Thüringer Allgemeine (Arnstadt)
Die Kunst am Vergessen
Wir vergessen ja alle irgend etwas. Den Platz, wo wir das Auto abgestellt haben, den Hochzeitstag, den Tüv. Am häufigsten den Wohnungsschlüssel, wenn man einem Internetportal glauben kann. Sie haben dort Menschen befragt, weil nächtens der „Hab-ich-vergessenTag“begangen wird. Ich hatte mein schönstes Hab-ich-vergessen-Erlebnis auch an einem schönen Sommertag, es war auf der „documenta“in Kassel, ich hatte irgendwo meine Handtasche stehen lassen. Wer das weitläufige Gelände kennt, ahnt, was das bedeutet. Rekonstruktionen ergaben, dass ich sie noch an der Galgen-Installation hatte. Dort war sie aber nicht. Wir rannten lange an viel Kunst vorbei, in einem Cafe dann Erleichterung. Jemand hatte die Handtasche gefunden und abgegeben. Was denn drin sei, begehrte der Oberkellner zu wissen. Ich erbleichte, konzentrierte mich: Taschentücher, wahrscheinlich ein abgebrochener Lippenstift, ein Brief vom Ordnungsamt... Er winkte ab. Das war jetzt, stöhnte mein Mann, ein Scherz! Nein, sagte ich, das war eine Kunst-Performance, wir sind schließlich auf der „documenta“. Versuchen Sie mal als Frau auf Anhieb den Inhalt Ihrer Handtasche aufzuzählen! Ich schlage einen Wettbewerb vor, als Gewinn winkt eine Eintrittskarte für die aktuelle „documenta“.
Handtaschen gehören übrigens zu den Dingen, die Frauen am liebsten vergessen. Lachen Sie jetzt bloß nicht. Das ist immer noch besser, als die 17 Prozent der Männer, die angaben, schon einmal ihr Kind in der Kita vergessen zu haben.