Thüringer Allgemeine (Eisenach)
Legale Kopien in der Kunstkammer von Schloss Friedenstein
Nachbildungen sollen die Originale ab sofort für blinde und sehbehinderte Gäste erlebbar machen
Gotha. Auf dem Weg zur Barrierefreiheit ist das Schloss Friedenstein seit Mittwoch ein ganzes Stück vorangekommen. Objekte zum Anfassen für Sehbehinderte sowie Audioguides und zertifizierte Broschüren in „Leichter Sprache“für Menschen mit Lernschwierigkeiten wurden präsentiert.
„Seit Jahren bemühen wir uns, Barrieren abzubauen, damit sich immer mehr Menschen die Kunstschätze des Barocken Universums erschließen können“, so Marco Karthe, Referent für Presse und Veranstaltungen des Schlosses Friedenstein. Eine Gruppe von acht Sehbehinderten und einer Rollstuhlfahrerin konnte am Mittwoch als erste die neuen Angebote nutzen.
Neben Fahrstühlen und Rampen müsse die Barrierefreiheit auch in der Kommunikation gewährleistet sein, hieß es. Es gibt Menschen, die nicht gut lesen oder Deutsch sprechen können. Für die sind auch Beschriftungen im Museum unverständlich. Die „Leichte Sprache“hilft. „Es wird so gesprochen und geschrieben, dass diese Menschen es auch verstehen“, sagt Museumspädagogin Petra Hill.
Die Anregung, solche Angebote zu erarbeiten, kam von zwei Studentinnen der Erfurter Universität. Sie hatten im Sommer 2015 im Rahmen ihrer Masterarbeit einen Führer in „Leichter Sprache“durch die Ausstellung „Tiere im Turm“vorgestellt, erinnert sich Petra Hill. Am Mittwoch legte sie drei Museumsführer und Audioguides in „Leichter Sprache“vor.
Wer Exponate nicht optisch wahrnehmen kann, wünscht sich andere Möglichkeiten. Im Bereich des Naturkundemuseums war das kein Problem, dort gibt es seit Jahren mit Tierund anderen Präparaten reichlich Objekte zum Anfassen.
„Bei Kunstschätzen ist das gänzlich anders“, meint Museumspädagogin Petra Hill. „Die haben einen hohen materiellen und ideellen Wert, dürfen nicht angefasst werden. Umso toller ist das neue Angebot.“
Olaf Frenzel, Kunsthandwerker aus Ichtershausen bei Arnstadt, schuf in mühevoller Kleinarbeit originalgetreue Nachbildungen einiger Kunstschätze aus dem 17. und 18. Jahrhundert. „Einige Wochen braucht man schon für solch ein Stück“, sagt er. In seiner Werkstatt entstanden ein Sturzbecher (ohne Fuß) aus einer Kokosnuss, ein Nautilus-pokal, ein Dinglingerelefant als Briefbeschwerer und ein Pokal aus Kuhhorn.
Auf Gold, Perlen und Edelstein wurde bewusst verzichtet. Zum Tastzweck sind sie nicht notwendig. „Die hätten sonst auch die Kosten ins Unermessliche gesteigert“, so der Kunsthandwerker. Neben diesen vier Ausstellungsstücken aus der Kunstkammer, die sonst in den Vitrinen für Sehschwache verborgen bleiben, kommen weitere Objekte wie Straußenei und Meeresschnecke zum Einsatz.
All diese Stücke konnten besagte Museumsbesucher ertasten und erleben, von wichtigen Informationen durch die Museumspädagogin begleitet.
„Jetzt kann ich mir die Exponate gut vorstellen, da ich sie auch anfassen kann“, freut sich die 66-jährige Birgit Kröger aus Weimar. „Eine sehr interessante Erfahrung“, sagt Susanne Ram, „dass man als sehschwacher Mensch auch die Möglichkeit zum Anfassen von Kunstwerken bekommt. Toll, dass sich Menschen solche Gedanken machen.“Der Ichtershäuser Kunsthandwerker weiß eine weitere Chance: „Mit solchen Nachbildungen kann man Kunst und Historie auch den Jugendlichen näher bringen, ihnen fassbar machen. Damit sie nicht nur einfach an Vitrinen vorbeirennen.“