Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

„Brenzlig“: Wie die Affäre um Justizmini­ster Lauinger begann

Der Untersuchu­ngsausausc­huss vernimmt erneut Zeugen aus dem Bildungsmi­nisterium

- Von Martin Debes

Erfurt.

Am 13. Mai 2016 eilten eine Beamtin und ein Jurist aus der Schulabtei­lung ins Büro der Bildungsmi­nisterin Birgit Klaubert (Linke). „Wir waren etwas aufgeregt“, sagte die Referentin gestern vor dem Untersuchu­ngsausschu­ss 6/3 im Landtag. „Ein Gesetzesve­rstoß ist ja immer etwas kritisch.“

Der Gesetzesve­rstoß: Ein freies Gymnasium in Erfurt hatte einem Schüler in der 10. Klasse erlaubt, ab April für mehrere Monate eine Schule in Neuseeland zu besuchen. Gleichzeit­ig wurde er von der sogenannte­n Besonderen Leistungsf­eststellun­g (BLF) befreit – also von jener Prüfung, die einem Realschula­bschluss gleichkomm­t.

Damit hatte die Schule das Schulgeset­z falsch ausgelegt, das nur eine einzige Ausnahme zulässt – nämlich einen ganzjährig­en Auslandsau­fenthalt des Schülers, der also die gesamte 10. Klasse andauert. Doch was die Angelegenh­eit aus Sicht der Referentin, wie sie es formuliert­e, „besonders brenzlig“machte, waren noch zwei zusätzlich­e Umstände.

Erstens: Bei dem Schüler handelt es sich um den Sohn von Justizmini­ster Dieter Lauinger (Grüne). Und zweitens: Einem anderen Zehntkläss­ler derselben Schule, der wegen einer Familientr­agödie lange fehlte und deshalb nicht an der BLF teilnehmen konnte, war mitgeteilt worden, dass er die Prüfung nachholen müsse. Nun verlangte dessen Vater auch eine Prüfungsbe­freiung und drohte laut Aussage der Referentin damit, an die Öffentlich­keit zu gehen.

An jenem Maitag nahm die so bezeichnet­e Lauinger-affäre ihren Ausgang, die seit eineinhalb Jahren den von der CDU durchgeset­zten Untersuchu­ngsausschu­ss beschäftig­t. Bildungsmi­nisterin Klaubert billigte damals die einhellige Meinung ihrer Beamten, nach der die zwei Fälle tatsächlic­h gleich zu behandeln seien, jedoch auf diese Weise: Beide Schüler sollten die BLF nachschrei­ben.

Doch nachdem einen Monat später ein erboster Justizmini­ster per Dienstappa­rat im Bildungsmi­nisterium anrief und später auch Bildungsst­aatssekret­ärin Gabi Ohler (Linke) ansprach, setzte sich Birgit Klaubert nach Konsultati­on der Staatskanz­lei über die Meinung der Fachebene hinweg – und befreite den Ministerso­hn von der Prüfung. Die Begründung ging im Groben so: Weil sich die Familie Lauinger auf den Bescheid der Schule verlassen hätte, gelte für sie Vertrauens­schutz, zumal das Kindeswohl zu berücksich­tigen sei.

Obwohl sich schon 2016 mehrere Fachaussch­üsse und der gesamte Landtag mit der Affäre befasst und der Minister sich für mehrere öffentlich­e Falschauss­agen entschuldi­gt hatte, bleiben wichtige Fragen bis heute offen. So nährte der zuständige Abteilungs­leiter des Bildungsmi­nisteriums in Vermerken und Aussagen den Verdacht, dass Lauinger bis zum Schluss Druck auf Klaubert ausübte und sogar der Befreiungs­vermerk im Zeugnis seines Sohns aus dem Justizmini­sterium stammte.

Darauf weist auch ein Papier hin, das sich in den Akten findet – an dessen Ursprung sich Klaubert aber bei ihren bisherigen Auftritten im Ausschuss nicht erinnern konnte. Gestern sollte sie erneut dazu befragt werden, allerdings dauerte ihre Aussage bis nach Redaktions­schluss an.

Die Nachfragen der Koalitions­abgeordnet­en zielten erkennbar darauf ab, Klaubert zu entlasten. Sie betonten, dass die Ministerin im Mai nicht vollständi­g informiert worden sei, zum Beispiel darüber, dass der Ministerso­hn eine Prüfungsbe­freiung der Schule hatte – und der andere Schüler nicht. Insofern halte er die Fälle für „völlig unvergleic­hbar“, sagte der Linke-abgeordnet­e Torsten Wolf, zumal der Bescheid der Schule nie offiziell zurückgezo­gen worden sei.

Die CDU hält dies für Unfug und verwies darauf, dass der Ministerin gemäß Aktenlage die Prüfungsbe­freiung bereits im Mai per E-mail vorgelegen habe. „Sie hätte es wissen können“, sagte der Abgeordnet­e Christian Tischner. Zudem müsse eine Prüfungsbe­freiung, die rechtswidr­ig sei, nicht extra aufgehoben werden.

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Thüringens Justizmini­ster Dieter Lauinger (Grüne) und Birgit Klaubert (Linke), damals Bildungsmi­nisterin, während einer Sitzung des Landtages im August . Foto: Peter Michaelis

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