19 Amokopfer noch immer in Betreuung
Seit 2002 erhielten 762 Betroffene Hilfe. Hinterbliebene enttäuscht über Aufarbeitung
Erfurt. 15 Jahre nach dem Schulmassaker am Erfurter Gutenberggymnasium beziehen noch 19 Betroffene Leistungen der Thüringer Unfallkasse. „Es handelt sich um Verletzten- und Hinterbliebenenrenten sowie um Leistungen für stationäre psychotherapeutische und ambulante Heilbehandlungen“, sagt Kassensprecherin Stephanie Robus. In neun Fällen werde eine Rente auf unbestimmte Zeit gewährt. Gründe dafür seien die Berufsunfähigkeit infolge postraumatischer Belastungsstörungen, die in einem der Fälle 60 Prozent erreicht.
Am 26. April 2002 hatte ein Ex-schüler in dem Gymnasium während der Abiturprüfung 16 Menschen erschossen und sich dann selbst gerichtet. Unter den Getöteten waren zwölf Pädagogen, eine Sekretärin, zwei Gymnasiasten und ein Polizist. Schüler und Lehrer erlebten die Morde unmittelbar mit und blieben teils stundenlang mit den Sterbenden auf engstem Raum eingeschlossen. Noch am gleichen Tag war die psychologische Betreuung der Hinterbliebenen und Tatzeugen angelaufen.
„Eine postraumatische Belastungsstörung wird von jedem Betroffenen sehr individuell erlebt. Insgesamt wurden 762 Versicherte, darunter 634 Schüler von der Unfallkasse unmittelbar nach dem Amoklauf betreut“, sagt Sprecherin Robus. Die Behandlungsund Rentenkosten summierten sich seitdem auf über sechs Millionen Euro.
Enttäuscht reagieren Hinterbliebene auf das offizielle Erinnern und Gedenken. „Ich warte immer noch auf eine Entschuldigung der damals für den Rettungseinsatz Verantwortlichen und deren Eingeständnis, dass man überfordert war. Der damalige Ministerpräsident Bernhard Vogel hätte dabei heute nichts mehr zu verlieren, würde aber den Angehörigen bei der Bewältigung ihrer Trauer helfen. Seit 15 Jahren werden diese Erwartungen bitter enttäuscht“, sagt Rechtsanwalt Eric Langer, der beim Amoklauf seine Lebensgefährtin verlor und danach im Namen einiger Hinterbliebener Klage einreichte.
Eine Angehörige beklagt, dass bisher nur eine Namenstafel an der Schule an die Opfer erinnert. „Namen sind nur Buchstaben. Um die Menschen dahinter vor Augen zu haben, muss man ihre Gesichter sehen. Dass es einen solchen Gedenkort nicht gibt, schmerzt unendlich“, sagt die Frau, die nicht namentlich genannt werden will. ▶