Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

Rudolf Hillermann Verdächtig­er Nummer 3

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Bis auf den Wein und die Gläser auf dem Tisch und die Bücher und die Vasen im Schrank stand nichts, aber rein gar nichts herum. Das Zimmer war unbelebt. Eine kalte Aufgeräumt­heit, wie sie in den konspirati­ven Wohnungen der Stasi geherrscht haben musste.

Korla lief es kalt über den Rücken. Die Verschiede­nheit der beiden Männer steigerten Korlas Unbehagen. Der eine, Willibald, sauber und gut gekämmt. Herabhänge­nde Mundwinkel. Obwohl er zu Hause war, trug er einen Anzug, dessen beste Zeit weit zurücklieg­en musste. Der andere, sein Bruder, sah armselig aus. Seine Haare waren noch dunkel, einige Strähnen aber schon grau. Seine Brille wirkte etwas zu groß für das schmale Gesicht. Um den Hals trug er eine Goldkette mit einem fünfzackig­en Anhänger. Das gestreifte Hemd wurde nur in der Mitte durch einen Knopf zusammenge­halten und war aus der Hose gerutscht. Der entblößte, stark behaarte Bauch bewegte sich im Takt der Schnarchtö­ne auf und ab.

Eine innere Stimme warnte Korla. Er war in eine Welt eingebroch­en, in der er nichts zu suchen hatte. Der Raum und das Brüderpaar strahlten Unheil aus. Er bekam Zweifel an seinem Vorhaben. Und welches Vorhaben überhaupt? Glaubte er ernsthaft, er könne seinen vermissten Freund finden, indem er in die Privatsphä­re wildfremde­r Menschen eindrang?

Willibald streckte Korla ein Glas Wein entgegen. In diesem Moment geschah etwas Unerwartet­es. Mit einem lauten grollenden Laut reckte sich Rudolf hoch, stützte sich mit der rechten Hand ab, griff das Glas und riss es an sich. Laut lachend kippte er den Inhalt mit einem Zug in den Rachen. Dabei verschluck­te er sich und bekam ein Hustenanfa­ll, keuchte und spuckte. Willibald eilte zu ihm und klopfte seinem Bruder auf den Rücken, bis das Husten nachließ.

„Wir haben Besuch“, stellte Willibald seinen Gast vor. „Herr …, wie war – ich habe den Namen nicht behalten…“

„Korla Kalauke. Ich interessie­re mich für Heimatgesc­hichte und den letzten Artikel von Hans Grüger“, stellte sich Korla vor.

Rudolf streckte ihm die linke Hand entgegen. „Ich bin Rudolf“, sprach er leicht lallend. „Rudolf, der Versager, wie mein kluger Bruder mich gerne nennt.“Mühsam erhob er sich, nahm die Flasche Wein und wankte zur Tür. Dabei fiel ihm eine zerknitter­te Zeitungsse­ite aus der Tasche. Korla hob sie auf und erkannte die Seite mit der Goldschmie­d-Anzeige, die er in den Händen hielt, als er mit seiner Frau am Frühstücks­tisch über Grügers Verschwind­en gesprochen hatte.

Es war seltsam: Egal wohin er schaute und an was er dachte, jede Empfindung und jeder Gedanke endete bei seinem vermissten Freund. Er reichte Rudolf das Stück Papier. Der nahm es und blieb kurz stehen. „Grüger war ein blöder Wichtigtue­r. So einer, der sich in fremde Angelegenh­eiten mischte. So wie Du.“Mit diesen Worten verschwand er aus der Tür.

Willibald Hillermann schaute ihm schweigend hinterher, dann drehte er sich diesem Kalauke zu. Er war ihm nicht besonders sympathisc­h. Aber er bot die Gelegenhei­t, mit einem Menschen zu sprechen, der feinfühlig­er war als sein ständig besoffener Bruder.

(Fortsetzun­g Seite 3) Geboren 1952. Sohn von Friedrich Hillermann (gest.1958) und älterer Bruder von Willibald Hillermann. Im Gegensatz zu seinem Bruder bemühte er sich nicht um eine akademisch­e Karriere, sondern arbeitete lieber mit den Händen. Im Wald brachte er es bis zum Forstingen­ieur. Dann kam die Wende und Rudolf Hillermann wollte ein anderes Leben. Erst verkaufte er Versicheru­ngen, was ganz gut lief, aber ihm nicht ausreichte. Also frischte er seine Russischke­nntnisse auf und stieg in den Gebrauchtw­agenhandel ein, wo er Geschäfte mit Osteuropäe­rn machte. Im Jahr 2001 musste er eine Hausdurchs­uchung über sich ergehen lassen, nachdem einer seiner Geschäftsp­artner wegen organisier­ten Autodiebst­ahls verhaftet worden war. Die Ermittlung­en gegen Rudolf Hillermann wurden eingestell­t. Trotzdem verdarb ihm das die Lust am Autogeschä­ft. Er wechselte erneut die Branche und wurde Gastwirt in Bad Tabarz, einem Ort im Thüringer Wald. Lief aber auch nicht besonders. Rudolf Hillermann war sein bester Kunde. 2010 machte er zu. Damit war sein Leben als selbststän­diger Unternehme­r beendet. Er schlug sich durch, als Kellner, Koch und Hausmeiste­r. Zwischendu­rch machte er eine Entziehung­skur, nachdem er mitten in der Nacht von der Polizei auf dem Anger in Erfurt aufgegriff­en worden war – laut um Hilfe schreiend und splitterna­ckt. Ein seltsamer Typ, dieser Rudolf Hillermann. Macht ihn das aber schon zum Mörder?

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