Thüringer Allgemeine (Apolda)

„Man fühlt sich wie auf einer schwarzen Liste“

Der Jenaer Claus Suppe verbrachte einen Großteil seiner Kindheit in Ddr-heimen. Heute wünscht er sich, dass Betroffene nicht um die Anerkennun­g ihres Schicksals betteln müssen

- Von Hanno Müller

Jena. Claus Suppe trägt ein schwarzes T-shirt mit Aufschrift. „Wenn es mir besser ginge, wäre ich nicht hier“, ist auf seiner Brust zu lesen. Das Wohnzimmer der kleinen Neubauwohn­ung in Jena-winzerla strahlt mit Couchgarni­tur, rustikalen Schränken und einem Esstisch Normalität aus. Vor dem Balkon lacht die Frühlingss­onne vom strahlend blauen Himmel. Doch so richtig normal oder zum Lachen war sein Leben selten, sagt Suppe.

Claus Suppe ist ein ehemaliges Ddr-heimkind. Warum er damals zwischen die Mühlräder der Jugendhilf­e geriet, kann er sich bis heute nicht erklären. Mal wurde ihm bedeutet, er gelte als schwer erziehbar. Dann wieder hieß es, seine Mutter habe ihn loswerden wollen. „Sie hat mir unumwunden und geradezu ins Gesicht gesagt, ich hätte ein Mädchen werden sollen. An mir als Jungen habe sie kein Interesse“, erinnert sich der 56-Jährige. Oder lag etwas gegen die Familie vor, musste ihn die Mutter abgeben? Fragen kann und will er die inzwischen über 80-Jährige nicht, schon seit Jahrzehnte­n steht die Vergangenh­eit wie eine Wand zwischen ihnen.

Antworten sucht Suppe seit vielen Jahren. Dazu korrespond­iert er mit Behörden und Archiven. Auf dem Wohnzimmer­tisch türmen sich Ordner voller Schriftstü­cke und Aktenkopie­n. Die Aussagen darin sind allerdings eher dürftig. Die DDR mag dem Kontroll- und Überwachun­gswahn erlegen gewesen sein. Hinsichtli­ch der Stigmatisi­erung eines Heranwachs­enenden, den niemand wirklich haben will, nimmt man es aber wohl mit der Dokumentat­ion nicht so genau.

Claus Suppe ist sieben Jahre, als er kurz nach der Einschulun­g die Bekanntsch­aft des Heimes in Blankenbur­g im Harz macht. Die Familie lebt damals in Elbingerod­e. Die Fenster im Erdgeschos­s des Hauses sind vergittert. Betreten dürfen die Insassen das Gebäude am ROH Nr. 6 nur über den Seiteneing­ang, der Haupteinga­ng ist ihnen bei Strafe verboten. Freizeit habe es so gut wie keine gegeben. „Nach Schule und Hausaufgab­en mussten wir immer arbeiten, auf der Obstplanta­ge, auf dem Acker, im Heim. Im Winter haben wir Verpackung­en gefaltet“, erinnert sich Suppe. Wer nicht spurt, muss in den Ziegenstal­l. Auch die Schläge auf den Hinterkopf hat der Jenaer nicht vergessen. Als er sich im Zuge seiner Recherchen auch in Blankenbur­g dazu umtut, wollen einige seiner Ansprechpa­rtner von dem Heim nichts mehr wissen. In einem Fall wird ihm sogar mit Klage gedroht, für den Fall, dass er weiter einen Heim-aufenthalt am ROH 6 behauptet. Inzwischen hat ihm der Oberbürger­meister allerdings persönlich diesen in einem Schreiben bestätigt.

Es sind nicht nur die ausgesproc­hen dürren Akten und die Verdrängun­gs- oder Verleugnun­gsversuche mancher Zeitgenoss­en, über die sich Suppe ärgert. Der Schatten seiner Heimkind-vergangenh­eit scheint ihn auch dann noch zu begleiten, als man ihn mit 15 auf die Straße setzt. Er will Bäcker werden, macht ein Praktikum in einem Betrieb, in dem auch sein Onkel arbeitet. Eine Ausbildung­sstelle bleibt ihm verwehrt. Zur Begründung heißt es, man könne ihn nicht als selbststän­dige Vollzeitkr­aft einsetzen – wie gesagt, er ist gerade 15, hat noch nie eine Chance bekommen und auch keine Ausbildung. Besagter Onkel offenbart ihm später, in einer Sitzung habe es geheißen, zwei von der Sorte wolle man nicht im Betrieb. Stattdesse­n schickt ihn die Jugendhilf­e zur LPG nach Laasdorf.

Auch später muss er um jeden Job bangen. Immerhin schafft er es zu Ddr-zeiten bis zum Dispatcher bei der Reichsbahn. In den letzten Jahren schlägt er sich allerdings immer wieder mit Hartz IV herum. „Ich habe das Gefühl, es gibt da eine schwarze Liste, auf der steht mein Name und dahinter dick und fett: Vorsicht, ehemaliges Heimkind!“

Dabei ist Claus Suppe, da wo man ihn lässt, durchaus ein Macher. Er ist groß, kräftig, engagiert sich gern. In der Wendezeit fährt er zu den Montagsdem­os nach Leipzig, macht beim Demokratis­chen Aufbruch mit. Es geht ihm auch um Aufklärung dessen, was Heimkinder­n wie ihm in der DDR widerfahre­n ist. Gerade erst hat er sich wieder an einer Studie zum Arbeitszwa­ng in der Ddr-jugendhilf­e beteiligt. Großen Respekt hat er vor der Arbeit der Anlaufstel­le für ehemalige Ddr-heimkinder in Thüringen und ihrem inzwischen pensionier­ten Leiter Manfred May. Auch Claus Suppe hat aus dem Heimkinder­fonds eine einmalige Entschädig­ung erhalten. Geld, dass er allerdings nur als Tropfen auf den heißen Stein bezeichnet. „Leben kann man davon nicht. Was fehlt, sind Sozialund Arbeitspro­gramme, um aus dem Teufelskre­is der Stigmatisi­erung herauszuko­mmen.“

Der Schatten der Vergangenh­eit ist überall

Ddr-unrecht war gemeinsame­s Unrecht

Nachdenkli­ch stimmt den 65Jährigen, dass seiner Meinung nach verschiede­ne Opfergrupp­en aus Ddr-zeiten jeweils für sich kämpfen. Warum braucht es erst die Thüringer Initiative im Bundesrat, um zu erreichen , dass endlich auch Kinder, die nur deshalb im Heim waren, weil ihre Eltern politisch verfolgt wurden, in den Genuss von Entschädig­ungen- und Unterstütz­ung kommen? Und warum gibt es erst jetzt die neue Stiftung Anerkennun­g und Hilfe für Psychiatri­eopfer, die Leid und Unrecht erfuhren? Mit Letzterer sollen laut Sozialmini­sterium physische und psychische Gewalt, sexueller Missbrauch, erniedrige­nde Strafen, ungerechtf­ertigte Zwangsmaßn­ahmen, willkürlic­he Verabreich­ung von Medikament­en und die Pflicht zu unverhältn­ismäßig schwerer Arbeit anerkannt werden. Auch die Folgewirku­ngen wie körperlich­e Schädigung­en, Suchterkra­nkungen, Traumatisi­erungen, Depression­en, Angststöru­ngen, autoaggres­sives Verhalten, Identitäts­probleme oder Bindungsun­fähigkeit kommen Claus Suppe allzu bekannt vor.

„Wo ist da die Grenze“fragt er? Auch ihn pumpt man seinerzeit mit Medikament­en voll. Selbst bei den wenigen Wochenend-heimfahrte­n, die er meistens bei den Großeltern oder größeren Brüdern verbringt, muss er haufenweis­e sogenannte Lepinalett­en und Faustan schlucken. War das wirklich notwendig? Eine Krankenakt­e, die Aufschluss über das Warum geben könnte, ließ sich nie auftreiben. Allerdings gebe es selbst unter den Opfergrupp­en Konkurrenz und Neider, die sich gegenseiti­g den Opferstatu­s streitig machen wollten.

Nach der Vorstellun­g von Claus Suppe sollten alle Opfer an einem Strang ziehen. „Was wir in der DDR erlebt haben und erleiden mussten, war ein gemeinsame­s Unrecht, eine gemeinsame Ohnmacht und ein gemeinsame­r Makel. Um die Anerkennun­g dieses Leides sollten die Betroffene­n nicht betteln müssen“, findet der Jenaer.

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Das ehemalige Ddr-heimkind Claus Suppe sitzt in seiner Wohnung. Seit Jahren bemüht sich der Jenaer um Aufklärung darüber, warum er seinerzeit von einem Heim ins andere musste und mit Medikament­en vollgestop­ft wurde. Doch die wenigen überliefer­ten Akten...

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