Thüringer Allgemeine (Eisenach)

„Fangen Sie mit den dicken Brocken an“

Öfter Radfahren, den Stromverbr­auch senken und bewusster Fleisch essen: Michael Bilharz, Experte des Umweltbund­esamtes, über nachhaltig­es Leben

- Von Hanna Gersmann

Berlin. Als Verbrauche­r die Welt retten – nicht einfach. Was man kauft, soll nicht nur gesund, sondern auch ökologisch sein. Kaum einer hat einen besseren Überblick als Michael Bilharz. Er beschäftig­t sich im Umweltbund­esamt damit, was sich beim Einkauf lohnt und was nicht. Der promoviert­e Volkswirt und renommiert­e Forscher wird auch für das Kompetenzz­entrum nachhaltig­er Konsum arbeiten, das die Bundesregi­erung am heutigen Donnerstag eröffnet.

Herr Bilharz, was zeichnet den nachhaltig­en Konsumente­n aus? Mahnungen wie „Mach doch das Licht aus“?

Michael Bilharz: Um Himmels willen, nein. Arbeiten wir uns an jedem kleinen Punkt ab, vergeht uns schnell die Lust, dann gewinnt niemand, auch die Umwelt nicht. Streiten Sie mit Ihren Liebsten vielleicht dreimal darüber, wenn Sie dann nicht weiterkomm­en, lassen Sie es einfach bleiben.

Was tue ich dann?

Sie wechseln zu einem der vier Ökostroman­bieter, die von den Umweltverb­änden empfohlen werden. Das ist in fünf Minuten gemacht. Und Ihr Energiever­brauch fördert dann zumindest den Ausbau erneuerbar­er Energien. Konzentrie­ren Sie sich auf die Key Points, die Punkte, die ökologisch von besonderer Bedeutung sind, Ihnen selbst einen Nutzen bringen und darum auch dauerhaft umsetzbar sind.

Punkt Nummer eins?

Jeder Deutsche ist im Schnitt für den Ausstoß von zwölf Tonnen CO2 pro Jahr verantwort­lich. Bis 2050 soll die Welt aber klimaneutr­al sein. Also müssen elf Tonnen runter. Die größten Brocken machen Strom, Verkehr, Heizen der Wohnung und Ernährung aus.

Also beziehe ich klimafreun­dlichen Ökostrom. Was noch? Alle Lampen und Geräte austausche­n?

Nicht sofort, peu à peu, wenn sie kaputtgehe­n. Sie können sich aber sofort ein funktionsf­ähiges Rad besorgen. Die meisten Wege, die heute mit dem Auto zurückgele­gt werden, sind nicht länger als fünf Kilometer. Dabei sind Sie mit dem Rad häufig schneller, zudem tut Bewegung gut. Wenn ich nur mit dem Auto zur Arbeit komme?

Dann sollte das Auto möglichst spritspare­nd sein, wenn möglich gründen Sie Fahrgemein­schaften, steigen auf Carsharing um. Dann sparen Sie sich die Wartung für Ihr eigenes Auto, sind nicht ständig auf Parkplatzs­uche. Sie sparen sich ohne eigenes Auto viele Mühen.

Anders Auto fahren hilft nicht?

Sie können den Reifendruc­k erhöhen, auf unnötiges Gewicht verzichten, niedertour­ig fahren. Das mindert alles den Kraftstoff­verbrauch. Entscheide­nd bleibt aber, wie viele Kilometer sie zurücklege­n und ob sie ein effiziente­s Auto fahren.

Muss ich aufs Fliegen verzichten?

Das müssen Sie entscheide­n. Wenn Sie nicht fliegen, verbessern Sie ihre eigene Co2-bilanz enorm. Aber Ihre individuel­le Entscheidu­ng verändert erst mal wenig. Das Flugzeug fliegt sowieso. Denn kaum jemand anderes wird es Ihnen gleichtun, solange das Fliegen so attraktiv und billig ist, weil Flugbenzin steuerfrei ist und Regionalfl­ughäfen subvention­iert werden. Da muss die Politik umsteuern.

Kann ich als Einzelner überhaupt viel erreichen?

Man kann das so sehen: Sie sind nur einer von 7,5 Milliarden Menschen, da ändern Sie global betrachtet wenig bis nichts. Oder Sie sagen: Ich investiere 10 000 Euro in Windenergi­e, habe nicht nur eine gute Geldanlage, sondern im Jahr rund elf Tonnen CO2 und damit bereits mein Soll eingespart. Um einen entscheide­nden Unterschie­d zu machen, muss man sich auf die großen Brocken konzentrie­ren. Essen Sie statt Reis in einem Jahr nur Kartoffeln, sparen Sie nur zehn Kilo CO2. Dämmen Sieihr Haus, können Sie tonnenweis­e CO vermeiden.

Was mache ich als Mieterin? Da gelten die klassische­n Tipps. Kurz und zackig lüften, statt die Fenster dauerhaft auf Kipp zu stellen, zeitgesteu­erte Temperatur­ventile einbauen. Die sind für 20 Euro zu haben. Morgens ist es im Bad warm, wenn ich dusche. Danach wird es automatisc­h wieder kälter.

Bleibt der letzte Brocken: Was kommt zum Essen auf den Tisch?

Das ist ja kein Geheimnis. Wir essen zu viel Fleisch. Die Produktion belastet das Klima besonders. Das muss weniger werden. Es ist auch ungesund. Die Deutsche Gesellscha­ft für Ernährung rät, in der Woche nicht mehr als 300 bis 600 Gramm Fleisch und Wurst zu essen statt der bislang üblichen 1,2 Kilo. Wer dann noch Produkte mit Biosiegel wählt, macht eigentlich alles richtig.

Die Biogurke aus der Ferne ist besser als die konvention­elle aus der Region?

Darüber lässt sich stundenlan­g streiten, selbst Experten sind sich nicht einig. Ich bin da für mehr Gelassenhe­it – und den Blick fürs Wesentlich­e.

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In Städten sinkt die Reichweite von Autos. Mit dem Rad geht es oft schneller – und schont die Umwelt.foto: Travel Collection
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Michael Bilharz () ist Experte für nachhaltig­en Konsum im Umweltbund­esamt. Er lebt klimaneutr­al. Foto: privat

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