Thüringer Allgemeine (Eisenach)

Es war einmal in Eisenach

Zauberin Marie Helene fragt sich, was das Leben in einer Kleinstadt ausmacht. Sie zieht mit ihrer Familie ins Südhessisc­he nach Darmstadt

- Von Marie Helene Anschütz

Es begab sich zu der Zeit, als Martin Luther hoch und heilig in Eisenach gefeiert wurde. Alles stand im Zeichen eines Jubiläums, während wir uns auf den Abschied vorbereite­ten.

Kisten mit Erinnerung­en und Tüten mit Andenken wurden sortiert und gestapelt. Drei Jahre in einer traditione­llen Kleinstadt prägen. Nun ist die Zeit rum und wir ziehen um.

In die Tragetasch­en vom Bachhaus wurden nicht nur Noten gesteckt, sondern auch wertvolle Tassen und Teller.

Die regionale Zeitung wurde zum Einwickeln von Porzellan und Weingläser­n benutzt und auch die Eisenach-beschrifte­ten Jutebeutel wurden mit ins neue Zuhause genommen. Als großer Fan von Jutebeutel­n werde ich diesen weiterhin stolz durch die Gegend tragen um aller Welt zu verkünden: Ich war in Eisenach!

Wir luden Freunde unsere Tochter aus dem Kindergart­en für einen Abschied ein, und während die Kinder so über den beliebten Spielplatz in der Domstraße tollten, ließen wir die letzten drei Jahre Revue passieren.

Die ersten Begegnunge­n mit Eisenacher Persönlich­keiten und Institutio­nen. Die ersten Freundscha­ften, die man schloss, die ersten wichtigen Ereignisse wie Premieren oder andere Festivität­en. Was die Kleinstadt ausmacht, sind Rituale: zum Beispiel immer nach einer Matinee die ganze Familie beim „Delphi“zum Essen einzuladen. Oder wie wir jedem, der uns besuchte, die Wartburg und das Eselreiten schmackhaf­t machten. Dass man seine Einkäufe samstags beim Traditions­metzger in der Innenstadt erledigte, für die echt guten Spaghetti aus dem Parmesanle­ib zog es uns ins „La Grappa“. Überall wurde man nach kürzester Zeit familiär vertraut begrüßt.

Nach gut einem Jahr begann für mich die Arbeit am Zauberer. Meine Freundin Carolinde und ich begegneten uns bei den sogenannte­n Mutti-einkäufen im ansässigen Drogeriema­rkt. Die Lust nach neuen Herausford­erungen, die mit der Stadt Eisenach zu tun hatten, war beiderseit­s groß. Also launchten wir im Winter 2015 den Städteblog „Der Zauberer von Ost“.

So kam ich meiner neuen Heimat noch näher – Integratio­n im besten Sinne. Ich lernte noch mehr spannende Persönlich­keiten und vor allem neue Orte kennen. Nie war ich zuvor im Johannisth­al, hatte noch nie zuvor vom „Lebemann“gehört oder meine Geschenke im Diakoniela­den gekauft.

Die Arbeit am Theater, die uns nach Eisenach geführt hat, war drei Jahre lang eine erfüllende, die uns viele Kontakte gebracht und uns beruflich wie privat befruchtet hat. So war dann auch der Abschied des Herrn Direktor, so der Spitzname meines Mannes Boris C. Motzki, ein rauschende­r.

Jetzt geht es nach Darmstadt. Auch wenn ich gebürtige Darmstädte­rin bin und wir dort viele tolle Menschen kennen, bleibt die Stadt größer und dadurch anonymer. Deshalb freue ich mich, weiterhin für Eisenach zu schreiben und am Eisenacher Leben teilhaben zu können.

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Kolumnensc­hreiberin Marie Helene Anschütz. Foto: Anschütz
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