Pelzige Gefahr für Deiche
Nutrias breiten sich immer stärker aus – und haben wenige Freunde
Lüneburg. „Guckt mal, ein Biber“, sagt das kleine Mädchen im Kanu zu seinen Eltern. Doch was da in der Sonne am Ufer der bei Lüneburg dahinfließenden Ilmenau liegt, das ist kein Biber, sondern eine Nutria.
Die pelzigen Nagetiere sehen den Dammbauern ganz ähnlich, doch am runden Schwanz kann man sie erkennen. Mit bis zu zehn Kilogramm sind die aus Südamerika stammenden Nutria zudem deutlich kleiner.
„So niedlich die Nager auch aussehen, so gefährlich sind sie für den Hochwasserschutz“, sagt Katrin Holzmann, Pressesprecherin des Landkreises Lüneburg. „Nutria graben Löcher und Gänge in die Deiche und Uferböschungen an der Elbe und ihren Nebenflüssen“, erklärt sie. „Schlimmstenfalls kann ein unterhöhlter Deich dadurch bei Hochwasser brechen.“
Deshalb wird nicht nur in Niedersachsen Jagd auf die Wühler gemacht. Selbst in den Schutzgebieten an der Elbe ist die Fallenjagd erlaubt. Für weniger geschützte Gebiete gab das niedersächsische Landwirtschaftsministerium die Parole aus: „Die Bestandsreduzierung durch Abschuss ist zu intensivieren.“
Nutrias wurden wegen ihres Pelzes schon vor rund hundert Jahren nach Deutschland geholt, doch so richtig ausgebreitet haben sie sich erst in den vergangenen Jahren. „In neun Jahren hat sich das Vorkommen in den erfassten Gebieten etwa verdoppelt“, sagt Torsten Reinwald, Sprecher des Deutschen Jagdverbandes (DJV) in Berlin. „So wurden Nutrias 2015 bereits in etwa jedem sechsten Revier nachgewiesen.“Im Jahr 2006 waren laut DJV in 8 Prozent der 24000 Reviere Nutria unterwegs, 2015 in 16 Prozent.
Hauptursache der Zunahme seien die anhaltend milden Winter, urteilen laut DJV die Experten des Wildtier-Informationssystems der Länder Deutschlands. Sie haben die Daten von mehr als 24 000 Revieren ausgewertet, etwa 40 Prozent der Fläche Deutschlands. In der DDR wurden die auch Biberratte oder Sumpfbiber genannten Tiere vor allem wegen ihres Pelzes gezüchtet. Doch als nach der Wende die Nachfrage einbrach, wurden sie vielfach freigelassen.
Zu den Verbreitungsschwerpunkten gehören laut DJV neben Rheinland-Pfalz und Niedersachsen auch NordrheinWestfalen, der Rhein im Westen Baden-Württembergs, die Elbe im Norden Sachsen-Anhalts, sowie Gebiete Brandenburgs an Havel, Schwarzer Elster und Neiße, sowie der Spreewald.
Im Jagdjahr 2014/15 wurden bundesweit mehr als 19 500 Nutria erlegt, zehnmal so viele wie 15 Jahre zuvor. DJV-Präsidiumsmitglied Helmut DammannTamke hält Rufe nach einer Einschränkung der Jagd in Naturschutzgebieten oder gar ein Verbot der Jagd mit der Falle für „fahrlässig“. Stattdessen fordert er: „Wir benötigen einen NutriaManagementplan.“
Der könnte bald schon Wirklichkeit werden, die EU hat die Nutria als sogenannte invasive Art im Visier. Und so sitzen derzeit laut Bundesamt für Naturschutz (BfN) die Experten wie von der EU gefordert bundesländerübergreifend an Managementplänen zur Eindämmung, in einigen Monaten sollen erste Ergebnisse vorgestellt werden.
„Wir sehen die ökologischen Schäden ähnlich wie das BfN“, sagt Claudia Grünewald, Teamleiterin Artenschutz beim Naturschutzbund Nabu. „Die Nutria kann Uferröhrichte durch Fraß stark schädigen und damit auch Lebensräume seltener Arten“, warnt auch Torsten Reinwald vom DJV. „Die Nutria gehören nicht nach Deutschland“, sagt Roland Gramling vom WWF. „Man wird sie wohl nie wieder weg bekommen. Hat sich eine eingeschleppte Tierart erstmal etabliert, ist das kaum zu machen“, erklärt er. „Man muss das vermeiden. Ist das Kind erst einmal in den Brunnen gefallen, ist es zu spät.“(dpa)