Thüringer Allgemeine (Arnstadt)
Mays trauriger Weg zum Ausgang
Britische Regierungschefin wirkt auf EU-Gipfel isoliert. Thema Brexit sollte nicht dominieren
Brüssel.
Von der zuvor in London angekündigten „großzügige Offerte“ist nicht mehr die Rede. Doch „ein faires und ernsthaftes Angebot“habe sie allemal gemacht, versichert Theresa May. Den 27 Nochpartnern erläuterte sie auf dem EU-Gipfel, was beim Brexit aus den Rechten von EUBürgern auf der Insel werden soll. Kern der Botschaft: Dieselben bleiben gewahrt. Die Begeisterung der 27 anderen hält sich in Grenzen.
Gipfel-Chefdirigent Donald Tusk hatte von vornherein großen Wert darauf gelegt, der britischen Premierministerin und ihrem Thema beim zweitägigen Häuptlingstreffen nur einen Randauftritt zu gönnen. Brexit – lästig, ärgerlich und schwierig, wie es ist – sollte auf keinen Fall das gemeinsame Kern- und Zukunftsgeschäft der 27 anderen dominieren. Die Devise lautete: Keine Brexit-Verhandlungen auf dem Gipfel, dafür haben wir Chefunterhändler Michel Barnier.
Und was das Persönliche anlangt – nun ja, es hat sich auf dem Kontinent herumgesprochen, dass die Kollegin aus London nach der Abfuhr durch den Wähler zu Hause nicht mehr all- zu fest im Sattel sitzt. Die vor Kurzem vermeintlich noch eiserne Lady durfte erst am späteren Abend des ersten Gipfeltages erläutern, wie sie sich die Zukunft der Unionsbürger im Vereinigten Königreich vorstellt. Die Ansage: Wer zum Zeitpunkt des Ausscheidens – Ende März 2019 – korrekt gemeldet ist, darf bleiben. Nach fünf Jahren rechtmäßigen Aufenthalts auf der Insel erwerben EU-Ausländer dieselben Versorgungsansprüche wie die Einheimischen, auf Gesundheitsdienste, Schulzugang, Sozialhilfe und Rente. Personen mit unklarem Aufenthaltstitel sollen bis zu zwei Jahre Zeit bekommen, ihren Status zu „regularisieren“. Keinem werde von einem Tag auf den anderen der Stuhl vor die Tür gesetzt. Das Ganze, teilte May mit, ziele darauf, „den Bürgern, die sich in Großbritannien niedergelassen, Karrieren und Lebensplanungen verfolgt und so viel zu unse- rer Gesellschaft beigetragen haben, größtmögliche Sicherheit zu geben“. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) war’s einigermaßen zufrieden: „Das war ein guter Anfang – aber auch noch nicht der Durchbruch.“
Gut ist nur die verbindliche Tonlage – in der EU vermerken sie mit Genugtuung, dass die politisch gerupfte Dame aus London die rhetorische Schärfe („kein Deal ist besser als ein schlechter“) heruntergedimmt hat. In der Substanz ist Mays Ansage indes kein Zugeständnis. Denn schließlich geht es hier nicht nur um die 3,2 Millionen EU-Ausländer, die derzeit im Vereinigten Königreich leben. Es geht im automatischen Umkehrschluss zugleich um die Ansprüche, die rund eine Million Briten auf dem Kontinent geltend machen können. Weil am Prinzip der Gleichbehandlung kein Weg vorbeiführt, würde London alles, was man den EUGästen vorenthält, indirekt auch den eigenen Leuten auf dem Kontinent versagen.
Die heiklen Fragen sind weiter offen: Bis zu welchem Stichtag gelten die Garantien? Was ist mit dem Familiennachzug? Welches Gericht soll Streitfälle entscheiden? Nähere Aufschlüsse werden von einer de- taillierten Position erwartet, die London am Montag den Partnern zustellen will. Vorerst bleibt der Eindruck einer Premierministerin am Rande der Demütigung. Selbst dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, der sich den Ruf eines harten Knochens erarbeitet hat, war leicht unwohl: „Wir sitzen da, und die Lady muss raus – etwas unbehaglich.“
Das Hauptgeschäft des Gipfels stand ganz im Zeichen des auf Touren gekommenen deutsch-französischen Motors. Nachdem Präsident Emmanuel Macron über eine solide Mehrheit im Parlament verfügt, wollen Paris und Berlin durch gemeinsame Initiativen die EU wieder in die Vorwärtsbewegung bringen. „Wenn Deutschland und Frankreich sich nicht einig sind, kommt Europa nicht voran“, erklärte Macron nach seinem ersten EU-Spitzentreffen.
„Wir sitzen da, und die Lady muss raus – etwas unbehaglich.“
Heikle Fragen eines EU-Austritts sind offen
Das hatte am Ende eine beachtliche Beschlussliste vorzuweisen: Bis zum Herbst soll der Bauplan für die enge militärische Kooperation stehen. Zugleich will man zusammen mit der Internetindustrie gegen Terrorpropaganda im Netz vorgehen. Beim Handel macht die EU Front gegen Protektionismus, will sich aber besser gegen Dumping und die Übernahme strategisch wichtiger Unternehmen wappnen. Ein Freihandelsabkommen mit Japan soll in Kürze unter Dach und Fach gebracht sein. Auch mit Mexiko und den südamerikanischen Ländern will man zügig einig werden.
Keine Einigung gab es wie erwartet über eine Reform des EUAsylsystems. Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei sperren sich weiter gegen jede Form „mechanischer Umsiedlung von Migranten“(die polnische Premierminister Beata Szydlo). Merkel will freilich nicht lockerlassen: „Ich werde nicht aufhören, darüber zu sprechen.“