Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)
Einer für alle
Wim Wenders feiert in seiner Dokumentation „Papst Franziskus – Ein Mann seines Wortes“ein filmisches Hochamt
Erfurt.
Der Pontifex liest seiner Kirche und seinen Brüdern die Leviten. Rivalitäten, Eitelkeiten. Dazu fährt die Kamera über die unbewegten Gesichter der Würdenträger. Und es sieht aus wie eine Anklage. Einer gegen alle – in der Kirche. Und einer für alle – in der Welt außerhalb der Kirche.
Wim Wenders wurde vom Vatikan eingeladen, diesen Film über den Papst aus Argentinien zu drehen – und so sieht er aus, „Papst Franziskus – ein Mann seines Wortes“. Wenders hat mehrfach gezeigt, mit welcher distanzloser Empathie er sich den Protagonisten seiner Dokumentarfilme anverwandeln kann, den Musikern von „Buena Vista Social Club“, der Choreografin „Pina“Bausch. „Sein Leben selbst“, sagt eine katholische Ordensschwester über Franziskus, „ist eine Predigt“– und das gilt auch für diesen Film. Eine Art Predigt, ein Hochamt für diesen Papst.
Der Film bewegt sich auf drei Ebenen. Die Monologe des Papstes, Wenders’ Fragen sind nicht zu hören mit einer Kamera, die den Betrachter gleichsam zum Partner des Sprechenden macht; die Orte, an denen der Heilige Vater den Menschen begegnet und sie wie selbstverständlich für sich einnimmt und einige in der Manier alter Stummfilme inszenierte Szenen aus dem Leben des Franz von Assisi, das ist eine filmische Peinlichkeit mit der Anmutung eines gymnasialen Leistungskurses „Darstellen und Gestalten“. Dieser Papst ist der erste, der sich den Namen des Heiligen gab, der, so heißt es, vom Kreuz den Ruf vernahm „Geh und baue mein Haus wieder auf, das, wie du siehst, ganz und gar in Verfall gerät.“
Und Wenders führt vor, wie der Papst diese Nachfolge versteht: In Demut vor der Lebenswirklichkeit der Menschen, beinahe ein Gegenentwurf zu seinem eher als kühler Intellektueller geltenden deutschen Vorgänger. Dieser Priester ist aufgewachsen umgeben von Armut und Gewalt, dieser Mann weiß auch als Papst, was die Menschen drückt, was ihre irdischen Hoffnungen sind. So sind seine Monologe, so sind seine Ansprachen an den unseligen Orten dieser Welt, die Inseln, auf denen die Flüchtlinge den Weg in ein neues Leben suchen; die Viertel, in denen die Armen zu leben versuchen, sympathische, einnehmende Fürsprachen für die Geschundenen der Welt – und es bedarf keines Glaubens, um diese Sympathie zu empfinden, um diesem Papst den Respekt zu erweisen. Allerdings lässt Wenders etwas Wesentliches, womöglich das Entscheidende dieses Pontifikats außer Betracht: Die Frage nämlich, was Franziskus für seine Kirche bedeutet, die Verunsicherung, etwa durch sein Familienpapier „Amoris laetitia“, die die Lehren der Kirche konfrontiert mit der Wirklichkeit des Lebens. Dieses Befragen des Unbefragbaren wird Franziskus vielleicht zum wichtigsten Papst seit Johannes XXII. werden lassen – und das wäre wohl das eigentliche Thema eines Filmes über diesen Mann. So sehen wir, ohne den entscheidenden Kontext, ohne die Konflikthaftigkeit seines Pontifikates, einen sympathischen Imagefilm über einen sympathischen Mann.
▶
Lichthaus Kino Weimar, Cineplex Gotha und Kino im Schillerhof Jena