Thüringer Allgemeine (Bad Langensalza)
Klimadaten im Pferdezahn
Leipziger Max-Plack-Institut und Thüringer Landesamt forschen zu Raniser Ilsenhöhle. Dort fand man vor 80 Jahren Neandertaler-Werkzeuge
Ranis. Mithilfe prähistorischer Wildpferdzähne aufs Raniser Klima von vor 40 000 Jahren schließen: Das klingt bizarr, wird aber gegenwärtig am Max-Planck-Institut in Leipzig gemacht. Grund ist das umfangreiche archäologische Forschungsprojekt zur eiszeitlichen Ilsenhöhle, die sich unterhalb der Burg Ranis nahe Pößneck in Teilen erhalten hat. Das 15-köpfige internationale Team um Grabungsleiter Marcel Weiß geht der Frage nach, ob sich der Mensch und der Neandertaler dort womöglich begegneten.
Dass ausgerechnet die Ostthüringer Höhle von so großem wissenschaftlichen Interesse ist, liegt an den Funden, die dort in den 1930er-Jahren gemacht wurden. Damals entdeckte ein Grabungsteam von der Landesanstalt für Vorgeschichte in Halle im Erdreich sogenannte Blattspitzen, die mit großer Wahrscheinlichkeit 40 000 Jahre alt sind und vom Neandertaler stammen. Entweder dienten diese etwa 20 Zentimeter großen Feuerstein-Artefakte als Speerspitzen oder als Messerklingen, wie Marcel Weiß erläutert. Die heute in Halle befindlichen Blattspitzen gaben einer ganzen Kulturgruppe ihren Namen: der Ranisian-Werkzeugkultur. Neben den Neandertaler-Funden wurden in der Ilsenhöhle auch Steinklingen und -kratzer des modernen Menschen entdeckt. Die sind zwar deutlich jünger, etwa 15 000 bis 30 000 Jahre alt. Dennoch hoffen die Forscher, auch in der NeandertalerErdschicht auf menschliche Spuren zu stoßen und damit einen möglichen Kontakt zwischen den beiden Menschengruppen nachweisen zu können. Seit knapp drei Jahren wird an der Raniser Zechsteinhöhle unter der Leitung des Leipziger MaxPlanck-Instituts und des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie Thüringen jeweils von Anfang Juli bis Mitte August gegraben. Die entscheidende Neandertaler-Erdschicht in etwa sieben Metern Tiefe soll diesen Sommer erreicht werden.
„Es ist eine anspruchsvolle Fundstelle“, sagt Chefarchäologe Marcel Weiß. Es gibt dort wahnsinnig viele Steine.“Die stammen vom einstigen Höhlendach, das vor 20 000 Jahren einstürzte. Marcel Weiß geht deshalb davon aus, dass die Grabungen um zwei weitere werden.
Parallel dazu wird in den Labors des Leipziger Max-Planck-Instituts bereits intensiv geforscht. Zum einen werden Funde aus den 30er-Jahren noch einmal mit heutigen Methoden untersucht. Zum anderen werden auch die aktuellen Sediment- und Knochenproben aus den oberen, jüngeren Erdschichten analysiert. Denn das Projekt beschränkt sich nicht nur auf den Zeitraum zwischen 40 000 und 50 000 Jahren v. Chr. Es versucht eine umfassende Umweltrekonstruktion, die Aussagen über Flora, Fauna und Klima bis zum Mittelalter ermöglicht.
Sarah Pederzanis Spezialgebiet ist die Klima-Rekonstruktion. Dazu lässt sich die archäologische Geochemikerin Wildpferdzähne von der ersten Ranis-Grabung aus dem Hallenser Landesmuseum für Vorgeschichte kommen. Sie will darin den Gehalt zwei verschiedener Sauerstoffformen, sogenannter Isotope, bestimmen. Denn deren Verhältnis ermöglicht Aussagen über die damalige Feuchtigkeit und Temperatur. Vor 40 000 Jahren herrschte Eiszeit. Allerdings gab es auch damals Warmzeiten, die das ewige Eis teils zum Schmelzen brachten. Da der Jahre verlängert Sauerstoff übers Trinkwasser in Zähne gelangt, benötigt Sarah Pederzani gut erhaltene Exemplare von Pflanzenfressern, die ziemlich viel trinken und große Beißer haben – wie Pferde.
Aber wie gelangten die Wildpferdzähne eigentlich in die Ilsenhöhlen? „Die Höhle war zu Zeiten des Neandertalers ein Hyänenhorst“, sagt die Geochemikerin. Die Pferde waren vermutlich Beutetiere. Sie könnten aber auch vom Neandertaler oder eventuell vom Menschen getötet worden sein. Dass sie über so lange Zeit nicht verrottet sind, ist der Zechstein-Höhle geschuldet, die aus Kalkstein besteht. „Knochen und Zähne bestehen ebenfalls aus Kalk und bleiben in kalksteinreichem Sediment gut erhalten“, sagt Marcel Weiß.
Ein weiteres Verfahren ist die sogenannte Lumineszenz-Datierung. Mit ihr lässt sich das Alter einer bestimmten Erdschicht ermitteln. Denn während sich Fundstücke wie die Feuerstein-Werkzeuge kaum datieren lassen, kann man jedoch feststellen, wie alt die Ablagerungsschicht ist, in der die Artefakte überdauerten. Im Rotlichtlabor ermittelt Tobias Lauer dazu, wann winzige Quarz- und Feldspatkörnchen das letzte Mal Licht abbekamen. Im Gegensatz zur herkömmlichen Radiokarbonmethode, die nur bis 50 000 Jahren zurückdatieren kann, ermöglicht das Lumineszenz-Verfahren einen Blick 500 000 Jahre zurück.
Auch Geoarchäologin Mareike Stahlschmidt gehört zum Team. Ihr obliegt die Sedimentanalyse unterm Mikroskop: welche Materialien sich im Boden abgelagert haben und ob sie der Wind, das Wasser oder gar der Mensch dorthin getragen hat. Dafür löst die Wissenschaftlerin bei den Grabungen faustgroße Erdstücke aus dem Boden, lässt sie in externen Labors in Kunstharz eingießen und in dünne rechteckige Scheiben schneiden. Diese Dünnschliffe betrachtet Stahlschmidt dann unterm Mikroskop.
Auch die Paläontologen sind mit an Bord und ermitteln über eine Knochen-Protein-Analyse, ob sich menschliche Knochen in den Erdschichten finden lassen. In Zukunft bedarf es nicht mal mehr einzelner Knochenreste. Dann überprüft ein neues Verfahren, ob in den Bodensedimenten DNA-Reste sind.
Neandertaler-Erdschicht liegt in sieben Metern Tiefe