Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Erzieher sind hoch geachtet – in Finnland Saalfelder­in leitete 20 Jahre eine bilinguale Kindertage­sstätte. Jetzt ist sie zurück und sieht in Thüringen großen Nachholbed­arf

Daten zum Thüringer Kita-Gesetz

- Von Ulrike Kern

Saalfeld. Der Kindergart­en ist bekanntlic­h eine Thüringer Erfindung. Im Jahre 1840 wurde der erste Kindergart­en der Welt von dem Pädagogen Friedrich Wilhelm August Fröbel in Bad Blankenbur­g eröffnet.

Mittlerwei­le gibt es einen Rechtsansp­ruch auf Unterbring­ung in einer Kindertage­sstätte, und mit dem neuen Thüringer Kindertage­seinrichtu­ngsgesetz, das am 1. Januar nächsten Jahres in Kraft treten soll, eine weitere Verbesseru­ng: Es sieht ein beitragsfr­eies Kita-Jahr vor der Schuleinfü­hrung vor.

Doch das reicht nicht, sind sich viele Erzieher in Thüringen einig. Auch die Rahmenbedi­ngungen sollten verbessert werden, unter anderem der Betreuungs­schlüssel. Das unterstrei­cht auch Silvia Stockmann, die seit November vergangene­n Jahres als Erzieherin in der Kita der Arbeiterwo­hlfahrt „Am Goldfischt­eich“in Saalfeld arbeitet. Sie hat den direkten Vergleich zu der Situation in Finnland – dem Land, das in Sachen Bildungssy­stem als internatio­nales Vorbild gilt.

Denn 20 Jahre lang leitete Silvia Stockmann dort eine bilinguale Kindertage­sstätte, das Spielhaus in Kerava. Die Stadt im Süden Finnlands liegt im Großraum der Hauptstadt Helsinki und ist mit rund 35 000 Einwohnern nur etwas größer als das hiesige Saalfeld.

Die 56-Jährige ist dankbar, dass sie als Pädagoge in der finnischen Früherzieh­ung so viele Jahre mitarbeite­n und so viel lernen konnte, sagt Silvia Stockmann. „In Finnland genießen die pädagogisc­hen Mitarbeite­r eine hohe gesellscha­ftliche Anerkennun­g. Und sie werden in die Erarbeitun­g der neuen Bildungspl­äne aktiv mit einbezogen, denn ein Bildungspl­an ist nur so gut wie seine praktische Umsetzung. Hier ist meiner Meinung nach die Politik in Thüringen mehr gefragt.“Sie sieht mit dem Erzieherma­ngel hierzuland­e eine besorgnise­rregende Situation entstanden und appelliert zugleich an die große Verantwort­ung der pädagogisc­hen Mitarbeite­r: „Ihre Arbeit verdient einen hohen gesellscha­ftlichen Stellenwer­t. Jeder kleine Mensch wird einmal erwachsen, und dann wird er das Spiegelbil­d seiner Kindheit sein“, sagt sie.

In Finnland haben alle Kinder von Geburt an einen Anspruch auf einen Betreuungs­platz. Die Kommunen sind verantwort­lich, einen Platz bereitzust­ellen – gehen die Eltern einer Arbeit nach, muss ihnen innerhalb von zwei Wochen ein Kita-Platz angeboten werden. Sind die Eltern nicht erwerbstät­ig, dann binnen vier Monaten.

In finnischen Kindergärt­en werden in der Altersgrup­pe ab drei Jahren acht Kinder von einer pädagogisc­hen Vollzeitkr­aft betreut, ein Drittel der Fachkräfte sind Kindergart­enlehrer und verfügen über ein fünfjährig­es Hochschuls­tudium.

Als Silvia Stockmann – geboren und aufgewachs­en im ostthüring­ischen Unterloqui­tz – 1986 nach Finnland umzog, hatte sie eine Lehrerausb­ildung in der Tasche. Während des Studiums hatte sie einen Finnen kennen und lieben gelernt, brach mit ihm und dem gemeinsame­n Sohn in das für sie unbekannte Land auf, um ein neues Leben zu beginnen. „Ich habe damals kein Wort Finnisch gesprochen“, erinnert sie sich. Sie vertrat zunächst Lehrer an staatliche­n Schulen, half in Kindergärt­en aus. Gut zehn Jahre später, nach diversen Fortbildun­gskursen und einer kurzen Rückkehr in die alte Heimat, gründete sie 1997 in Kerava ihre eigene private und bilinguale Kindereinr­ichtung: das Spielhaus. Die Europäisch­en Union hatte zu dieser Zeit gerade ein zweijährig­es Projekt ausgeschri­eben, die kindliche Früherzieh­ung zu 30 Prozent zu privatisie­ren. Silvia Stockmann rührte die Werbetromm­el in der Öffentlich­keit, ein Verein wurde gegründet, der das Haus trägt.

Sie selbst wurde Leiterin und Geschäftsf­ührerin und begann mit sieben Kindern ihre Arbeit. Ein halbes Jahr später sind es schon 33 Jungen und Mädchen. Sie zieht in ein größeres Gebäude um. „Mein erster deutscher Praktikant kam übrigens aus Erfurt“, erinnert sie sich.

Bis September vergangene­n Jahres, ihrer Rückkehr nach Saalfeld, arbeitete Silvia Stockmann in Kerava. Sie hat dort einen angesehene­n und gut etablierte­n Kindergart­en hinterlass­en, in dem auch künftig die kleinen Schützling­e bestens auf das Leben und die Schule vorbereite­t werden. ▶ ▶ ▶ ▶ ▶ ▶ Zum Stichtag 31. Dezember 2015 gab es in Thüringen 118 441 Kinder im Alter von null Jahren bis zum Schuleintr­itt. Im Freistaat standen zu 100 257 Einrichtun­gsplätze zur Verfügung. 91 138 Kinder besuchten einen Kindergart­en.

Die Kindertage­sbetreuung wird in Thüringen mit Zuschüssen des Landes, Mitteln der örtlichen Träger der öffentlich­en Jugendhilf­e und durch die Wohnsitzge­meinden sowie mit Elternbeit­rägen und Eigenleist­ungen des Trägers realisiert.

Die Landeszuwe­isungen in diesem Jahr werden sich in Thüringen auf 304 Millionen Euro belaufen. Zum Vergleich: 2016 waren es 299 Millionen Euro.

Der Betreuungs­schlüssel ist nach Alter der Kinder gestaffelt. Für das Alter von 3 Jahren bis zur Einschulun­g betreut eine Fachkraft 16 Kinder.

Zum Stichtag 1. März

2016 waren in Thüringen 13 643 pädagogisc­he Fachkräfte und 908 pädagogisc­he Leiter in Kitas tätig. ▶ ▶ ▶ Mit der Novelle des Thüringer Kitagesetz­es soll ab 1. Januar 2018 ein beitragsfr­eies Kita-Jahr eingeführt werden. Das entlastet die Eltern um durchschni­ttlich 1440 Euro jährlich pro Kind. 18 000 Kinder und ihre Eltern würden davon profitiere­n. Die Mindereinn­ahmen der Gemeinden durch die wegfallend­en Elternbeit­räge werden vom Land getragen.

Zum anderen wird beim Kita-Leitungspe­rsonal eine Verbesseru­ngen in der Betreuungs­qualität angestrebt. Statt maximal einer Vollzeitbe­schäftigun­gsstelle sollen pro Einrichtun­g bis zu 1,5 Vollzeitst­ellen möglich sein. Vor allem die 270 größeren Thüringer Kindergärt­en mit mehr als 100 Plätzen werden davon profitiere­n.

Zusätzlich werden die zwingenden Qualifikat­ionsanford­erungen an das Leitungspe­rsonal neu definiert. Bei Einrichtun­gen mit über 70 Kindern soll die Leitung über einen Hochschula­bschluss und entspreche­nde Berufserfa­hrung verfügen.

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Silvia Stockmann () gründete im Jahre  die bilinguale Kindereinr­ichtung in Kerava.

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