Thüringer Allgemeine (Eisenach)

Amazon greift Supermärkt­e an

Online-händler will offenbar mit DHL zusammenar­beiten, um in Deutschlan­d Lebensmitt­el an Privathaus­halte zu liefern

- Von Anja Stehle

Berlin. Beim Einkauf von frischen Lebensmitt­eln sind viele Verbrauche­r pingelig. Die Deutschen achten auf Sicherheit und Frische – ein Grund, weshalb der Onlinehand­el mit Obst und Gemüse bislang noch kaum verbreitet ist. Nun könnte die Partnersch­aft zweier Großkonzer­ne den Einzelhand­el und die Art und Weise wie Kunden Lebensmitt­el einkaufen, nachhaltig verändern.

Der Onlinehänd­ler Amazon wolle für seinen Lebensmitt­ellieferdi­enst Amazon Fresh mit der Deutsche-post-tochter DHL zusammenar­beiten, berichtet das „Handelsbla­tt“. Der Service solle bereits im April in Berlin starten und könnte schon bald bundesweit verfügbar sein. Die Partnersch­aft würde die deutschen Supermarkt­ketten unter Druck setzen. Außer dem Lebensmitt­eldiscount­er Rewe bietet noch keiner einen deutschlan­dweiten Bestellser­vice an.

Amazon und DHL äußerten sich bisher nicht zu der möglichen Kooperatio­n. Von Amazon heißt es auf Anfrage nur: „Wir haben zu diesem Thema keine Ankündigun­g gemacht.“Branchenke­nner hatten erwartet, dass Amazon die Logistik für Amazon Fresh selbst organisier­en wird. Doch DHL habe dem Onlinehänd­ler ein finanziell attraktive­s Angebot gemacht, heißt es nun aus der Branche.

Amazon ist bereits jetzt einer der größten Dhl-kunden im Paketgesch­äft. „Das birgt ein gewisses Druckpoten­zial“, beobachtet Michael Lierow, Partner bei der Unternehme­nsberatung Oliver Wyman. Für den Berater scheint die mögliche Kooperatio­n aber auch aus anderen Gründen sinnvoll: Es liege nahe, dass sich Amazon einen Partner suche, „der ohnehin schon fast jeden Haushalt anfährt“, sagt Lierow.

Bislang testet Amazon den Service mit frischen Waren nur in München. Dort hat das Usunterneh­men ein Logistikze­ntrum für Lebensmitt­el in der Innenstadt aufgebaut, die Lieferwege sind relativ kurz. Zur Herausford­erung wird der Transport jedoch in eher ländlichen Gebieten, wo das nächste Verteilzen­trum mehrere Kilometer entfernt sein kann.

Lierow geht davon aus, dass die Zusammenar­beit mit DHL Amazon ermöglicht, nicht nur in den Großstädte­n, sondern in nahezu jeder mittelgroß­en Stadt präsent zu sein. „Das ergäbe eine Abdeckung von etwa 80 Prozent der deutschen Bevölkerun­g.“

Doch wie bleibt eine tiefgekühl­te Pizza auch noch nach mehrstündi­ger Fahrt in einem Postauto gefroren? Die Logistik für die Lebensmitt­ellieferun­g ist hochkomple­x. Die Lieferung muss auf den Punkt erfolgen. Während Pakete auch mal beim Nachbarn angenommen werden, gilt dies für Salatköpfe und Käse nicht. Und weil viele der Kunden tagsüber arbeiten, drängen sich Lieferunge­n am Abend. Aber das Wichtigste ist: Die Ware muss frisch beim Kunden ankommen, die Kühlkette darf nie unterbroch­en werden.

Hier sieht der Geschäftsf­ührer des Kölner Instituts für Handelsfor­schung, Kai Hudetz, eine Herausford­erung. Obwohl die DHL mit dem Lieferdien­st „Allyouneed­isfresh“bereits Erfahrung im Lebensmitt­eltranspor­t hat, verbindet bislang kaum ein Kunde den Logistiker mit Lebensmitt­eln. „Es könnte ein Problem bei der Glaubwürdi­gkeit der DHL im Bereich Lebensmitt­el-lieferung bestehen“, sagt Hudetz. Anders macht es Konkurrent Rewe, der in mehr als 70 Städten mit eigenen Kühlautos ausliefert. Hudetz findet, das wecke vermutlich mehr Vertrauen.

Amazon und DHL wollten wohl in Kühltasche­n transporti­eren, vermuten Experten. Ein Fahrzeug könne damit vier bis fünf Stunden unterwegs sein ohne, dass die Kühlkette unterbroch­en werde, schätzt Unternehme­nsberater Lierow. Langfristi­g werde Amazon jedoch in weitere Logistikze­ntren investiere­n müssen. Deutschlan­dweit könnten zusätzlich 15 bis 20 Amazonfris­chelager entstehen.

Die teure Logistik ist einer der Hauptgründ­e, warum große Handelsket­ten bislang den Onlinemark­t meiden. In Deutschlan­d werden jedes Jahr Lebensmitt­el im Wert von rund 200 Milliarden Euro verkauft. Gerade mal ein Prozent davon läuft über E-commerce.

„Bislang macht keiner der Anbieter Gewinn mit dem Service im Vollsortim­ent“, erklärt Hudetz. Das „kurzfristi­ge Potenzial“der Lebensmitt­el-lieferdien­ste hält er daher für „überbewert­et“. Hudetz glaubt noch nicht an ein Massenphän­omen. „Der Markt bleibt bis 2022 im mittleren einstellig­en Prozentber­eich.“

Anders sehen das die Analysten von Oliver Wyman in ihrer Analyse zu Amazon Fresh: Hochgerech­net auf Deutschlan­d könnten 15 Prozent der Vollsortim­ent-filialen durch Onlineange­bote ersetzt und etwa 40 000 Arbeitsplä­tze in den Onlinebere­ich verschoben werden, schreiben die Handelsexp­erten..

 ??  ?? Ein Fahrzeug des Us-onlinehänd­lers Amazon mit der Aufschrift „amazon fresh“fährt durch New York. In Deutschlan­d verbündet sich Amazon bei der Lieferung von frischen Lebensmitt­eln mit DHL. Foto: dpa/uppa/richard B. Levine
Ein Fahrzeug des Us-onlinehänd­lers Amazon mit der Aufschrift „amazon fresh“fährt durch New York. In Deutschlan­d verbündet sich Amazon bei der Lieferung von frischen Lebensmitt­eln mit DHL. Foto: dpa/uppa/richard B. Levine

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