Mozzarella“auf „Entenbraten mit Klößen“umschlug, fiel mir auf, dass dem einzig passenden Gemüse dazu die Lobby fehlt. Was wird nicht alles gedichtet auf Kloß, Bratwurst und Co., ja eigene Museen gibt es dafür. Doch wer besingt unser Rotkraut? Ich!
Aber der Reihe nach: So richtig bewusst wurde mir die Wertigkeit des „Brassica oleracea var. capitata f. rubra“bei der ersten diesjährigen Zubereitung. Nicht nur die Weihnachtsvogelweiden und die Kartoffeläcker litten in diesem Jahr ja unter reichlich Hitzestress, auch die Kohlernte fiel äußerst bescheiden aus. Die übrig gebliebenen sind klein und ziemlich holzig. Man benötigt schon verdammt viel Rotwein, um die Köpfchen darin mürbe zu walken. Das ist zwar anstrengend, gibt vielleicht ein paar anthocyaneblau eingefärbte Finger und braucht ein wenig Zeit. Aber dann fehlen nur noch Zwiebel, Apfel und Gewürze – und fertig ist das Grundrezept! (Fortgeschrittene experimentieren übrigens mit ausgefallenen Gelees, Essigen oder Schärfe und kommen so zu äußerst spannenden Ergebnissen.) Das Allerwichtigste aber kommt zum Schluss: Vor dem ersten Auftischen zweimal erwärmen!
In meiner persönlichen heimatlichen Genuss-Walhalla jedenfalls bekommt das Rotkraut nach diesem Sommer einen ganz besonderen Platz. Sind Sie also bereit für meinen Lobgesang? Dann los:
Oh, Rotkraut, du vor unserer Haustür frisch geerntetes! Gesunde Kohlenhydrate bist du durch und durch und fällst auch roh geraspelt niemand’ ins Gewicht! Kühle Mineralik im feinen Blatt, fruchtig weich und nussig. Frisch, knackig, so wie wir! Roh schmeckst du mir zum Grünen Veltliner und hältst geschmort sogar dem stärksten Roten stand! Oh, Rotkraut, ich bekenne: Am Ende schmeckst du mir zur Not auch ohne Ente!