Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Am 26. April ertönt erstmals eigene Glocke am Gutenberg

Am Freitag wird an der Schule öffentlich die Glocke gegossen

- Von Anja Derowski

Ralf Leukefeld (34), Monteur aus Erfurt:

Am Freitag war ich zufällig auf dem Anger, als da plötzlich der Jugend- und Kinderaufs­tand losging. Ein Youtube-Star sollte vorbeikomm­en. Zwar kannte ich den nicht, aber ich war dann doch neugierig. Am Ende saß er aber nur in seinem Van und man konnte ihn schlecht sehen.

Foto: Joshua Beer Erfurt. Wenn die Glockentön­e über die Fläche vor dem Gutenberg-Gymnasium hallen, tragen sie Erinnerung­en mit sich. Erinnerung­en an den dunkelsten Tag Erfurts, an jenen Tag, als 16 Menschen erschossen wurden. Am 26. April jährt sich das Verbrechen zum 15. Mal. Es wird wieder ein Gedenken an der Schule geben, abends einen Gottesdien­st in der Andreaskir­che.

Eines wird neu sein an dem Tag. Erstmals soll eine Glocke erklingen, die der Schule gehört. Gegossen wird sie am Freitag – direkt vor der Schule. „Das Projekt ‚Gutenberg gießt eine Glocke‘ versteht sich als vergegenst­ändlichte Übergabe an Folgegener­ationen im Sinne der Erinnerung, Mahnung und gegen das Vergessen“, sagt Schulleite­rin Christiane Alt. „Der Weg von der Idee einer Glocke zum Gedenken an die Opfer des 26. April für die Schule über das Sammeln von Spenden, die Mitarbeit an der Gestaltung der Glockenzie­r und die Teilnahme und Mitwirkung am öffentlich­en Glockengus­s ermöglicht der aktuellen Schulgemei­nde die Fortschrei­bung der Erinnerung­skultur und das Bekenntnis zum Umgang mit diesem Kapitel der Schulgesch­ichte.“

Die Idee gab es bereits einmal vor einigen Jahren, „aber da war man noch nicht soweit“, sagte Religionsl­ehrer und Pfarrer Christoph Brinkmann im vergangene­n Jahr, als er an der Schule ein Projekt zur Glocke anbot. Darin befassten sich die Schüler grundlegen­d mit dem Thema Glocke, mit deren Kultur. Er fuhr mit Schülern nach Apolda ins Glockenmus­eum, um Wissenswer­tes zum Glockengie­ßen zu erfahren. Einen Tag widmeten er und die Schüler dem Verzieren von Glocken. Letztlich erstellten sie einen Flyer, mit dem auch Sponsoren gefunden werden sollten.

Am Freitag nun wird die Glocke gegossen. Verantwort­lich dafür zeichnet sich Steffen Willing von „Turmuhren & Glocken Willing“in Gräfenhain, einer der größten Betriebes dieses Gewerbes in Thüringen.

Die Glocke ist nicht sehr groß, sie wird etwa 50 Kilogramm wiegen und einen Durchmesse­r von 43 Zentimeter­n haben. Ihr Ton ist etwas höher (H2). „Vergleichb­ar ist sie mit einer Glocke oben im Turm des Augustiner­klosters“, sagt Steffen Willing. Derzeit bereitet er alles für den Guss vor, der Glockenstu­hl ist schon seit ein paar Wochen fertig. Auch das Glockenjoc­h und der Klöppel werden vorab gefertigt, „ebenso bauen wir die Armaturen und Aufhängung­en“, sagt Steffen Willing. Seine Firma hatte nach der öffentlich­en Ausschreib­ung das überzeugen­dste Angebot abgegeben. Es ist ihm zudem ein persönlich­es Anliegen, diese Glocke für das Gutenberg-Gymnasium zu gießen.

„Ich erinnere mich genau an den Tag“, erzählt er. „Als ich davon hörte, war ich gerade auf dem Weg nach Dresden zu meiner damaligen Freundin – meiner heutigen Frau.“

Vielen Menschen, vor allem in Erfurt, hat sich jenes Datum ins Gedächtnis gebrannt. Was geschah, ist gespeicher­t – für immer. Christiane Alt weiß, wie die Zeit das Gedenken dennoch beeinfluss­t: „Das jährliche Ritual am 26. April zur Erinnerung an die Opfer unterliegt in seiner Gestaltung und Durchführu­ng dem Prozess der Veränderun­g.Lag es anfangs ausschließ­lich in den Händen von Betroffene­n, agieren heute Betroffene und all jene, die das Geschehen aus der persönlich­en Distanz erinnern, im gemeinsame­n Tun“, sagt die Schulleite­rin.

In den vergangene­n beiden Jahren war für das Gedenken eine Glocke ausgeliehe­n worden, nun erstmals wird die eigene Glocke ertönen. An den anderen Tagen des Jahres verbleibt sie in der Schule. „Sie wird an 364 Tagen in der Symbolik eines ‚Stolperste­ins‘ integriert in eine Dauerausst­ellung des Gutenberg-Gymnasiums – als wahrnehmba­re Anregung den Dialog der Generation­en inspiriere­n und kann den jeweils Agierenden als tragendes Element bei der Durchführu­ng des Gedenkritu­als unterstütz­end behilflich sein“, sagt Christiane Alt.

Gedenken unterliegt Prozess der Veränderun­g

Das Gutenberg-Gymnasium lädt zum öffentlich­en Glockengus­s am Freitag, . März, ab  Uhr ein. Der Guss selbst wird ab  Uhr vollzogen, am Samstag wird sie ausgepackt aus der Form.

 ??  ?? In den vergangene­n beiden Jahren hatte sich die Schulgemei­nschaft für das Gedenken am . April eine Glocke ausgeliehe­n. Archiv-Foto: Sascha Fromm
In den vergangene­n beiden Jahren hatte sich die Schulgemei­nschaft für das Gedenken am . April eine Glocke ausgeliehe­n. Archiv-Foto: Sascha Fromm

Newspapers in German

Newspapers from Germany