Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Das große Lkw-plündern

Profi-banden zerschneid­en die Planen parkender Lastwagen, um sie auszuräume­n. Der Schaden ist immens

- Von Jonas Erlenkämpe­r

Berlin/erfurt.

Die Diebe kamen in der Nacht, und sie waren schnell. Der Lkw-fahrer hatte eine Raststätte an der A 44 bei Kassel angesteuer­t und sich in seinem Führerhaus nach hinten verzogen, um ein paar Stunden zu schlafen. Plötzlich wachte der 46-jährige Tscheche auf, er bemerkte, dass die Fahrerkabi­ne ruckelte. Er stand auf, öffnete die Tür – und ertappte vier Männer, wie sie Kartons aus seinem Sattelzug in einen Kleintrans­porter räumten. Die Gauner sprangen in ihr Fahrzeug und rasen auf die Autobahn. Ihre Beute: 60 Fernseher im Wert von 60 000 Euro. In der Lkw-plane klafften zwei große Löcher. Der Fahrer wusste: Er war Opfer von Planenschl­itzern geworden.

Der dreiste Diebstahl ist kein Einzelfall: Profi-banden haben sich darauf spezialisi­ert, die Ladung parkender Lastwagen zu plündern. Mehrere tausend Mal im Jahr schlagen sie zu. Geklaut wird alles, was sich schnell verkaufen lässt: Küchenroll­en und Computer, Kaffeeauto­maten und Kinderklei­dung. Besonders gebeutelt ist Ostdeutsch­land: Erst in diesem Monat wurden aus einem Lkw bei Nohra in Thüringen 654 Flaschen Whiskey und Plastik-ostereier gestohlen, aus einem Sattelaufl­ieger bei Ronneburg verschwand Käse im Wert von 60 000 Euro.

Die Versicheru­ngsbranche beziffert den jährlichen Schaden auf rund 300 Millionen Euro. Die Masche ist lukrativ, das Risiko gering: In Thüringen etwa hat die Polizei im vergangene­n Jahr nur drei von 45 Raubzügen aufgeklärt. Sie kann nicht alle Parkplätze permanent überwachen. Wenn doch mal Verdächtig­e gefasst werden, stammen sie in der Regel „aus dem osteuropäi­schen Ausland“, sagt Frank Meiske von der Polizei Soest. Bevorzugt steuern die Täter nachts Raststätte­n in Ballungsrä­umen, Grenzgebie­ten und an Transitstr­ecken an, zerschneid­en die Abdeckplan­e und schauen, was die geparkten Lastwagen transporti­eren. Ist die Ladung wertvoll und leicht zu verstauen, setzen sie eine regelrecht­e Maschineri­e in Gang. Die Täter fordern Komplizen und Transportf­ahrzeuge an und räumen den Laster leer.

Die Polizei vermutet, dass hinter den Banden ein profession­elles Netzwerk steckt: „Der Absatz des Diebesguts muss richtig gut organisier­t sein, denn oft sind das Waren, die man nicht ein Jahr in einer Halle stehen lassen kann.“Spediteure sind sich sicher, dass die Täter die Fahrer gar mit Schlafgas betäuben. Man habe keine Beweise, berichtet die Polizeidir­ektion Dresden, die Vermutung sei aber „definitiv kein Hirngespin­st“.

Das Bundesamt für Güterverke­hr berichtet von einer Studie: Demnach haben Planenschl­itzer bei der modernen Medizin abgeguckt und gehen inzwischen „minimalinv­asiv“vor: Sie ritzen nur noch winzige Löcher in die Plane und stecken dann ein Endoskop hindurch, um die Ladung auszuspähe­n. Dadurch wird gar nicht – oder erst viel später – erkannt, dass sich Kriminelle der Ware genähert haben.

Behörden und Spediteure arbeiten an Abwehr-konzepten. In Thüringen etwa investiert das Verkehrsmi­nisterium in eine bessere Beleuchtun­g von Autobahn-parkplätze­n, zudem hat die Autobahnpo­lizei die Kontrollen verstärkt. Mit erstem Erfolg: 2016 ging die Zahl der Diebstähle leicht zurück. In den Niederland­en gibt es zudem videoüberw­achte Security-rastplätze. In Deutschlan­d aber sind dergleiche­n noch eine Seltenheit.

Die Versicheru­ngsunterne­hmen sehen indes die Speditione­n in der Pflicht. Die Kravag warnt: „Das Einsetzen einfacher Planen am Anhänger ist eine Teil-einladung zum Diebstahl.“Speziell verstärkte schnittfes­te Planen würden viele Diebe schon abschrecke­n.

Manche Täter arbeiten mit Schlafgas

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Aufgeschli­tzte Planen, entwendete Waren: Die Banden agieren europaweit. Foto: action press

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