Thüringische Landeszeitung (Weimar)
Thüringer SPD geht bei Bildung in die Offensive
Landesparteitag: Gebührenfreie Schulhorte und Gemeinschaftsschul-Offensive gefordert
Die Thüringer Sozialdemokraten ringen um ein schärferes Profil. Beim Landesparteitag am Wochenende sind vor allem Bildungsforderungen verabschiedet worden – gebührenfreie Horte und eine Offensive beim Thema Gemeinschaftsschule fordern die Sozialdemokraten und nehmen damit auch den Koalitionspartner Linke in die Pflicht.
Deutliche Kritik am Bildungsministerium wird in dem Antrag zur Stärkung der Thüringer Gemeinschaftsschulen geäußert, den die Arbeitsgemeinschaft für Bildung am Sonntag den Delegierten zum Beschluss vorgelegt hat. Von dem im Koalitionsvertrag vereinbarten „weiteren flächendeckenden Ausbau“der Thüringer Gemeinschaftsschulen sei man weit entfernt. Das Ziel von 100 Gemeinschaftsschulen zum Ende der Legislatur scheint nicht in Sicht. 46 der aktuell 68 existierenden Einrichtungen seien noch unter SPD-Bildungsminister Matschie eingerichtet worden. „Das Linke-Bildungsministerium hat seit Beginn der Legislatur gerade einmal 22 Thüringer Gemeinschaftsschulen realisiert“, wird im Antrag festgestellt. Deshalb soll mit einer gründlichen Evaluierung festgestellt werden, welche Probleme beseitigt werden müssen, damit weitere Gemeinschaftsschulen eingerichtet werden können.
Darüber hinaus haben mehrere Kreisverbände – Unstrut-Hainich, Erfurt, Gotha – dem Parteitag zum Beschluss vorgeschlagen, dass die Schulhorte künftig gebührenfrei sein sollen. Demnach würde das 18 Millionen Euro im Jahr kosten. Der Antrag fordert die gebührenfreien Horte bereits 2020. Damit unterstützen die Sozialdemokraten übrigens auch eine Forderung des Thüringer Gemeinde- und Städtebundes.
ARNSTADT. Der Jubel der SPDDelegierten verklingt besonders schnell. Gerade haben sie Wolfgang Tiefensee mit 89,5 Prozent – hierbei werden die Enthaltungen nicht in die Ergebnisberechnung einbezogen – zum Landesvorsitzenden wiedergewählt. Er steht vor ihnen, verneigt sich tief und macht deutlich: Jetzt gilt es, die Ärmel hochzukrempeln.
Nach ein paar Sekunden StehApplaus widmen sich die Sozialdemokraten also der Arbeit für die Partei. Sie wählen drei Frauen in die Parteispitze (siehe Extra-Kasten) und bestimmen insgesamt 18 Beisitzer. Der Appell, der von diesem Landesparteitag ausgehen soll: „Lust auf Zukunft.“Oder anders: Die Sozialdemokraten wollen sich weniger um sich selbst drehen. Lieber solle es um Inhalte gehen. Bildung, Innere Sicherheit, Wohnen, Rente – all das und noch viel mehr findet sich im mehr als 70 Seiten dicken Antragsbuch, das noch einmal um mehrere Initiativanträge ergänzt wird.
Und einer dieser Anträge hat es in sich – und er besitzt das Potenzial, die SPD bundesweit in die nächste Personaldebatte zu stürzen. Gerade, als Bundeschefin Andreas Nahles in Berlin mit 3000 jungen Leuten ein Debattencamp abhält, wird sie im kleinen thüringischen Arnstadt zum Thema. Georg Maier, kurz zuvor als Schatzmeister in den geschäftsführenden Landesvorstand gewählt, fordert die Ablösung des Parteivorstandes. Diese krachende Schlagzeile der „Süddeutschen Zeitung“vom Samstagmorgen hatte bei den Delegierten die Runde gemacht.
Jetzt steht der Thüringer Innenminister am Pult und fühlt sich nach eigenen Worten wenig wohl in seiner Haut. Er bringt dennoch den Antrag ein, der einen vorgezogenen Bundesparteitag und den Rücktritt des gesamten Präsidiums, das er für zu groß hält, um schlagkräftig zu sein, fordert – und damit vor allem SPD-Bundesvorstandsmitglied Christoph Matschie gegen sich auf. „Es muss einen Wettbewerb um Köpfe und Konzepte“, fordert Maier und schielt zur CDU, wo die Basis eine Auswahl habe im Dezember, wenn es um die Nachfolge von Angela Merkel geht. Auch die Grünen, sagt Maier, hätten vor gemacht, wie es bei der Neubesetzung der Parteispitze gehen könnte. Davon solle die SPD lernen. Ausdrücklich, sagt Maier, dass sich alle jetzigen Präsidiumsmitglieder ja auch wieder neu bewerben könnten – eben „ein Wettbewerb um Köpfe und Konzepte“, wie er es nennt.
Georg Maier, Schatzmeister und Mitglied im geschäftsführenden Vorstand der Thüringer SPD
Maier scheitert mit seinem Antrag nicht vollständig, muss sich aber harte Worte vom Bundestagsabgeordneten Christoph Matschie, dem vormaligen Thüringer Bildungsminister, anhören. Der fordert, dass endlich Schluss damit sein müsse, dass Kreis- oder Landes-SPD immer die Schuld bei der Bundes-SPD suchen. „Es gibt eine SPD und die muss zusammenstehen“, ruft er kämpferisch in den Saal.
Carsten Schneider, der erste Parlamentarische Geschäftsführer, appelliert moderater. „Gebt uns den Spielraum, diese Entscheidung
treffen zu können, wenn sie notwendig ist.“
Aber Maier hat auch Fürsprecher, darunter die Thüringer Jusos, die ohnehin das Ausstiegsszenario aus der Großen Koalition einfordern. Wolfgang Tiefensee verfolgt die Debatte aufmerksam – und ihm gelingt es am Ende auch, einen Kompromiss zu finden, der seinen Kabinettskollegen Maier nicht düpiert dastehen lässt. Tiefensee beantragt die Überweisung in den Landesvorstand für eine abschließende Meinungsbildung. Das Gremium, in dem auch Maier sitzt, will in seiner ersten ordentlichen Sitzung darüber beraten.
Für die SPD geht es mit großen Schritten in Richtung Landtagswahl. Personalquerelen hat sie am Wochenende in Arnstadt vermieden – und stattdessen inhaltliche Akzente gesetzt. Gebührenfreie Horte, eine Offensive für die Gemeinschaftsschulen und die Streichung des Extremismusbegriffs aus dem einstimmig verabschiedeten Leitantrag sind nur einige.Auffällig: Ein Drittel der Anträge stellten die Jusos, die damit deutlichinhaltlichauftrumpfen.
„Das Präsidium der Bundes-SPD ist zu groß, um schlagkräftig zu sein.“