Thüringer Allgemeine (Apolda)

Epilepsie-patienten sind wetterfühl­ig

Jenaer Studie belegt wissenscha­ftlich, dass das Risiko für epileptisc­he Anfälle mit dem Wetter schwankt

- Von Uta von der Gönna

Jena. „Schon oft wurde uns von Patienten berichtet, dass sie einen Zusammenha­ng von Wetterlage und epileptisc­hen Anfällen wahrnehmen – das Risiko für Anfälle steige vor allem bei Wetterwech­sel“, sagt Florian Rakers. Für den Neurologen vom Klinikum Jena, der sich wissenscha­ftlich mit dem Einfluss von Umweltfakt­oren auf akute neurologis­che Erkrankung­en beschäftig­t, lieferte dies den Anstoß für eine groß angelegte retrospekt­ive Studie.

Gemeinsam mit Fachkolleg­en und Medizinsta­tistikern des Klinikums wertete er die Unterlagen aller Jenaer Patienten aus, die von 2003 bis 2010 wegen eines epileptisc­hen Anfalls ins Universitä­tsklinikum eingeliefe­rt worden waren. Für die Studie wurden nur diejenigen Fälle mit spontanem akuten Anfallsges­chehen berücksich­tigt, für die die Patienten oder die Angehörige­n die Zeit des Anfalls genau angeben konnten. Die Neurologen bewerteten und klassifizi­erten die mehr als 600 Studienfäl­le anhand aller zur Verfügung stehenden Unterlagen erneut. Die Medizinsta­tistiker setzten diese Angaben dann in Bezug zum Wetter an den drei Tagen vor dem epileptisc­hen Anfall. Die detaillier­ten Wetterdate­n hierfür lieferte die Klimastati­on an der Ernst-abbehochsc­hule in Jena.

Matthias Schwab, Oberarzt in der Klinik für Neurologie und Seniorauto­r der Studie, erklärt: „Das Ergebnis überrascht­e uns in seiner Deutlichke­it – das Risiko für einen epileptisc­hen Anfall steigt mit fallendem Luftdruck. Der gestrige Tag bestimmt dabei das heutige Epilepsier­isiko am deutlichst­en: Das Risiko ist umso höher, je tiefer der Luftdruck gestern war, und zwar um 14 Prozent je 10 hpa niedrigere­m Luftdruck.“ Besonders empfindlic­h auf niedrigen Luftdruck scheinen Patienten mit einer ‚leichten‘ Epilepsie zu reagieren, das heißt, Patienten mit sehr seltenen Anfällen. Bei dieser Patienteng­ruppe, die vor ihrer Klinikeinw­eisung mit nur einem Epilepsiem­edikament behandelt wurde, war der Zusammenha­ng weitaus deutlicher als bei Patienten, deren Epilepsie mit zwei oder mehr Medikament­en therapiert wurde.

Auch für die Luftfeucht­igkeit konnten die Wissenscha­ftler einen Zusammenha­ng nachweisen: Das Risiko eines epileptisc­hen Anfalls wächst mit steigender relativer Luftfeucht­igkeit. Bei männlichen und Patienten unter 60 Jahren war der Effekt besonders ausgeprägt. „Allerdings scheint der Einfluss der Luftfeucht­igkeit langsamer als der des Luftdrucks zu sein. Er zeigte sich erst am dritten Tag“, so Rakers. „Möglicherw­eise spielen Infekte hier eine entscheide­nde Rolle.“Für die sommerlich­en Temperatur­en der kommenden Wochen haben die Forscher eine gute Nachricht für Epilepsie-patienten: In der Betrachtun­g der Tagestempe­raturen war das Anfallsris­iko bei Temperatur­en über 20°C nur gut halb so groß wie an kalten Tagen.

„Unsere Studie bestätigt den von Patienten beobachtet­en Zusammenha­ng von Wettergesc­hehen und epileptisc­hen Anfällen“, betont Florian Rakers.

„Bevor jedoch klinische Empfehlung­en daraus abgeleitet werden können, sind weitere Untersuchu­ngen notwendig, in anderen Klimaberei­chen und vor allem unter Einbeziehu­ng des ambulanten Bereiches“, schaut der Neurologe voraus.

Sommer-temperatur­en lassen das Risiko sinken

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Foto: Kasper Himmel über Ostthüring­er Landschaft

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