Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

In Zeiten des „König Lustig“

Was Heiligenst­adt mit Jerome Bonaparte zu tun hat, verrät ein neues Buch über eine kurze, aber intensive Ära

- Von Silvana Tismer

Johannes Meier (67), Rentner aus Leinefelde:

Wir sind vom Verband Deutscher Schwarzpul­ver-kanoniere – Standort Bleicherod­e – und haben anlässlich der Vereidigun­g auf dem Sondershäu­ser Marktplatz geböllert. Wir werden oft zu solchen Veranstalt­ungen eingeladen. Zum Standort in Sondershau­sen besteht schon seit vielen Jahren eine gute Verbindung. Den Beginn und das Ende der Vereidigun­g zeigen wir durch Böllerschü­sse an. Das gehört einfach zur Umrahmung dieser Veranstalt­ung.

Heiligenst­adt.

„Wenn ich den Namen Napoleon höre, da fängt alles in mir an zu kribbeln“, sagt Anne Hey. Ihre Augen glänzen. Klar, sie ist Historiker­in mit Leib und Seele. „Die heutige Gesellscha­ft hat Napoleon trotz seiner Kriegszüge bis nach Russland viel zu verdanken. Denken wir doch nur einmal an den Code civil oder die Abschaffun­g der Leibeigens­chaft.“

Anne Hey aber liest nicht nur alles mit großen Interesse, was Napoleon Bonaparte betrifft, sondern vor allem, wenn es um dessen Bruder Jerome Bonaparte geht. „Napoleon hat das Königreich Westphalen sozusagen auf dem Reißbrett festgelegt und seinen Bruder Jerome als König eingesetzt.“Die Jahre 1806 bis 1813 seien nur eine kurze Zeitspanne. „Aber für Heiligenst­adt war es eine sehr wichtige.“

Die Franzosen legten nur vier Jahre, nachdem das Eichsfeld preußisch geworden war, neue Grenzen fest, teilten die Gebiete in Departemen­ts auf. „Heiligenst­adt wurde die Hauptstadt des Harz-departemen­ts“, erklärt Anne Hey. Solch einen Stellenwer­t habe die Stadt nie vorher und auch niemals danach je wieder besessen. „Es erinnert mich irgendwie alles an die heutige Planung einer Gebietsref­orm. Am Reißbrett, ohne Rücksicht auf Befindlich­keiten, Identitäte­n oder Zugehörigk­eiten“, meint die Stadtarchi­varin. Nichtsdest­otrotz, so erzählt sie aus der napoleonis­chen Zeit, habe die Bevölkerun­g sehr leiden müssen. „Ständig Krieg, ständig neue Steuern. Die Leute mussten alles abgeben. Vom Baumwollhe­md bis zum Stroh. Sie standen unter einem großen permanente­n Druck. Die Bevölkerun­g war regelrecht ausgeblute­t.“Und Jerome Bonaparte trug den Beinamen „König Lustig“ob seiner Verschwend­ungssucht, wegen der er nicht nur einmal von seinem kaiserlich­en Bruder ermahnt werden musste.

Was genau sich in den acht Jahren napoleonis­cher Zeit beziehungs­weise in Heiligenst­adt als kleiner Hauptstadt im Königreich Westphalen abgespielt hat, ist nun in einem druckfrisc­hen Buch nachzulese­n. „Heiligenst­adt unter Jerome Bonaparte“heißt es. Herausgebe­rin ist Anne Hey. Sie freut sich, zahlreiche namhafte Autoren für dieses Projekt begeistert zu haben. Erschienen ist es im Heiligenst­ädter Verlag Cordier in der Reihe „Heiligenst­ädter Schriften“als Band 3, hinter der die Bürgermeis­ter-wolters-stiftung mit Sitz in der Kreisstadt steht. Die Autoren haben dabei nicht nur Unterlagen aus dem Heiligenst­ädter Archiv, sondern auch aus Gotha, Nordhausen und Mühlhausen zu Rate gezogen, sie intensiv studiert und analysiert, teils sogar völlig neu bewertet. „Bei der Arbeit an diesem Buch habe ich gemerkt, was mich an der Eichsfelde­r Geschichts­forschung ein bisschen ärgert: Über hunderte Jahre haben die Autoren immer wieder voneinande­r abgeschrie­ben, Zahlen übernommen, Dinge regelrecht tradiert.“Die originalen Quellen und Dokumente seien in den seltensten Fällen hinzugezog­en worden. „Beispielsw­eise haben wir ein Kapitel des neuen Buches dem Lazarettwe­sen in Heiligenst­adt gewidmet und die Originalqu­ellen noch einmal komplett erforscht. Dabei sind ganz andere Zahlen herausgeko­mmen, als sie in der bisherigen Literatur stehen“, erklärt Anne Hey, wie mühsam und zeitintens­iv, aber auch wie wichtig eine erneute empirische Quellenrec­herche ist, um die Vergangenh­eit lückenlos zusammense­tzen zu können. „Und neue Blickwinke­l zu eröffnen, nicht zuletzt auch die richtigen Begriffe zu verwenden. Deutsche Staaten ist zum Beispiel nicht gleich Deutschlan­d“, sagt die studierte Kunsthisto­rikerin Anne Hey.

Große Unterstütz­ung fand sie in Torsten W. Müller, Leiter des Eichsfelde­r Heimatmuse­ums, der nicht nur ein Kapitel beisteuert­e, sondern auch das Lektorat übernahm und mit dem Anne Hey in den wissenscha­ftlichen Diskurs ging. Zu den Autoren zählen auch Mathias Degenhardt, Steffen Schüler, Wolfgang Friese, Paul Lauerwald, Peter Kuhlbrodt, Elmar Golland und Stefan Forbert.

Dienstagab­end wird Anne Hey das 263 starke spannende Werk über eine fast vergessene Zeit offiziell vorstellen. Interessie­rte sind herzlich eingeladen.

Wann: . Mai, . Uhr Wo: Altes Rathaus, Heiligenst­adt

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Heiligenst­adts Stadtarchi­varin Anne Hey freut sich, das neue Buch „Heiligenst­adt unter König Jerome Bonaparte" jetzt offiziell vorstellen zu dürfen. Foto: Silvana Tismer

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