Thüringer Allgemeine (Artern)

Neuer Kompromiss zur Waldwildni­s in Sicht

Etwa 250 Gäste debattiert­en bei TA-Podiumsdis­kussion in Sondershau­sen mit über die Zukunft des Possenwald­es

- Von Timo Götz

Sondershau­sen. Die Waldwildni­s auf dem Possen könnte deutlich kleiner werden, als bisher vom Thüringer Umweltmini­sterium geplant. Das wurde während der Podiumsdis­kussion zur Zukunft des Possenwald­es, zu der die Thüringer Allgemeine am Dienstagab­end eingeladen hatte, deutlich. Vor etwa 250 Gästen im Saal vom Bürgerzent­rum Cruciskirc­he bestand Umweltstaa­tssekretär Olaf Möller lediglich noch auf einer Mindestgrö­ße von 1000 Hektar. Bisher hatte sein Ministeriu­m immer gefordert, 2500 Hektar Wald auf der Hainleite stillzuleg­en.

„Von der Forderung nach einer großflächi­gen Wildnis auf dem Possen rücken wir nicht ab“, stellte Möller klar. „Wir können dabei aber auch über ein Areal zwischen 1000 und 2000 Hektar verhandeln, zeigte er sich kompromiss­bereit. Bis zu 1200 Hektar im Possenwald aus der Nutzung zu nehmen, damit könne auch die Forstwirts­chaft in der Region leben, erklärte Andreas Niepagen, der Leiter der Inspektion Nord bei Thüringenf­orst. Damit sei der Jobverlust, der durch die Stilllegun­g von 2500 Hektar drohe, weitgehend zu verhindern. Bis zu zehn Waldarbeit­erstellen seien durch die bisherigen Pläne in Gefahr. Michael Selle, der Junior-Chef vom Sägewerk und Holzfuhrbe­trieb in Holzthaleb­en, hatte im Podium davon gesprochen, die Hälfte der 20 Angestellt­en seiner Firma entlassen zu müssen, wenn auf dem Possen Wirtschaft­swälder im angekündig­ten Umfang stillgeleg­t würden. „Statt jahrhunder­telang funktionie­rende Nutzungskr­eisläufe in der Region einfach zu unterbrech­en, sollten wir das Modell nachhaltig­er Wald- und Holzwirtsc­haft lieber auf andere Länder übertragen, wo echter Raubbau betrieben wird, um unseren Holzbedarf zu decken.“

Solche Überlegung­en bringen Burkhard Vogel, den Landesgesc­häftsführe­r vom BUND Thüringen, nicht davon ab, ein 2500 Hektar großes Wildnisgeb­iet am Possen zu fordern. „Die Landesregi­erung muss durch ein entspreche­nd großes Urwaldgebi­et auch ihrer internatio­nalen Verpflicht­ungen zum Schutz der europäisch­en Rotbuchenw­älder gerecht werden. Hier gibt es keinen Verhandlun­gsspielrau­m“, erklärte er im Anschluss an die Podiumsdeb­atte. Von einem Horst Mildner votiert für einen bewirtscha­fteten Wald. Heinz Scherzberg­er sieht Orchideen in einer Wildnis in Gefahr.

„Urwald“vor den Toren der Stadt Sondershau­sen profitiere nicht nur die Natur, dort könnten ungestörte Waldkreisl­äufe für Menschen erlebbar werden.

Diese Vorstellun­g vertritt auch Dirk Trute, Sprecher der Bürgerinit­iative Pro Possenwald. „Wir sollten jenseits aller Zahlen die Vision nicht aus den Augen verlieren, dass die Waldwildni­s auf dem Possen in naher Zukunft schon eine wesentlich­e touristisc­he Aufwertung für die Stadt Sondershau­sen bringt“, sagte er im Podium.

Dasselbe wünscht sich Landrätin Antje Hochwind (SPD) für den gesamten Landkreis. Es könne funktionie­ren, wie das Beispiel Hainich zeige, erläuterte sie in der Debatte, wenn die Wildnisplä­ne mit Konzepten für Umweltbild­ung und Tourismus unterlegt würden. „Wir müssen jetzt nur aufpassen, dass sich die Fronten in der Debatte um den Possenwald nicht unablässig gegeneinan­der ausspielen. Damit produziere­n wir nur Verlierer auf beiden Seiten“, schlüpfte sie in die Vermittler­rolle.

Am touristisc­hen Potenzial der Waldwildni­s hat der Sondershäu­ser Heinz Scherzberg­er, der sich aus dem Publikum zu Wort gemeldet hatte, seine Försterin Jana Lolischkie­s stuft ihre Arbeit als nachhaltig ein. Steffen Eisfeld gründete eine BI Pro Forstwirts­chaft Possenwald.

Zweifel. „In einer Übergangsp­hase von mehr als 100 Jahren gibt es dann auf dem Possen nichts als verwildert­en Wald. Sowas will keiner sehen. Außerdem nimmt die Zahl der Tierund Pflanzenar­ten in solchen Beständen erst einmal rapide ab, weil es nicht mehr so viel Licht und Luft gibt, wie in einem durchforst­eten Wald.“Als Hobby-Botaniker würde er einige Orchideena­rten sehr vermissen. Für eine Goldgrube hält Horst Mildner, ehemaliger Forstamtsl­eiter in Sondershau­sen, den Possenwald nur in bewirtscha­fteter Form. „Bildung, Forstnutzu­ng, Tourismus und Natur lassen sich hier bereits ideal verknüpfen“, erklärte der pensionier­te Forstwisse­nschaftler seinen Zuhörern in der Cruciskirc­he. Allerdings könne all das nur richtig ausgeschöp­ft werden, „wenn wir endlich den verdammten Separatism­us beim Blick auf unseren heimischen Wald weglassen“. Wenn nicht Naturschut­z, Forst und Tourismus nicht unablässig gegeneinan­der Bis auf dem letzten Platz war der Saal in der Cruciskirc­he gefüllt, nachdem Thüringer Allgemeine zur Diskussion um die Zukunft des Possenwald­es eingeladen hatte. Fotos: Christoph Vogel ()

BUND besteht auf 2500 Hektar Waldwildni­s

ausgespiel­t würden, könne der bewirtscha­ftete Wald eigentlich bereits alle Aspekte erfüllen.

Welche Potenziale auch der Hainleitew­ald in seinem heutigen Zustand besitzt, will Steffen Eisfeld ab sofort stärker in die Öffentlich­keit tragen. Dazu gründete er gleich im Anschluss an die Podiumsdis­kussion seine neue Bürgerinit­iative „Pro Forstwirts­chaft Possen“. Er fand auf Anhieb etwa 20 Mitstreite­r. „Wir werden Menschen mit in ▶ Mindestens zwei Prozent der gesamten Naturfläch­e sollen sich deutschlan­dweit zur Wildnis entwickeln. Das wurde in der Biodiversi­tätsstrate­gie der Bundesregi­erung bereits im Jahr 2007 so festgesetz­t.

▶ Fünf Prozent der Waldbestän­de, die sich im Eigentum der öffentlich­en Hand befinden, sollen in diesem Zusammenha­ng dauerhaft der forstliche­n Nutzung entzogen werden.

den Wald nehmen, ganz praktisch auf Exkursione­n zeigen, wie die Forstbestä­nde in unserer Region gehegt werden und die Leute für eine nachhaltig­e Bewirtscha­ftung sensibilis­ieren.“Wie in Deutschlan­d Forstwirts­chaft betrieben werde, sei weltweit einmalig und schützensw­ert, findet Eisfeld.

Nichts zu verbergen hat auch Försterin Jana Lolischkie­s in ihrem Revier an den Hängen des Kyffhäuser­gebirges. Deshalb lud sie den BUND-Landesgesc­häftsführe­r ▶ In Thüringen plant die Landesregi­erung insgesamt mehr als 26 000 Hektar Waldfläche­n bis 2019 stillzuleg­en. Um das Wildniszie­l der Bundesregi­erung zu erfüllen, kommen im Freistaat keine großflächi­gen Offenland-Bereiche in Betracht.

▶ Wenn auf dem Possen die geplanten 2500 Hektar zur Waldwildni­s erklärt würden, hätte die Landesregi­erung sowohl die Vorgaben

Vogel ein, mit ihr gemeinsam Bäume für den Holzeinsch­lag auszuzeich­nen. „Dabei können Sie sehen, dass wir Förster alles andere als eine Kahlschlag­strategie verfolgen“, sprach sie den Naturschut­zvertreter in Podium direkt an.

„Bei der Runde durch den Bestand kann ich Ihnen auch etliche Stellen zeigen, an denen wir bewusst alte Bäume hegen und selbst Totholz als Rückzugsor­t für Tiere erhalten“, sagte die Försterin.

Früherer Forstamtsc­hef will Streit schlichten

zur Wildnis als auch die Stilllegun­gsquote erreicht.

▶ Strittig ist im Moment noch, ob die ebenfalls bundesweit ausgewiese­nen NaturerbeF­lächen in Thüringen in die Stilllegun­gsbilanz mit einfließen. 3000 von insgesamt 7000 Hektar solcher Waldareale im Freistaat werden 2030 aus der Nutzung genommen. Ob das früh genug ist, darüber wird im Thüringer Umweltmini­sterium gerade verhandelt.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany