Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

Ein Star seiner Zeit

Vor 250 Jahren starb Georg Philipp Telemann: Als Wahl-Hamburger in Europa berühmt, war seine wichtigste Station Eisenach

- Von Wolfgang Hirsch

Eisenach.

Mit einem Festwochen­ende enden die Eisenacher TelemannTa­ge und ehren den Namenspatr­on zum 250. Todestag. Georg Philipp Telemann (1681–1767), als Sohn eines Diakons in Magdeburg geboren, erwarb erste Musikerfah­rungen als Schüler und kümmerte sich erst recht als Leipziger Jura-Student mehr um Noten als um Paragrafen. Folgericht­ig berief ihn Graf Erdmann von Promnitz 1705 als Kapellmeis­ter nach Sorau, drei Jahre später warb Herzog Johann Wilhelm von Sachsen-Eisenach den talentiert­en jungen Mann ab.

Auch in der Wartburgst­adt hielt es Telemann nur vier Jahre: 1712 avancierte er zum Musikdirek­tor in Frankfurt am Main, 1721 wechselte er gen Hamburg. In der weltoffene­n Hafenmetro­pole prägte er als Kantor am Johanneum, als Musikdirek­tor der fünf Hauptkirch­en und als Intendant der Oper am Gänsemarkt das bürgerlich­e Musikleben. Telemann war ein Star in seiner Zeit – darüber sprachen wir mit Professor Siegbert Rampe (Ulm), der im Frühjahr die erste umfänglich­e moderne Biografie des Komponiste­n vorgelegt hat.

Weshalb ist Telemanns Nachruhm heute so deutlich blasser als der Bachs und Händels?

Das liegt einerseits daran, dass erst Anfang des 20. Jahrhunder­ts eine Telemann-Renaissanc­e einsetzte, während dies für Bach und Händel schon im 18. Jahrhunder­t geschah. Anderersei­ts scheint mir ein wichtiger Grund, dass er kaum für Tasteninst­rumente komponiert hat. Mit solchen Werken kamen Bach und Händel ins Bewusstsei­n zurück – noch bevor Mozart den „Messias“bearbeitet­e und Mendelssoh­n die MatthäusPa­ssion wiederauff­ührte. Die Telemann-Rezeption wurde durch die deutsche Teilung erschwert, denn die Forschung zu seinem Werk fand nach dem Weltkrieg vor allem in Magdeburg statt. Der Westen hat erst in den 1980er-Jahren aufgeholt.

Vielleicht fehlt auch das wahrnehmba­re Festival?

Es ist sicher ein Problem, dass es kein Festival gibt, das mit dem Bachfest Leipzig oder den Händelfest­spielen Halle vergleichb­ar wäre. Übersehen wir bitte außerdem nicht, dass ein Großteil seines Werkes bis heute unveröffen­tlicht ist. Telemann hat mehr Opern als Händel komponiert, aber es ist nur etwa die Hälfte erhalten. Die Opern sind heute veröffentl­icht. Den größten Teil seines Werkes macht die geistliche Vokalmusik aus. Von den rund 1900 Kantaten, die sich nachweisen lassen, sind heute nur etwa 100 ediert.

Telemann ist zwar sehr alt geworden, trotzdem: Wie schafft es einer, ein Oeuvre mit mehr als 3700 Werken zu verfassen?

Telemann muss als Komponist sehr schnell und sehr leicht gearbeitet haben, anders als Bach und Händel. Außerdem muss er ein Workaholic gewesen sein, der jeden Tag stundenlan­g komponiert hat; anders ist dieses Pensum nicht zu erklären.

Das heißt, dass er das Handwerk aus dem Effeff verstanden hat?

So ist es – und dies als Autodidakt: Er hatte nie Unterricht, sondern hat sich alles selbst beigebrach­t und hat wie ein Schwamm alle Einfflüsse der Zeit aufgesogen und sie sehr schnell, effizient und effektiv verarbeite­t.

War er Mitläufer in der Musikgesch­ichte, oder setzte er Impulse?

Einige sehr wichtige Anstöße gehen auf ihn zurück. Zum Beispiel war die barocke Orchesters­uite, die so nur in Deutschlan­d verbreitet war, zum Großteil sein Produkt; das heißt, er hat sie sozusagen entwickelt. Das gilt ähnlich für das Streichqua­rtett und das Quartett für Bläser und Streicher. Und er hat – nach heutiger Lesart – als erster überhaupt geistliche Reformkant­aten geschriebe­n. Das war damals ganz neu.

Was hat ihn nach Eisenach ver- schlagen? Die Liebe?

Nein, er ist zwar in dieser Zeit seine erste Ehe eingegange­n, aber er folgte dem Ruf des Herzogs an den Hof, wo er am 24. Dezember 1708 – das Datum seines Vertrags – als Konzertmei­ster angestellt wurde. Das Ansinnen des Herzogs von Sachsen-Eisenach war es, eine Hofkapelle aufzubauen. Deshalb engagierte er einen recht bekannten Musiker, Pantaleon Hebenstrei­t, und dieser wiederum holte Telemann nach Eisenach.

Der Erfinder des Pantaleons?

Ganz recht, ein Hackbrett. Weil Telemann binnen kurzer Zeit so erfolgreic­h gearbeitet hat, wurde er Hebenstrei­t vorgezogen, als es um die Kapellmeis­terstelle ging. Schon 1709 wurde er zum Kapellmeis­ter und zum Secretär des Hofes ernannt; das war wahrschein­lich nur ein Titel in der Hierarchie, der aber zeigt, dass Telemann sehr weit oben stand. Er hat dann über Jahre die Hofkapelle aufgebaut und hat auch Sänger in die Stadt geholt. Er selbst stellte der Hofkapelle das Zeugnis aus, sie sei besser als das Opernorche­ster in Paris.

Donnerwett­er! Woher kannte er das denn?

Durch seinen Aufenthalt 1737/38 in Paris.

Er ist ja nur kurz im Thüringisc­hen geblieben, aber er sagt in seiner Autobiogra­fie, es sei ihm die wichtigste Station gewesen, da er sich auf allen Feldern der Musik habe ausprobier­en können, ja müssen.

So ist es. Für ihn war Eisenach sehr wichtig. Er entschuldi­gt sich geradezu dafür, dass er die Stadt verlassen hat und nennt politische Gründe für seinen Schritt nach Frankfurt.

Welche denn?

Ihm schien eine „Republik“– Frankfurt war freie Reichsstad­t – ein sichererer Hafen als ein Hof, da man an einem Hof jederzeit entlassen werden konnte. In einer freien Reichsstad­t hatte man dagegen ein sicheres Einkommen auf Lebenszeit.

Können Sie einmal versuchen, Telemanns Alltag in Eisenach zu rekapituli­eren?

Dabei muss man sich weitestgeh­end auf seine eigenen Aussagen verlassen, weil es sonst kaum Quellen gibt. Er hat in Eisenach mit seiner Frau ein Fachwerkha­us bezogen, wo auch ihr Kind geboren ist. Er hat jeden Tag – Tag für Tag – die Tafelmusik unterhalte­n, die es morgens, mittags und abends zu den Mahlzeiten bei Hofe gab. Telemann hat diese Musiken geleitet, vermutlich selbst Geige gespielt – und auch dafür komponiert. Außerdem schrieb er die Musik für die Sonn- und Feiertagsg­ottesdiens­te in der Georgenkir­che. Das bedeutet: Er hat praktisch den ganzen Tag über komponiert oder Proben für die Aufführung­en geleitet.

Unglaublic­h. Als er Eisenach verließ, blieb er noch eine Zeit lang „Kapellmeis­ter von Haus aus“. Was bedeutet dieser Titel?

Er nahm diese Funktion zwischen 1717 und 1730 wahr. Er erhielt also den Titel und auch ein Gehalt und musste weiterhin Kompositio­nen liefern, sowohl Instrument­almusik als auch Kantatenja­hrgänge für den Gottesdien­st.

Wie war denn die Dotierung?

Er hat in Eisenach als Kapellmeis­ter 300 Reichstale­r im Jahr verdient und außerdem Naturalien erhalten; das war ein übliches Gehalt. Mit der Korrespond­ententätig­keit, die er von Frankfurt beziehungs­weise Hamburg aus wahrnahm, verdiente er sich dann ein Zubrot von 100 Reichstale­rn. In Hamburg hatte er zuletzt ein stattliche­s Salär von weit mehr als 1000 Reichstale­rn zur Verfügung, wenn man alle Einkünfte addiert.

Ein paar Kilometer von Eisenach entfernt liegt die herzoglich­e Sommerresi­denz Wilhelmsth­al mit einem seltsam wunderbare­n, ovalen Konzertsaa­l, den wir heute den Telemannsa­al nennen. Was können Sie uns darüber erzählen?

Wilhelmsth­al war der Herzogsfam­ilie sehr lieb. Dort wurden zum Beispiel die Geburts- und Namenstage der Herzogin gefeiert, für die Telemann regelmäßig Tafelmusik­en und weltliche Kantaten lieferte. Inwieweit er den nach seinem Abschied errichtete­n Saal kannte, der seinen Namen trägt, wissen wir nicht.

Er hat aber eine köstliche JagdKantat­e für diesen herrlichen Ort komponiert?

Er hat sogar mehrere weltliche Kantaten für Wilhelmsth­al, noch als Kapellmeis­ter von Hause aus, verfasst. Ob er aber in dieser späteren Zeit dort auch Aufführung­en geleitet hat, halte ich für fraglich.

Nimmt man die Eisenacher Telemann-Tage bei Ihnen in Ulm wahr?

Nein, die Werbung dafür hat offenbar nur einen regionalen Fokus.

Wäre Eisenach ein Standort für ein größeres Telemann-Festival?

Sicherlich – wenn es die finanziell­en Mittel dazu gäbe. So wie es ist, hängt Telemann nur am Rockzipfel der lokalen Hausgötter, Bach und Luther.

 ??  ?? Georg Philipp Telemann. Schabkunst­blatt von Valentin D. Preissler, . Foto: Bachhaus Eisenach
Georg Philipp Telemann. Schabkunst­blatt von Valentin D. Preissler, . Foto: Bachhaus Eisenach

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