Thüringer Allgemeine (Bad Langensalza)
„Es ist an der Zeit, dass die SPD ihr rot-rot-grünes Abenteuer beendet“
Bernhard Vogel über die Koalitionen in Berlin und Erfurt sowie den Umgang mit der rechten und linken Konkurrenz
Erfurt. Seit Dezember ist er 85, aber das Alter hat Bernhard Vogel nie viel ausgemacht. Der einzige doppelte Altministerpräsident Deutschlands (Thüringen, Rheinland-Pfalz) nimmt seine Ämter als Ehrenvorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Thüringer CDU immer noch ernster als manch anderer seinen Hauptberuf. Und so ist er oft in dem Freistaat unterwegs, den er einst regierte. Er hält Reden, besucht Empfänge – und gibt Interviews. Wir sprachen mit ihm in Erfurt über die politische Lage in Bund und Land.
Herr Vogel, die große Koalition regiert. Zufrieden?
Erst einmal: Ich hatte wirklich gehofft, dass nicht wieder ein Bündnis der beiden Volksparteien notwendig ist. In einer solchen Konstellation droht automatisch die Schwächung der parteipolitischen Profile. Dies wiederum führt dazu, dass an den Rändern, links wie rechts, radikale Gruppen gestärkt werden. Große Koalitionen sollten daher die Ausnahme bleiben: Für die Situationen, in denen es schlicht nicht anders geht.
Und eine solche Situation gab es nach der Bundestagswahl? Ja. Nach dem Aus der JamaikaGespräche zwischen Union, FDP und Grünen standen als Optionen nur die Minderheitsregierung oder Neuwahlen zur Verfügung. Beide waren nicht gut. Deutschland benötigte rasch eine handlungsfähige Regierung – und die war nur durch eine große Koalition zu erreichen. Um also Ihre Ausgangsfrage zu beantworten: Ich bin zufrieden. Jetzt kann endlich die Regierungsarbeit beginnen.
Die Thüringer CDU hat wieder einen Regierungsposten im Bund, wenn auch in der zweiten Reihe. Doch was kann Christian Hirte als Ost-Beauftragter wirklich erreichen?
Ich habe mich über die Berufung von Christian Hirte sehr gefreut. Ich kenne ihn schon lange, er wird das prima machen. Das Amt ist nicht immer gut ausgefüllt worden, deshalb halten es einige für überflüssig. Doch es ist notwendig, so lange, bis sich die durchschnittlichen Lebensverhältnisse in Ost und West angeglichen haben.
Aber geht es nicht um mehr? Der Zulauf zu Pegida und zur AfD haben die alte, emotional aufgeladene Ost-West-Debatte wieder neu beginnen lassen. Ich hatte nicht erwartet, dass die Unterschiede in der Mentalität so ausdauernd sind. Aber auf der anderen Seite überrascht es mich auch nicht wirklich. Es gab nun mal 40 Jahre lang zwei Staaten in Deutschland – eine Demokratie und eine Diktatur – die darüber hinaus feindlichen politischen Blöcken angehörten. Und es gab danach für mehrere Jahre in jenem Teil, der eine Diktatur war, einen Umbruch in nahezu allen Lebensbereichen, der bis heute nachwirkt. Auflösen wird sich diese Situation erst, wenn nur noch Menschen in Deutschland leben, die bewusst die DDR und die alte BRD nicht mehr erlebt haben.
Zurück zur großen Koalition: Aus Sicht vieler droht jetzt erst recht das Erstarken der AfD bei der Landtagswahl 2019. Bereitet Ihnen das auch Sorge? Thüringen ist Teil der Bundesrepublik. Daraus folgt: Eine handlungsfähige Bundesregierung ist auch gut für den Freistaat. Und: Wenn diese Bundesregierung erfolgreich ist, wird das auch den beiden Landesparteien von CDU und SPD nützen.
Und wenn nicht? Falls die AfD stärker wird, reicht es weder für die derzeitige Linksregierung noch für eine CDU-geführte Koalition.
Im Grundsatz ist es für mich selbstverständlich, dass die CDU und alle anderen demokratischen Parteien mit der AfD nichts zu tun haben. Sie dürfen nicht einmal erwägen, sie als Koalitionspartner oder auch nur als Tolerierungspartner zu akzeptieren. Es wäre deshalb gut, wenn diese klare Abgrenzung zur AfD deutlich und gemeinsam zu Beginn des Wahlkampfes bekundet würde. Sonst wird die Hälfte der Diskussionen darauf verschwendet, sich mit dieser Partei zu beschäftigen und nicht mit den eigentlichen Problemen des Landes und mit dem eigenen Programm.
Also eine gemeinsame Erklärung von CDU bis Linke, nicht mit der AfD in irgendeiner Art zu kooperieren?
Ja, das findet ja auch schon so in der Praxis im Thüringer Landtag statt. Wenn man gemeinsam sagte, dass dies auch für die Zeit nach 2019 gilt, dann spart man sich viele unnütze Spekulationen und gegenseitige Unterstellungen im Wahlkampf. Ist Ausgrenzen denn wirklich die Lösung?
Es geht um Abgrenzen, nicht um Ausgrenzen. Und es geht um die Führung der AfD und das Programm der AfD, nicht um deren Wähler. Wir wissen aus vielen Analysen, dass die allermeisten Menschen aus Unzufriedenheit und Verdrossenheit über die etablierten Parteien die AfD gewählt haben – und nicht, weil sie deren Programm oder Funktionäre gut finden.
Die Ängste und Sorgen der Menschen gilt es ernst zu nehmen und auf ihre Berechtigung zu prüfen. Das hat nichts mit dem Anbiedern an die AfD zu tun, sondern mit Respekt vor dem Wähler.
Trotzdem nochmals zu der durchaus möglichen Situation, dass es 2019 für keine der bisher bekannten Koalitionsmöglichkeiten reicht. Wäre dann auch eine Kooperation Ihrer CDU mit der Linken denkbar? Das steht mir alles zu sehr im Konjunktiv. Wenn ich mir die aktuellen Umfragen anschaue, hat nur Rot-Rot-Grün in Thüringen keine Mehrheit mehr. Für eine CDU-SPD-Koalition mit Grünen oder Liberalen könnte es aber reichen.
Aber höchstens sehr knapp. Und wenn nicht? Fällt dann das linke Tabu?
Grundsätzlich gilt: Nach der Landtagswahl sind alle Partner – außer der AfD – verpflichtet, dem Land zügig zu einer handlungsfähigen Regierung zu verhelfen. Da müssen sich alle an einen Tisch setzen. Auch hier gilt: Erst das Land, dann die Partei.
Das heißt: Zur AfD ziehen Sie eine klare Linie, zur Linken nicht mehr?
Die Linke regiert seit drei Jahren in Thüringen. Sie kann seitdem nicht mehr radikale Opposition betreiben. Sie hat auch deshalb einen größeren Anteil ihrer früheren Protestwähler an die AfD verloren.
Sie beantworten meine Frage nicht. Kann die CDU in Thüringen mit der Linken kooperieren?
Die Thüringer Linke tritt in der Landesregierung natürlich gemäßigter, pragmatischer auf. Das macht sie aber nicht zu einem potenziellen Partner für die CDU. Es ist vielmehr an der Zeit, dass die SPD das rot-rotgrüne Abenteuer beendet und sich wieder als das sozialdemokratische Original in Thüringen zurückmeldet.