Schutzengel greift am Bahnhof ein
Wie der junge Kahlaer Maximilian Kühnel nach seinem Nachtdienst noch zum Lebensretter wird
Jena.
Was für ein unglaublicher Zufall: In einer Situation, wo es um Leben und Tod geht, hatte der Lobedaer Konrad Horst Marstaller einen Schutzengel. Der stand in Person von Maximilian Kühnel an jenem 15. Juli neben ihm und wurde im Handumdrehen zum Lebensretter.
„Ich kam an jenem Samstagmorgen vom Nachtdienst im Uniklinikum, wo ich als Rettungssanitäter arbeite, und wartete auf dem Bahnsteig in Göschwitz auf meinen Zug nach Kahla. Ich war müde und versuchte mich wachzuhalten, indem ich auf meinem Smartphone spielte. Die anderen Leute auf dem Bahnsteig hatte ich kaum im Blick. Doch plötzlich krachte es neben mir. Ein Mann war mit voller Wucht umgestürzt. Ich brauchte einige Sekunden, um zu realisieren, was da passiert war. Ich sah das viele Blut, das ihm aus der Nase lief. Er drohte zu ersticken.“
Schnell begreift der 24-jährige Kahlaer, worum es geht: Es darf keine Zeit verloren gehen. Er bringt den 75-jährigen Mann in die stabile Seitenlage und schreit über den Bahnsteig, dass jemand sofort den Notdienst rufen soll.
Die Situation wird immer brenzliger. Bei dem auf dem Bahnsteig liegenden Mann setzt der Puls aus. „Ich nahm all meine Gedanken zusammen und rief das ab, was ich in meiner Ausbildung gelernt hatte und setzte Herzdruckmassagen an. Ich fand den entscheidenden Punkt zwischen den Brustwarzen und drückte dort 30 mal fünf bis sechs Zentimeter tief.“
Er bittet die Frau des Gestürzten während seiner Wiederbelebungsversuche, ihren Mann zu beatmen. Und da fällt dem jungen Sanitäter auch wieder das ein , was ihm einer seiner Lehrer sagte: Eine Herzdruckmassage am besten im Rhythmus des Refrains vom Song der Bee Gees „Stayin‘ Alive“ausführen. Anscheindend der goldrichtige Takt, wie sich zeigt. Der wenige Minuten später eintreffende Rettungsdienst die Wiederbelebung mit Erfolg fortsetzen. Beim Eintreffen des Notarztes hat der Mann bereits wieder einen funktionierenden Herzschlag. Er kommt ins Uniklinikum nach Jena. Dort werden ihm zwei der drei chronisch verschlossenen Herzkranzgefäße durch Stentimplantationen wieder geöffnet. Aber die Ärzte eröffnen ihm auch: Er werde künftig mit einem eingesetzten Defibrillator leben müsse. Gestern jedoch ging es für ihn erst einmal nach Hause. Das ist nicht weit vom Klinikum. Doch wie kam es zu jenem dramatischen Ereignis, das er und sein Retter wohl nie vergessen werden? „Ich weiß gar nichts mehr. Nur, dass meine Frau und ich an jenem Sonnabend mit dem Zug von Göschwitz nach Leipzig fahren wollten, um dort den Zoo zu besuchen. Wir warteten auf die Bahn, und plötzlich war ich weg und bin erst wieder im Klinikum aufgewacht. Dort haben sich Ärzte und Schwestern, ganz toll um mich bemüht. Und ich erfuhr von ihnen und von meiner Frau, was geschehen war“, erzählt der Rentner. schätzt Steffen Herdtle ein. Er ist Oberarzt in der Zentralen Notaufnahme und Leiter der Präklinischen Notfallmedizin am Uniklinikum. Er lobt das beherzte Eingreifen des jungen an.“Schon wenn das Herz drei Minuten lang kein Blut durch die Adern gepumpt habe, drohen Hirnschäden. Er mahnt: „Pro Minute ohne Rettungsmaßnahme sinkt die Überlebenswahrscheinlichkeit um zehn Prozent. Da hat man dann als professioneller Helfer kaum noch eine Chance!“Und der Lebensretter, der Schutzengel vom Göschwitzer Bahnhof? Der sieht sich bestätigt, wohl doch auf den richtigen Beruf umgesattelt zu haben. In seiner Erstausbildung als Maschinenführer war er nicht so glücklich und hatte sich daher zum Rettungssanitäter beim Roten Kreuz ausbilden lassen. „Ich wollte immer einen Beruf, bei dem ich nicht schon frühmorgens weiß, was auf mich zukommt!“. Deutlicher als an jenem aufregenden Samstagmorgen konnte sich dieser Wunsch wohl kaum erfüllen.
„Wenn man in einer solchen Situation hilft, kann man eigentlich nichts falsch machen – außer nichts zu tun.“